Immer mehr Menschen sind von Einsamkeit betroffen. Drei Frauen besuchen Kranke, helfen Geflüchteten, streiten mit Senioren – und lernen fürs Leben.
„Vielen Sterbenden die Hand gehalten“Drei Frauen engagieren sich in Köln ehrenamtlich gegen Einsamkeit
Wer chronisch einsam ist, erkrankt mit höherer Wahrscheinlichkeit psychisch oder körperlich. Millionen Menschen aus allen Altersgruppen fühlen sich in Deutschland einsam, Frauen eher als Männer. Das geht aus dem „Einsamkeitsbarometer 2024“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hervor.
In Köln sollen deutschlandweit am wenigsten einsame Menschen leben. Das ermittelte das Unternehmen „Choice Technologies“ mit dem „Lonileness City Index 2024“. Sie haben die 20 größten Städte in Deutschland verglichen. Dass Köln auf dem letzten Platz landet – in diesem Fall ist das etwas Gutes – liegt mitunter am Engagement von Ehrenamtlichen, die sich in der Stadt aktiv gegen Einsamkeit einsetzen. Mit drei von ihnen haben wir gesprochen: Renate Galuschka, Fatma Dik-Thiel und Birgit Ocken.
Renate Galuschka engagiert sich in der Hospizarbeit
Renate Galuschka ist 80 Jahre alt, wohnt in Neubrück und begleitet ehrenamtlich Menschen bis in den Tod. Als Rentnerin war ihr langweilig. Im Gegensatz zu ihren Freundinnen mochte sie keine Serien. Deshalb suchte sie sich eine andere Beschäftigung.
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„Ich werde in einer Urne unter einem schönen Baum beerdigt. Da liegen schon andere, die ich betreut habe. Ich habe für meine Beerdigung alles vorbereitet. Das empfehle ich allen. So müssen es nicht die Angehörigen machen, wenn sie doch eigentlich Zeit zum Trauern brauchen. Und so weiß ich sicher, dass ich das schöne Plätzchen unter meinem Baum bekomme. Alles bezahlt, alles geregelt.
Ich bin 80, hatte ein gutes Leben und habe keine Angst mehr vor dem Tod. Ich wünsche mir, dass es kein Tabu-Thema mehr ist. Ich habe meinen Vater lange gepflegt, konnte aber nie mit ihm über den Tod sprechen. 1998 ist er verstorben.
Jetzt betreue ich andere Menschen. Die meisten sind bettlägerig. Ich besuche sie in der Regel zweimal in der Woche zu Hause – je nach Stadium. Mal lese ich vor, mal erzähle ich, mal bringe ich bunte Blätter und Blumen mit.
Grundsätzlich läuft das so: Es gibt Koordinatorinnen im Hospizdienst Kleinod in Brück. Die schauen sich die Situation zu Hause an und überlegen, wer von unserem Team gut passen könnte. Wenn sie dabei an mich denken, fahren wir noch einmal gemeinsam hin. Dabei ist Fingerspitzengefühl gefragt, denn die Angehörigen haben ihre liebsten Menschen oft jahrelang gepflegt und können nicht mehr.
Manche Familien begleite ich über mehrere Jahre hinweg. Oft gehe ich mit zur Beerdigung. Mit vielen Familien habe ich ein enges Verhältnis, woraus schon Freundschaften entstanden sind. Mit drei bis vier Familien treffe ich mich noch Jahre später.
Eigentlich bin ich gelernte medizinisch-technische Assistentin. Gearbeitet habe ich in der Modebranche. Ich habe eine Modeausstellungen mit Pelz und Leder veranstaltet. In meiner Rente bin ich nun ständig von trauernden Menschen umgeben. Aber ich tue etwas Sinnvolles. Die Trauer verarbeite ich im Fitnessstudio auf dem Fahrrad, Spinning heißt das. Da trete ich mit 15 anderen Teilnehmern, einem Trainer und lauter Musik in die Pedale.“
Fatma Dik-Thiel arbeitet mit Menschen, die an Demenz erkrankt sind
Fatma Dik-Thiel ist 55 Jahre alt, zweifache Großmutter und wohnt in Bickendorf. Sie kommt aus der Türkei und liebt die Arbeit mit Senioren. Manchmal gerät sie dabei an ihre Grenzen.
„Ich habe schon von vielen sterbenden Senioren die Hand gehalten. Das verarbeite ich in Gedichten. Ich schreibe auf, was ich an ihnen besonders fand oder was wir erlebt haben. Ich wollte etwas Soziales machen, das war immer klar.
Ich bin in Karaman in der Türkei geboren und 1988 zu meinem Mann nach Köln gezogen. Dann habe ich erstmal 16 Jahre lang geputzt und später selbst zwei Reinigungsteams gleitet. Von Beginn an habe ich mich in Deutschland auch ehrenamtlich engagiert. Das erste Mal in einem Verein in Chorweiler. Dort habe ich türkische Eltern gefragt: Was braucht ihr, damit eure Kinder gut in Deutschland zur Schule gehen können? Später bin ich in Seniorenheime gegangen und habe gefragt: Was fehlt euch in der Pflege?
Seit elf Jahren konzentriere ich mich vollständig auf die Arbeit mit Senioren. Ich habe zwei Weiterbildungen gemacht und drei Bücher über Migration und Demenz geschrieben. Darin habe ich beispielsweise die Geschichte von türkischen Gastarbeitern erzählt, die nach Deutschland gekommen sind.
