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„Mord ist ein hartes Stück Arbeit“Forensischer Psychiater spricht über Serienkiller

Lesezeit 8 Minuten

(Symbolbild)

  1. Serienkiller leben zerstörerische Bedürfnisse aus, sie hören nicht auf, bis sie geschnappt werden.
  2. Mehrfachtöter sehen das Töten als Handlungsoption oder Problemlösung und haben unterschiedliche Motive für ihr Handeln.
  3. „Keine soziale Gruppe hatte eine so schlechte Kindheit wie Gewaltstraftäter.“
  4. Zum Mörder zu werden ist aber ein hartes Stück Arbeit. Was muss passieren, damit ein Mensch tötet?

Köln – Der Forensische Psychiater und ehemalige Direktor des Instituts für Forensische Psychiatrie an der Berliner Charité Hans-Ludwig Kröber erzählt über Mehrfachtäter, Serienkiller und die Lust am Töten.

Herr Professor Kröber, was glauben Sie, hätte ich das Zeug zum Mörder?

Bei guter Gelegenheit und mit guten Gründen vielleicht. Aber sehr unwahrscheinlich, solange es für Sie noch von Interesse ist, wie andere Sie sehen. Der entscheidende Hinderungsgrund, einen Menschen umzubringen, ist nämlich das Selbstkonzept – wie will ich sein? Bin ich bereit, etwas zu tun, von dem ich weiß, dass es böse ist und von anderen aufs Höchste missbilligt werden wird? Etwas, das ich selbst absolut verwerflich fände, wenn es mir oder einem Angehörigen geschähe? Die allermeisten sagen: „Nein, nie würde ich so etwas tun.“ An den Punkt zu kommen, dass einem das egal ist, ist für einen ganz normalen Mörder in Friedenszeiten ein hartes Stück Arbeit. Selbst im Krieg, wenn das Töten als heroische Tat schöngeredet wird, haben viele Soldaten damit ein bleibendes Problem.

Aber wer dann einmal einen Mord begangen hat, tut sich mit einem zweiten leichter?

Bei denen, die mit dem ersten Mord durchkommen, ist das Risiko sicher größer. Dennoch wirkt die Vorstellung, beim zweiten Mal erwischt und dann auch noch für den ersten Mord bestraft zu werden, auf viele abschreckend.

Was unterscheidet Mehrfachtöter, wie Sie sie nennen, von Serienkillern?

Serienmörder begehen immer wieder das gleiche Verbrechen – nach einem sehr ähnlichen Muster und oft sehr gezielt gegen eine bestimmte Opfergruppe. Prostituierte zum Beispiel. Es geht ihnen darum, destruktive Bedürfnisse auszutoben. Die können mit sexueller Erregung bei Gewaltanwendung gegen Frauen einhergehen. Es kann aber auch ganz schlicht der Spaß am Töten sein, verbunden mit der Vorstellung, dass Frauen es ohnehin verdient hätten. Diese Täter machen so lange weiter, bis sie geschnappt werden. Mein neues Buch „Mord im Rückfall“ hingegen betrachtet Männer, die nach dem ersten Mord verhaftet, verurteilt, bestraft wurden, sich von der Strafe aber nicht dauerhaft beeindrucken ließen. Ein zweites Mal zu töten trotz Bestrafung, ist ungewöhnlich und selten. Nach der zweiten Tat wird wohl keiner mehr sagen, dass die erste ein Ausrutscher war. Vielmehr ist für diese Täter das Töten von Menschen in bestimmten Problemlagen eine Handlungsoption.

Was ist bei ihnen noch anders als bei Serienmördern?

Anders als Serienmörder, haben sie oft kein festgelegtes Tatmuster. Das Opfer kann mal männlich, mal weiblich sein. Mal ist es eine Beziehungstat, dann ein Machtkampf unter Rivalen oder klassische Randale. Es handelt sich also um eine weitaus vielscheckigere Truppe. Allesamt tragen sie Gewalt in ihrem Werkzeugkoffer mit sich herum. Als Instrument müssen sie es gar nicht sofort wieder herausholen, sobald sie aus dem Gefängnis kommen. Viele töten trotz guter Vorsätze erst sehr viel später erneut, wenn sie in Bedrängnis kommen. Dann greifen sie zu einer Lösung, die sie beherrschen – auch wenn sie dafür schon einmal sehr viel bezahlt haben, mit jahrelangem Entzug der Freiheit. In meinem Buch schildere ich, wie überraschend vielfältig ihre Geschichten sind.

