Kölner Politikerin warnt Frauen„Mit Erdogans Bündnis wählt man die Türkei zurück ins Mittelalter“

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Wahlberechtigte Türken stehen vor einem Wahllokal in Stuttgart zur Abstimmung für die Türkei-Wahlen.

Wahlberechtigte Türken stehen vor einem deutschen Wahllokal.

SPD-Politikerin Lale Akgün begründet, warum sich Frauen mit einer Wahl von Erdogans Bündnis „selbst schaden“ würden.

In einem emotionalen Aufruf auf Deutsch und Türkisch warnt die frühere Kölner SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün in der Türkei wahlberechtigte Frauen aus Deutschland davor, dem amtierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und dessen Wahlbündnis bei den anstehenden Wahlen in der Türkei ihre Stimme zu geben.

„Wenn Sie Ihre Stimme abgeben, denken Sie bitte an die Mädchen, die im Alter von sechs Jahren verheiratet werden, um dann als Kinder schwanger zu werden und bei der Entbindung zu sterben. Die täglichen Nachrichten über sexuelle Belästigung, Unterdrückung und Schläge in den Wohnheimen religiöser Stiftungen und Sekten sind Ihnen sicher bekannt. Vergessen Sie nicht die Mädchen, die im Schülerwohnheim einer religiösen Sekte verbrannt wurden. Erinnern Sie sich an die sexuelle Belästigung von 40 Kindern in einem Wohnheim der Ensar-Stiftung und daran, dass die damalige AKP-Familienministerin sagte: Einmal ist keinmal!“, schreibt Akgün auf Facebook.

Erdogan hat Frauen zu Menschen zweiter Klasse gemacht
Lale Akgün

Erdogan hatte im Jahr 2021 die Istanbul-Konvention zum Schutz der Frauen vor Missbrauch und Gewalt per Dekret für ungültig erklärt. Die Konvention verpflichtet Staaten, Gewalt gegen Frauen strafrechtlich zu verfolgen. Spätestens damit habe Erdogan „Frauen zu Menschen zweiter Klasse gemacht“, so Akgün, scharfe Kritikerin des Politischen Islams, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. 

Porträt von Lale Akgün

Lale Akgün (SPD) wurde von türkischen Islamisten schon oft bedroht.

Frauen in Deutschland wüssten, „was es bedeutet, in Freiheit, Demokratie und mit gleichen Rechten zu leben“. In der Türkei seien Frauenrechte unter dem Präsidenten Erdogan „immer mehr eingeschränkt“ worden. Im angestrebten neuen Bündnis will Erdogans AKP auch mit der kurdisch-islamistischen Splitterpartei  „Partei der freien Sache“ (auf Türkisch: „Hür Dava Partisi“, „Hüdapar“) koalieren, die als politischer Ableger der Hisbollah-Bewegung eingestuft wird – in Deutschland gilt die Hisbollah als Terrororganisation.  „Die Hüdapar will die Scharia wieder einführen“, sagt Akgün. Die AKP habe der Partei versprochen, dass das Gesetz zum Schutz der Familie und der Frau ausgedünnt werde. „Außerdem sollen alle LGBTQ-Vereine verboten werden. Mit Erdogans neuem Bündnis wählt man die Türkei zurück ins Mittelalter.“

Erdogans AKP koalierte schon nach der Wahl 2018 mit der MHP, der rechtsextremen Partei der Nationalistischen Bewegung, und der rechtsextrem-islamistischen BBP, „Partei der Großen Einheit“. Nun hat er neben der „Hüdapar“ die neu gegründete „Neue Wohlfahrtspartei“ YRP für eine Zusammenarbeit gewonnen – die YRP ist der politische Arm der „islamistisch-nationalistischen Bewegung der nationalen Sicht“ („Milli Görüs“), die in Deutschland mit zahlreichen Moscheegemeinden vertreten ist. Milli-Görüs-Gründer Necmettin Erbakan gilt als politischer Ziehvater Erdogans. Alle Parteien aus der angestrebten Koalition stehen laut Akgün „für das Patriarchat, eine Entrechtung von Frauen, Kindern und Minderheiten wie Schwulen und Lesben“ sowie „Islamismus, Nationalismus und Faschismus“.

Wer in Deutschland Demokratie und Gleichberechtigung kennengelernt hat, „sollte nicht ein mittelalterliches Verständnis von Frauen und sexuellen Minderheiten in der Türkei unterstützen“, so Akgün. Sie selbst hat in dieser Woche ihre Stimme für die türkische Opposition abgegeben, die Umfragen zufolge gute Chancen hat, das Regime unter Erdogan bei den Wahlen am 14. Mai abzulösen. In Deutschland sind rund 1,5 Millionen Deutsch-Türken wahlberechtigt

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