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Kommentar

Gaza-Offensive
Wer an Israels Seite steht, muss nicht schweigen

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Lesezeit 3 Minuten
Zivilisten stehen im Staub nach einem israelischen Luftangriff auf eine Schule im Gazastreifen. /Khasan Alzaanin

Zivilisten stehen im Staub nach einem israelischen Luftangriff auf eine Schule im Gazastreifen. /Khasan Alzaanin

Israel kämpft nicht nur gegen die Hamas – sondern verliert den Rückhalt seiner Verbündeten. Und Deutschland droht zu spät zu handeln.

Israels Regierung hört längst nicht mehr zu. Weder den Protesten in Tel Aviv, noch den Appellen aus Berlin, noch dem weltweiten Entsetzen über das brutale Vorgehen seiner Armee im Gazastreifen. Nie zuvor war der Ton gegenüber Israel schärfer, die Warnungen dringlicher. Die Kritik ist ohrenbetäubend, doch Jerusalem stellt sich taub. Nun wächst auch in Deutschland der Druck auf die Bundesregierung, einen schärferen Kurs gegenüber der israelischen Regierung einzuschlagen.

Während viele europäische Staaten offen Konsequenzen fordern, setzt Berlin bisher auf stille Diplomatie. Doch zwischen wachsender öffentlicher Empörung und politischer Zurückhaltung droht die Bundesregierung den Moment zu verpassen, an dem klare Worte nicht das Ende der Freundschaft mit Israel bedeuten, sondern deren letzte Rettung sein könnten.

Israels Krieg ist ohne Strategie und ohne Maß

Seit mehr als eineinhalb Jahren führt Israel Krieg gegen die Hamas. Was als Reaktion auf ein beispielloses Massaker begann, ist zu einem Krieg ohne Richtung, ohne Strategie und ohne Maß verkommen. Die Hamas ist nicht verschwunden. Was verschwunden ist, ist die Verhältnismäßigkeit. Während die israelische Regierung weiter von der „Zerschlagung der Terror-Infrastruktur“ spricht, sterben Tag für Tag unzählige Zivilisten unter den Trümmern ihrer Häuser.

Israels Krieg gegen die Hamas hat sich in eine politische und moralische Sackgasse manövriert. Es fehlt an einem Konzept, einem Ziel und an einer Antwort auf die Frage: Wann haben die Kämpfe ein Ende und was kommt danach?

Auch die internationale Gemeinschaft beklagt das zunehmend offen. Eine Mehrheit der EU-Staaten fordert mittlerweile, das Assoziierungsabkommen mit Israel auf den Prüfstand zu stellen. Ein klares Signal: Dieser Krieg muss ein Ende finden. Den diplomatischen Worten müssen irgendwann Taten folgen.

Israel-Kritik: Deutschland setzt auf vertrauliche Kanäle

Deutschland hingegen zögert. Es setzt weiterhin auf vertrauliche Gespräche hinter den Kulissen, auf diplomatische Kanäle, die jedoch kaum Wirkung entfalten. Berlin will die Gesprächsbereitschaft der israelischen Seite dennoch nicht aufs Spiel setzen. Dabei verhallen auch deutsche Appelle längst. Selbst wenn Außenminister Wadephul fast täglich mit seinem israelischen Amtskollegen spricht: Es ändert nichts am Kurs.

Die Bundesregierung muss erkennen: Gespräche allein werden Israels Regierung nicht umstimmen. Premierminister Netanjahu regiert mit rechtsextremen Partnern, deren Ziel nicht die Sicherheit Israels ist, sondern die Kontrolle über den Gazastreifen. Der Krieg ist ihre Chance, Tatsachen zu schaffen, während die Welt mit Entsetzen zusieht.

Bundesregierung bewegt sich auf einem schmalen Grat

Es ist gut, dass die Debatte darüber auch in Deutschland angekommen ist. Sie verlangt Haltung und Differenzierung, historische Verantwortung und moralische Klarheit. Wer an Israels Seite steht, muss nicht schweigen. Im Gegenteil: Wer Israels Existenzrecht ernst nimmt, muss mahnen, muss widersprechen, wenn die Regierung in Jerusalem dabei ist, das Land in eine Sackgasse zu manövrieren.

Die Bundesregierung bewegt sich auf einem schmalen Grat: Sie äußert ihre Kritik an Israels Vorgehen so deutlich wie nie zuvor und bemüht sich zugleich, die Gesprächskanäle offen zu halten. Forderungen nach einem sofortigen Stopp der deutschen Waffenlieferungen an Israel mögen politisch einleuchten und öffentlich auf Zustimmung stoßen, doch sie sind Gift für jene diplomatischen Verbindungen, die Berlin dringend braucht, um überhaupt Einfluss auszuüben.

Denn wenn selbst eindringliche Appelle kaum Wirkung entfalten, was könnte dann ein vollständiger Kontaktabbruch noch bewirken? Wer in Jerusalem etwas erreichen will, darf nicht als Gegner auftreten. Der deutsche Einfluss ist begrenzt – aber wenn er verspielt wird, bleibt nichts.