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Die Rückfallquote von bestraften Mördern beträgt ein bis drei Prozent. Ist das hoch oder niedrig?

Sehr niedrig. Mord ist zudem ein Verbrechen, das am häufigsten von Verbrechern begangen wird, in einer Welt, in der man Besitz- und Machtansprüche mit Gewalt durchsetzt, weil man die Polizei nicht zur Hilfe holen kann und in der die Konkurrenz auch nicht eben zimperlich ist. Der Mord in der beschaulichen Vorstadt-Villensiedlung – ein beliebtes Setting in TV-Krimiserien von „Derrick“ bis zum „Tatort“ – ist eher die Ausnahme. Dafür sind wir zu sehr mit der Überzeugung aufgewachsen: Wenn du einen Mord begehst, kommst du nicht davon. Dass man eben doch davonkommt, lernt man eigentlich erst in einem kriminellen Milieu. Der brave Bürger, der jemanden umbringt, wird geschnappt. Der Gangster, der sich auskennt und sein Netzwerk hat, hält Mord eher für eine praktikable Lösung – und landet am Ende doch hinter Gittern. Zumindest in Deutschland und vergleichbaren Ländern mit einer extrem hohen Aufklärungsquote.

Dann ist Mord im Wesentlichen doch milieubedingt?

Sehr bedeutsam ist das reale Erleben von Gewalt als Bestandteil des Alltags und als normale Methode, Probleme zu lösen, beginnend in der Kindheit. Rollenmodell ist der Vater, der seine Frau schlägt und die Kinder verprügelt, wenn er sauer ist. Keine soziale Gruppe hatte eine so schlechte Kindheit wie Gewaltstraftäter. Ich kenne jedenfalls keine. Insgesamt gilt: Wir alle haben in jeder Situation unterschiedliche Handlungsoptionen. Töten gehört für die meisten von uns nicht dazu, auch Gewalt gegen andere nicht. Wir können in Deutschland stolz darauf sein, dass die Tötungsdelikte stark zurückgegangen sind. Die Zahl liegt heute niedriger als in Westdeutschland vor der Wiedervereinigung.

Erwarten Sie bei den Gewaltverbrechen eine Trendumkehr durch den Zuzug von Migranten aus Herkunftsländern, in denen Gewalt insgesamt noch eine andere Rolle spielt als bei uns?

Eigentlich nicht, obwohl ich es schon einigermaßen obszön fand, dass das Bundeskriminalamt im Oktober 2015 – auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle – vollmundig verlautbarte, es gebe dadurch keinen Anstieg der Kriminalität. Das war der schiere Opportunismus, mit dem man in der allgemeinen Begeisterung über Deutschland und seine Willkommenskultur auch noch eine positive Schlagzeile beisteuern wollte. Inzwischen wissen wir, dass es sehr wohl einen Anstieg an Gewaltkriminalität gab, mit einem weit überproportionalen Anteil junger, männlicher Migranten unter den Tätern. Aber ich glaube, das wird sich einpendeln, wenn die Zuzugszahlen sich in Grenzen halten. So ist das nun mal in einem Einwanderungsland. Ich erinnere, dass ähnlich aufgeregte Debatten schon geführt wurden, als die vielen italienischen Gastarbeiter kamen: Oh, die ganzen Messerstecher aus Sizilien! Und die Mafia …!

Wirkt die Aussicht auf eine lange Haftstrafe abschreckend?

Gerade die Strafandrohung „lebenslänglich“ finde ich wichtig. Der Rechtsstaat markiert damit ganz klar, welche Taten als moralisch besonders tiefstehend gelten und eine besonders anti-soziale Haltung des Täters verraten. Eine lebenslange Haft signalisiert, dass die Tat eigentlich unverzeihlich ist. Wer einen Mord begehen will, muss wissen: Danach ist alles vorbei, du landest im Knast und kommst nicht mehr raus – und wenn doch, dann kurz vor der Grube.

Sie sagten, es gebe die Lust am Töten?

