Nach einem Terroranschlag in Kaschmir hat Indien nun Ziele in Pakistan angegriffen. Der Leiter des Indien-Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung im Interview.
Konflikt zwischen Indien und Pakistan„Es ist die größte Eskalation seit den 1970er Jahren“

Händler verbrennen ein Bildnis des indischen Premierministers Modi während einer Anti-Indien-Demonstration in Pakistan.
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Herr Haack, nach dem Terroranschlag in Kaschmir hat Indien nun Ziele in Pakistan angegriffen. Wie dramatisch ist die Lage?
In Delhi wird heute die Evakuierung von öffentlichen Gebäuden geübt, aber ansonsten ist alles wie gewohnt. Natürlich sind die Medien und Social Media von den Militärschlägen dominiert. Es ist die größte Eskalation seit den 1970ern.
Kann sich das zu einem Krieg ausweiten?
Es gibt verschiedene Szenarien: Option 1 wäre eine reine Antiterror-Operation. Option 2 sind auf Kaschmir begrenzte Kriegshandlungen zwischen Indien und Pakistan. Die dritte Option wäre ein großer Krieg. An einer maximalen Eskalation können allerdings beide Seiten nicht interessiert sein.
Allerdings stehen sich da zwei Atommächte gegenüber.
Ich würde da keinen Atomkrieg an die Wand malen. Indien und Pakistan haben es in der Vergangenheit immer geschafft, Krieg zu führen, ohne Atomwaffen zu nutzen. Beide Staaten sind auch konventionell hochgerüstet, sie haben riesige Streitkräfte. Auch ein konventioneller Krieg hätte große Dimensionen.
Könnte sich so ein Krieg ausweiten auf Nachbarländer wie China oder Afghanistan?
Dafür gibt es keine Anzeichen. China lässt bisher kein Interesse erkennen. Sollte Pakistan stark geschwächt aus diesem Krieg hervorgehen, könnte es sein, dass Afghanistan eine Grenzstreitigkeit weiter im Süden eskaliert.
Welche wirtschaftlichen Auswirkungen wären zu befürchten?
Das ist eine Rechnung mit vielen Unbekannten. Aber ich würde dem keine allzu große Bedeutung zumessen. Die pakistanische Wirtschaft spielt für die Weltwirtschaft keine große Rolle. Und obwohl Indien die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt ist, hat es vergleichsweise geringe Außenhandelsbilanzen und es besteht keine Gefahr für den indischen Güterverkehr.
Auch vor den aktuellen Angriffen waren die politischen Reaktionen deutlich: Grenzübergänge wurden geschlossen, Pakistan hat den Luftraum für indische Flugzeuge gesperrt. Beide Länder haben Ausweisungen angekündigt. Indien droht damit, Pakistan den Zugang zu Flüssen wie dem Indus zu sperren. Wie brisant ist die Lage?
Die Ausweisungen sind eine Fußnote. Es gibt in Indien nicht viele Pakistaner. Neben den offiziellen SAARC-Visa gibt es Medical-Visa und Visa für religiöse Reisen. Das Ausweisen von Diplomaten ist nichts Großes. Die Sperrung des Luftraumes ist unangenehm, wird aber den internationalen Flugverkehr nicht sehr beeinträchtigen. Ernstnehmen muss man den Streit um das Wasser.

Menschen tragen den Sarg eines Opfers eines mutmaßlichen indischen Raketenangriffs zu einem Trauergebet.
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Warum?
Wenn Indien den Indus umleitet oder staut, hätte die extreme Auswirkung für die pakistanische Landwirtschaft. Es ist der einzige große Strom, der quer durch Pakistan geht. In seinem Einzugsgebiet leben rund 250 Millionen Menschen. Pakistan ist hochverschuldet, kann also fehlende Güter wie Lebensmittel nicht einfach im Ausland dazukaufen.
Was steckt hinter dem Terroranschlag in Kaschmir, der die aktuellen Auseinandersetzungen ausgelöst hat?
Das Ziel des Anschlags war, die politische Integration Kaschmirs nach Indien zu unterbinden. Die hängt eng zusammen mit der wirtschaftlichen Entwicklung. Der Anschlag richtete sich nicht umsonst gegen den Tourismussektor, der sich dort in den vergangenen Jahren sehr gut entwickelt hat. Ich habe selbst gerne Urlaub dort gemacht. Das Ziel wurde erreicht: Reisen wurden storniert, die Hauptsaison fällt in Kaschmir damit völlig flach, die Region ist wieder vollkommen destabilisiert. Für Indien sind die Bemühungen der letzten Jahre in sich zusammengefallen. Sollte sich die indische Regierung jetzt auch noch entscheiden, das Gebiet wieder unter Zentralkontrolle zu stellen, wird ein Keil zwischen die lokale Bevölkerung und die indische Regierung getrieben.
Profitiert Pakistan?
Die militärischen Machthaber sind relativ unbeliebt in der Bevölkerung. Durch einen Konflikt mit Indien könnte sich ihre Position stabilisieren. Indien als Feindbild hält Pakistan zusammen.
Wie wahrscheinlich ist es, dass die pakistanische Regierung etwas mit dem Anschlag zu tun hat?
Die Gruppe, der der Anschlag zugeschrieben wird, ist in Pakistan auf dem Papier verboten, operiert aber von dort aus. Dass diese Gruppe autonom handelt, ist schwer vorstellbar. Alles, was diese Terrorgruppen gemacht haben, ist voll und ganz im pakistanischen Interesse und mehr oder weniger deckungsgleich mit den Zielsetzungen, die der pakistanische Armee-Chef noch vor einer Woche öffentlich geäußert hat. Und warum sollte eine lokale Gruppe, die autonom handelt, nicht Militär oder Polizei angreifen, sondern der Wirtschaft in der eigenen Region schaden?
In Kaschmir hat es immer wieder Anschläge gegeben, zuletzt im vergangenen Juni auf hinduistische Pilger. Ist das die Fortsetzung einer Serie?
Der jüngste Angriff hat eine andere Dimension. Es ist der bedeutendste Terroranschlag in Indien seit dem Anschlag auf ein Hotel in Mumbai 2008. Und die Emotionen schlagen hoch. Palahgam ist ein Postkartenort, den viele Inder kennen – so etwas wie das Zillertal für Österreich. Und die Grausamkeit des Anschlages war auch besonders. Väter wurden vor den Augen ihrer Kinder getötet. Eine Frau musste auf ihrer Hochzeitsreise mitansehen, wie ihr Ehemann hingerichtet wird. Es wurden scheinbar gezielt Hindus erschossen.
Wie lässt sich die Lage beruhigen – und der seit so langem andauernde Konflikt irgendwie lösen?
Die indische Bevölkerung steht sehr unter Schock. Die indische Regierung kann nicht anders reagieren als mit Härte, da die Bedrohung ja weiterhin besteht. Und es gibt auch keine Oppositionspartei, die auf die Bremse treten würde.