Von 2017 bis 2020 habe ich in einem Demenzcafé in Ehrenfeld gearbeitet. Viele von den Senioren dort sind nach Deutschland geflohen, konnten sich aber nicht mehr daran erinnern. Sie wussten nicht, wer sie oder ihre Angehörigen sind. In dem Café haben wir versucht, dagegen zu arbeiten. Beispielsweise haben wir Koffer mit Gegenständen gepackt, die sie auf der Flucht nach Deutschland dabei hatten. Dann haben wir sie gemeinsam wieder ausgepackt: alte Stadtkarten oder Gebetsteppiche. Darüber haben wir mit ihnen gesprochen, damit sie sich wieder an ihre Lebensgeschichte erinnern.
Jetzt arbeite ich vormittags bei der Johanniterstiftung als soziale Betreuerin. Nachmittags mache ich ehrenamtlich mit dem „Vingster Treff“ Seniorenausflüge. Wir gehen ins Kino, ins Eiscafé oder machen Schifffahrten. Senioren geben mir eine besondere Art von Liebe, wie sonst niemand. Sie freuen sich, wenn ich komme, erzählen Geschichten und verhalten sich manchmal wie kleine Kinder. Meistens brauchen sie einfach jemanden, der zuhört. Das kann ich gut. Ich bin geduldig.
Manchmal raubt mir die Arbeit aber auch Energie. Mit einer 81-jährigen Seniorin habe ich mich mal so sehr gestritten, dass wir drei Monate nicht miteinander geredet haben. Ich habe ihr gesagt, dass mich ihre pessimistische Art fertig macht, dass man sich nicht immer überall einmischen und alles negativ kommentieren muss. Deshalb war ich eine Zeit lang nur für Notfälle da. Versöhnt haben wir uns drei Monate später, weil sie mir eine liebe Postkarte geschrieben hat.“
Birgit Ocken ist Patin von zwei geflüchteten Frauen
Birgit Ocken sitzt zwischen Russen, Ukrainern und Türken im Sprachencafé in Deutz. Die meisten flohen vor dem Krieg. Sie waren Ingenieure oder Ökonomen, in Köln beginnen sie von vorne: Deutsch lernen, Freundschaften schließen, einen Job finden. Birgit Ocken ist 54 Jahre alt, wohnt in Raderthal und gibt den Geflüchteten Starthilfe mit dem Verein „Ceno & Die Paten“.
„Ich bin Patin von zwei Frauen: einer ukrainischen Universitätsdozentin, die mit ihrem Sohn und ihrer Tochter nach Köln geflüchtet ist, und einer jungen Frau aus Mazedonien, die gerade ihre Ausbildung begonnen hat. Wir telefonieren oder treffen uns alle paar Wochen. Es geht darum, dass diejenigen, die neu hier ankommen, einen Ansprechpartner finden, der ihnen Rückhalt bietet und weiß, wie der Alltag hier funktioniert.
Die geflüchteten Menschen lernen gerade erst Deutsch und haben einfache Fragen. Wo finde ich günstige Kleidung? Wie funktioniert das hier mit dem Mietvertrag? Was steht in diesem Brief vom Amt? So können wir auf ganz einfachem Wege mit ein bis zwei Stunden in der Woche große Unterstützung leisten.
Ich komme aus Norddeutschland, habe nach dem Abitur ein Freiwilliges Soziales Jahr in Hannover geleistet und dann in Münster und Köln Erwachsenenbildung und Organisationsentwicklung studiert. In jeder neuen Stadt gab es Menschen, die mir beim Einleben geholfen haben. Das will ich auch gerne tun.
Im Sprachencafé des Vereins „Ceno & Die Paten“ üben wir jede Woche mit den geflüchteten Menschen die deutsche Sprache. Ich habe beide Frauen, für die ich jetzt Patin bin, dort kennengelernt und aus der Sympathie ist eine Patenschaft entstanden. Man kann sich aber auch direkt mit Mitarbeiterinnen von Ceno und einem geflüchteten Menschen in einem Büro von Ceno treffen. Wenn es menschlich passt, verabredet man sich regelmäßig. Auch so kann sich eine Patenschaft entwickeln.
Menschen, die hierher flüchten, haben einen besonderen Blick auf unser Land. Dem können wir etwas abgewinnen. Manchmal sind sie überrascht, wie schnell sie einen Arzttermin bekommen oder wie viele Inklusions-Angebote es hier gibt. Das erweitert meine Sicht auf Deutschland und die Herkunftsländer. Das Ehrenamt bringt beiden Seiten etwas.“
Was NRW plant: Bis Ende des Jahres will die nordrhein-westfälische Landesregierung den ersten Aktionsplan gegen Einsamkeit vorlegen. Er soll informieren, vernetzen und zum Teilen eigener Ideen gegen Einsamkeit anregen. Nach Angaben der Staatskanzlei wird es damit erstmals eine systematische Darstellung von Maßnahmen des Landes zur Eindämmung von Einsamkeit geben.
Bis Mitte November lief dazu auch ein Ideenwettbewerb, an dem sich Bürgerinnen und Bürger, Verbände und andere Initiativen mit Ideen beteiligt haben, die in den Aktionsplan einfließen. Mehr dazu unter www.land.nrw/einsamkeit