Sie ist ja sogar eines der Mordmerkmale. Es kommt aber selten zum Tragen. Nur bei einem Prozent der Verurteilungen zu lebenslang wird Mordlust als Motiv angenommen. Auch wenn aus Gutachtersicht manches darauf hindeutet – etwa in der Art, wie der Täter sein Opfer zugerichtet hat oder wie er sich zu seiner Tat stellt. Aber kein Täter wird das offen zugeben, kein Anwalt so argumentieren – und die Richter machen sich so eine gutachterliche Bewertung ungern zu eigen. Denn eine solche, vom Täter bestrittene, Unterstellung hat ein hohes Risiko, dass der Bundesgerichtshof das Urteil kassiert. Mordlust ist viel schwieriger zu beweisen als andere Mordmerkmale wie Heimtücke, die sich nachvollziehbar aus dem Tathergang ergeben und als Begründung für „lebenslang“ ausreichen.

Wie oft spielt Mordlust faktisch eine Rolle?

Ich würde schon davon ausgehen, dass zehn bis 20 Prozent der Mörder ihre Tat als etwas Tolles erleben und als einen Triumph in Erinnerung behalten: Da haben sie etwas Außergewöhnliches getan, was ihnen kaum einer nachmachen wird und was ihnen keiner mehr nehmen kann.

Sind die dann auch rückfallgefährdeter?

Ja, schon. Für mich faszinierend war die Begegnung mit dem „Mittagsmörder“, der in Bayern immer um die Mittagszeit kleine Bankfilialen ausgeraubt und dabei – für den Raub völlig unnötig – jeweils den Mann am Schalter erschossen hat. Noch 50 Jahre später – er hatte für seine fünf Morde lebenslänglich bekommen – lebte er regelrecht auf, als er mir im Gefängnis davon erzählte. Dieser inzwischen über 70 Jahre alte Mann wirkte schlagartig jung und vital und berichtete mit glänzenden Augen, dass es mir kalt den Rücken hinunterlief. Ein braver, alter Mann, konnte man denken – der nach seiner Entlassung mit großer Freude wieder jemanden erschießen würde. Hat er aber nicht.

Sondern?

Es wurde groß über seine Entlassung berichtet, und er gab Interviews. Was in solchen Fällen manchmal ganz gut ist, weil dem Entlassenen eine neue Rolle zuwächst, die ihm ein anderes Gefühl von Heldentum und Großartigkeit vermittelt.

Wie lassen sich Mehrfachmorde denn am besten verhindern?

Ich habe auch kein Rezept. Es gibt ein relativ großes Arsenal an Möglichkeiten – mit Strafvollzug und therapeutischer Begleitung nach der Entlassung. Wir stecken da aus gutem Grund viel Arbeit und Geld rein, und wir haben – glaube ich – auch einen gewissen Erfolg. Aber es gibt individuelle Fälle und Situationen, in denen haben wir keine Chance. Wir können Kriminalität nicht abschaffen. Wir können auch das Töten nicht abschaffen. Die Vorstellung, die Gesellschaft könne alle Probleme beseitigen; und wenn jemand umgebracht wurde, dann müsse es dafür immer auch eine schuldige Behörde geben – das sind totalitäre Fantasien, die ich eigentlich eher bedrohlich finde. Wenn ein 20 Jahre alter Asylbewerber jemanden umbringt, wird reflexartig gefragt: „Wer hat da versagt?“ Niemand hat versagt. So etwas passiert, kann passieren bei Menschen mit bestimmten Vorerfahrungen. Ich glaube nicht an die Allmacht des Staates, und wenn es sie gäbe, wären wir alle seine Gefangenen.

Zur Person

Hans-Ludwig Kröber, geboren 1951, ist emeritierter Professor für Forensische Psychiatrie. Er war Direktor des Instituts für Forensische Psychiatrie an der Berliner Charité und leitete deren Nachsorge-Ambulanz für entlassene Straftäter mit schwersten Delikten.  Kröber war in mehr als 1000 Verfahren als Gutachter tätig, davon etwa 300 Strafprozesse.  In Köln wirkte er unter anderem 2002 im Prozess gegen den „schönen Ralf“ mit, einen hochstaplerischen Betrüger, und 2003 im Verfahren gegen einen Bonner Oberarzt, der wegen angeblicher innovativer intravaginaler Untersuchungs- und Heilmethoden als „Professor Stimmgabel“ bekannt wurde.

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Forensischer Psychiater Hans-Ludwig Kröber

In seinem neuen Buch „Mord im Rückfall“ (Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft MWV, 247 Seiten, 19,95 Euro) schildert er 45 Geschichten sogenannter „Mehrfachtöter“. (jf)