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Chef der Kölner Gerichtsmedizin„Die Obduktionsrate muss sich massiv erhöhen“

Lesezeit 3 Minuten
Gerichtsmedizin Getty

Blick in die Gerichtsmedizin: Viele Todesfälle in NRW werden als „ungeklärt“ gemeldet.

  1. Ohne offensichtliche Hinweise auf Fremdverschulden werden Leichen in Deutschland nicht obduziert.
  2. Viele Tötungsdelikt blieben dadurch unerkannt. Beispielsweise in Österreich oder Großbritannien ist das anders, weiß Markus Rothschild.
  3. Die Obduktionsrate müsse sich deutlich erhöhen, fordert der Chef der Kölner Gerichtsmedizin im Interview.

KölnHerr Rothschild, was läuft schief bei der Leichenschau?Nehmen wir die große Zahl ungeklärter Todesfälle. Da wird ein Mensch im Gebüsch, in seiner Wohnung oder anderswo gefunden. Ein Arzt will sich mit Blick auf die Todesursache nicht festlegen. In Deutschland kommt dann nur eine Instanz ins Spiel: Die Polizei. Die schreibt nach der Leichenschau einen Bericht an die Staatsanwaltschaft. Meist heißt es da, keine Hinweise auf Fremdverschulden. Die Staatsanwaltschaft sieht von einer Obduktion ab, denn das spart Kosten und dann geht es direkt zum Bestatter. Heißt: Wenn keine offensichtlichen Hinweise auf Fremdeinwirkung vorliegen, ist es nicht die Aufgabe der Justiz und Polizei, weiteres Licht in die Todesumstände zu bringen. In 80 Prozent der Fälle wird die Leiche ohne Obduktion freigegeben. Hier fehlt es an einer zweiten Instanz, die dann die exakte Todesursache bestimmt.

Was muss sich ändern?

Erst einmal muss sich die Qualität der Äußeren Leichenschau verbessern. Ein amtlicher Leichenbeschauer macht nur Sinn, wenn er ein ausgebildeter Rechtsmediziner ist, der auch Obduktionen durchführt. Denn äußerlich kann sich das Erscheinungsbild stark vom Inneren unterscheiden. Ein Beispiel: Ein zerdrücktes Kehlkopfgerüst durch Gewalteinwirkung kann nach außen hin bis auf kleine Spuren völlig normal aussehen, innen aber ist alles kaputt. Aus meiner Sicht muss sich die Obduktionsrate massiv erhöhen, sonst nützt auch der Einsatz eines Leichenschauarztes nichts.

Hängt es am Geld?

Natürlich ist dies auch eine Geldfrage, bisher muss die Staatsanwaltschaft die Obduktionen bei ungeklärten Todesfällen anordnen und bezahlen. Da waren die Abläufe in der DDR besser organisiert, genauso wie in Österreich oder Großbritannien: Nämlich zusätzlich durch eine Verwaltungssektion. Dort wird eine Obduktion light anstatt von zwei durch einen Rechtsmediziner oder Pathologen durchgeführt. Dann weiß man auch bei Fällen ohne Hinweis auf ein Fremdverschulden genau, woran die Frau oder der Mann gestorben ist. Stellt sich heraus, ein zerdrückter Kehlkopf trägt Schuld daran, ziehe ich die Handschuhe aus und schalte die Kripo ein.

Wie sieht denn die Praxis im Vereinigten Königreich aus?

Die Briten führen im Vergleich zu den deutschen Behörden vier Mal so viele Obduktionen durch und decken doppelt so viele Tötungsdelikte auf. Bei uns bleiben ganz viele Fragezeichen, die wir nicht gesichert aufklären. Dort gibt es etwa das Amt des Coroners, eine Instanz zwischen dem leichenschauenden Arzt und der Kriminalpolizei sowie der Staatsanwaltschaft. Das kann ein Mediziner, Jurist oder Verwaltungsbeamter sein. Er unterhält sich mit dem Arzt und führt Ermittlungen durch. Danach überlegt er, ob etwa der Todesfall während der Arbeit Sache der Berufsgenossenschaft ist, die eine Obduktion beantragen kann, oder ob er bei gravierenden Auffälligkeiten die Justiz informiert. Den Rest verweist er an die besagte Verwaltungssektion. Dieses Modell würde die Todesermittler in Deutschland massiv entlasten.

Das Gespräch führte Axel Spilcker