„Illegal Migration Bill“Gesetzespläne Großbritanniens verstoßen gegen internationales Recht

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Kleine Boote, die vermutlich von Migranten bei der Überquerung des Ärmelkanals benutzt wurden, liegen im Hafen von Dover.

Kleine Boote, die vermutlich von Migranten bei der Überquerung des Ärmelkanals benutzt wurden, liegen im Hafen von Dover.

Einst galt Großbritannien als Vorreiter im Kampf für die Menschenrechte. Jetzt plant die konservative Regierung ein Gesetz, das für Proteste sorgt.

Einst wehte in Großbritannien ein anderer Wind. In den 1990er-Jahren wurden Menschenrechte im Vereinigten Königreich als wesentlich angesehen und so beschloss die Labour-Regierung unter Tony Blair vor fast genau 25 Jahren den „Human Rights Act 1998“. Seither gelten universelle Rechtsansprüche, die in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgehalten wurden, ausdrücklich auch in Großbritannien. Es war der frühere konservative Premierminister Winston Churchill, der sich für die Konvention eingesetzt hatte, als Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg.

Mittlerweile jedoch ist die Welt eine andere. In einem kürzlich veröffentlichten Bericht stellte Human Rights Watch (HRW) fest, dass die britische Tory-Partei „wiederholt versucht hat, den Schutz der Menschenrechte zu schädigen und zu untergraben“. Die Liste der aufgeführten Probleme ist lang. Erwähnt wird der unzureichende soziale Schutz der Rechte von Bürgern mit niedrigen Einkommen oder auch von Geflüchteten.

Jüngstes Beispiel dieses Trends, der seit dem Brexit durch den Einfluss rechter Hardliner in der Partei weiter Fahrt aufgenommen hatte, ist die „Illegal Migration Bill“. Dieser Gesetzesentwurf, welchem am Mittwoch eine Mehrheit der Parlamentarier nach der dritten Lesung vor dem Unterhaus zugestimmt hat, sieht vor, dass irreguläre Einwanderer, die mit kleinen Booten über den Ärmelkanal nach Großbritannien kommen, in Lagern interniert und dann auf schnellstem Wege in vermeintlich sichere Länder wie Ruanda ausgeflogen werden sollen – auch wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sich dagegen aussprechen sollte. Laut dem Deal zwischen dem ostafrikanischen Land und Großbritannien sollen die Geflüchteten dort in Camps untergebracht werden.

Diese Pläne sorgten in den vergangenen Wochen nicht nur bei der Opposition, Flüchtlingsorganisationen und den Vereinten Nationen für Entsetzen, auch innerhalb der konservativen Partei regte sich teils erbitterter Widerstand. Der ehemalige Generalstaatsanwalt Geoffrey Cox, eigentlich ein überzeugter Brexiteer, stellte klar, dass die Minister von den Abgeordneten offenbar erwarten, gegen das Völkerrecht zu verstoßen. Ex-Regierungschefin Theresa May äußerte ebenfalls offen Kritik an den Plänen. Eine Rebellion der moderaten Kräfte innerhalb seiner Partei konnte Premierminister Rishi Sunak nur abwenden, indem er Zugeständnisse machte. So sollen nun zumindest geflüchtete Kinder besser geschützt werden.

Dass die „Illegal Migration Bill“ in dieser Form verabschiedet werde, sei jedoch höchst unwahrscheinlich, betonte Joelle Grogan von der Denkfabrik „UK in a Changing Europe“. Denn im Oberhaus, wo der Gesetzesvorschlag jetzt landet, werde er viel Widerstand erfahren. Dabei gehe es nicht nur darum, dass der Entwurf gegen internationale Normen verstoße, weil den Menschen das Recht auf Asyl verwehrt werde, es sei auch fraglich, wie er in der Praxis funktionieren soll. „Das Innenministerium wäre zwar verpflichtet, Personen abzuschieben, die illegal eingereist sind, aber es ist gar nicht klar, wohin sie gehen sollen.“ In die EU zurückgeschickt werden könnten sie nicht und außer Ruanda gebe es keine weiteren angeblich sicheren Drittstaaten, so Grogan.

Demonstranten protestieren auf dem Parliament Square in London gegen den Gesetzentwurf zur illegalen Einwanderung.

Demonstranten protestieren auf dem Parliament Square in London gegen den Gesetzentwurf zur illegalen Einwanderung.

Das Oberhaus wird Probleme diskutieren, Änderungen an dem Gesetzestext vorschlagen, und die „Illegal Migration Bill“ dann wieder an das Unterhaus zurückzuspielen. Dieses sogenannte „Ping Pong“ zwischen beiden Kammern kann sich Wochen oder gar Monate hinziehen. Laut Grogan kommt diese lange Verhandlungsphase für Sunak zum rechten Zeitpunkt. Denn er wolle mit seiner „Stoppt-die Boote-Kampagne“ zunächst insbesondere bei den bevorstehenden Lokalwahlen Anfang Mai punkten. Schließlich ist illegale Migration Umfragen zufolge eine der größten Sorgen unter jenen Bürgerinnen und Bürgern, die 2019 ihr Kreuz bei den Tories gemacht haben.

Doch auch wenn Sunak durch die „Illegal Migration Bill“ kurzfristig die Muskeln spielen lässt; die Abkehr von internationalen Normen ist ein Spiel mit dem Feuer. Denn dass der Entwurf vorsieht, die Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu ignorieren, vergiftet schon jetzt erneut die Beziehungen zur EU. Und weil das Gesetz vermutlich am Oberhaus scheitern wird, könnte die konservative Partei auf viele nicht nur herzlos und brutal wirken, sie hätte auch nichts erreicht.

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