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GazaIsraelische Menschenrechtler werfen Regierung erstmals Völkermord vor

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Im Gazastreifen suchen viele Menschen verzweifelt nach Nahrung. /Ali Jadallah

Im Gazastreifen suchen viele Menschen verzweifelt nach Nahrung. /Ali Jadallah

Die Kritik am Gaza-Krieg ist auch in Israel hart. Ein Vorwurf galt jedoch bislang als Tabu. Die israelische Regierung weist die Anschuldigungen umgehend zurück.

Die israelischen Menschenrechtsgruppen B’Tselem und Ärzte für Menschenrechte – Israel (Phri) haben ihrem Land Völkermord im Gazastreifen vorgeworfen. Israel habe drei der im Völkerrecht definierten Akte des Völkermords begangen, schrieb Phri in einem am Montag veröffentlichten Bericht. Unter anderem erlege es „einer Gruppe Lebensbedingungen auf, die darauf angelegt sind, die physische Zerstörung der Gruppe ganz oder teilweise herbeizuführen“.

B’Tselem schrieb, nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 habe es einen Wechsel in der Politik Israels gegenüber den Palästinensern im Gazastreifen gegeben. Die politische Führung des Landes sei nach dem Mord an etwa 1.200 Israelis und der Entführung von 251 weiteren von „Unterdrückung und Kontrolle zu Zerstörung und Vernichtung“ übergegangen.

Israelische Regierung weist Vorwürfe zurück

Beide Gruppen erklärten, israelische Regierungs- und Militärvertreter hätten wiederholt gesagt, sie befürworteten die totale Zerstörung, Aushungerung und dauerhafte Vertreibung von Palästinensern im Gazastreifen. Zusammen mit der Politik vor Ort zeige dies, dass Israel absichtlich versuche, die palästinensische Gesellschaft zu zerstören.

Die israelische Regierung wies die Anschuldigungen am Montag zurück. Das Außenministerium teilte der Nachrichtenagentur AP mit, die Vorwürfe des Völkermords dienten der militant-islamistischen Hamas als Ermutigung. Israel greife nur die Hamas und nicht Zivilisten an.

Die Regierung und das israelische Militär machen die Hamas für den Tod von Zivilisten im Gazastreifen verantwortlich, weil ihre Kämpfer in Wohngebieten operierten.

Gruppen nicht für große Mehrheit repräsentativ

B’Tselem und Phri gelten in Israel als politische Randgruppen, deren Ansichten nicht für die große Mehrheit der Menschen in Israel repräsentativ sind. Aber dass sie als erste israelische Gruppen den Vorwurf des Völkermords gegen ihre Regierung erheben, bricht ein Tabu in der Gesellschaft des Landes, das auch als Folge des deutschen Völkermordes an den Juden gegründet wurde.

„Als Enkel eines Holocaust-Überlebenden ist es für mich sehr schmerzhaft, zu diesem Schluss zu kommen“, sagte Phri-Direktor Guy Shalev. „Aber wenn man in einer Gesellschaft aufgewachsen ist, in der der Holocaust eine so große Rolle gespielt hat, muss man auch eine gewisse Verantwortung übernehmen.“

Die Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordes von 1948 wurde nach dem Zweiten Weltkrieg und der Ermordung von sechs Millionen Juden durch Nazi-Deutschland verfasst. Sie definiert Völkermord als Handlungen, „die in der Absicht begangen werden, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu vernichten“.

Keine Einreise in den Gazastreifen

Wie andere Rechtsgruppen durften auch B’Tselem und Phri während des Krieges nicht in den Gazastreifen einreisen. Ihre Berichte beruhen den Angaben zufolge auf Zeugenaussagen, Dokumenten, Augenzeugenberichten und Konsultationen mit Rechtsexperten. Der Phri- Bericht ist eine detaillierte juristisch-medizinische Analyse, die sich auf die schrittweise Zerstörung der Gesundheits- und Lebenserhaltungssysteme im Gazastreifen konzentriert, darunter Elektrizität und sauberes Wasser.

Der Historiker Jeffrey Herf, der viel über Antisemitismus veröffentlicht hat, kritisierte, der Völkermordvorwurf ignoriere die Hamas als militärische Kraft und das Recht Israels, sich zu verteidigen.

Der israelische Historiker Tom Segev sagte, er sei nicht sicher, welche Wirkung der Vorwurf des Völkermordes in der israelischen Öffentlichkeit haben werde. „Für die Israelis ist die Frage der Geiseln wichtig, nicht unbedingt das Schicksal der Bevölkerung in Gaza“, sagte er. Allerdings untergrabe das, was im Gazastreifen passiert, die ideologische und moralische Begründung für die Existenz Israels. (RND)