Viele UnterstützerEs ist nicht nur „Putins Krieg“

Lesezeit 4 Minuten
Putin Schreibtisch ap 070422

Wladimir Putin (Archivbild)

  • Ein Kommentar.

Russland führt einen Angriffskrieg gegen die Ukraine, doch zu lesen ist hierzulande in den letzten Wochen oft von „Putins Krieg“. Moderatoren sprechen von „Putins Kriegsverbrechen“, wenn sie über Butscha, Borodjanka oder Mariupol berichten. In Talkshows werden „Putins Pläne“ diskutiert und manche Redaktion hat die Rubrik, in der sie Artikel zum Krieg in der Ukraine sammelt, direkt „Putins Krieg“ benannt. Dass der russische Präsident den Befehl für diesen Krieg gegeben hat, ist klar. Aber ist es deshalb auch nur der Krieg Wladimir Putins?

Nicht, wenn man Andrij Melnyk fragt. „Alle Russen sind derzeit unsere Feinde“, erklärte der ukrainische Botschafter unlängst. So einfach wie Melnyk darf man es sich nicht machen. Trotzdem gibt es gute Gründe, „Putins Krieg“ als Euphemismus zu deklarieren.

Russland-Party in Berlin

Als die furchtbaren Bilder aus Butscha am Sonntag die Welt erreichten, trafen sich zeitgleich hunderte Russischstämmige und Russen zu einem Autokorso in Berlin. Offiziell wollten sie gegen die Diskriminierung von russischsprachigen Menschen protestieren. So sah es dann aber nicht aus.

Berlin Russen Demo 070422

Die pro-russische Demonstration in Berlin am 3. April.

Unzählige, mit russischen Fahnen geschmückte Autos fuhren durch die Hauptstadt, während zugleich Ukrainer zwischen den Leichen ihrer Landsleute einen Genozid beklagten.

Befragt von „Spiegel TV“ signalisierten viele der Teilnehmer unverhohlene Zustimmung für den russischen Machthaber und käuten die Lügen wieder, die ihnen von der russischen Propaganda-Maschinerie vorgesetzt werden. Die Ukraine habe alles inszeniert. Russland führe keinen „Krieg“. Und die Geflüchteten? „Echte sehen anders aus.“ Gegenprotest gab es zwar am Sonntag, wie in Russland blieb der aber auch in Berlin in der Minderheit.

Breite Unterstützung für Putin in Russland

Die Zustimmungswerte für Wladimir Putin sind, verfügbaren Quellen zufolge, in Russland seit Kriegsbeginn merklich gestiegen. 83 Prozent der vom Meinungsforschungsinstitut Levada Center befragten Russen gaben kürzlich an, dass sie Putins Vorgehen in der Ukraine gutheißen. Im Februar waren es 71 und im Januar noch 69 Prozent. Unabhängigere Daten gibt es nicht.

Die drakonische russische Gesetzgebung in Sachen Meinungsäußerungen dürfte ebenso ihren Anteil an den Umfrageergebnissen haben, wie die unzureichenden russischen Informationen über die sogenannte „Militäroperation“. Mit großflächigem innerrussischem Widerstand gegen den Kreml, so viel scheint dennoch klar, braucht derzeit niemand zu rechnen.

Dass es sowohl in Russland als auch im Exil tausende Russen gibt, die sich gegen Putin und Krieg stellen und dafür Haftstrafen, Verfolgung oder Schlimmeres in Kauf nehmen, sollte dennoch nicht in Vergessenheit geraten. Auch mit jenen, die ihre Faust in der Tasche ballen, weil sie die harten Repressionen fürchten, braucht niemand aus der Ferne hart ins Gericht zu gehen. Was würden wir an ihrer Stelle tun?

„Putins Krieg“ macht die Unterstützung unsichtbar

Wahr ist aber auch: „Putins Krieg“ als Beschreibung droht die Unterstützung der Russen für den Kurs des Machthabers unsichtbar zu machen. Es ist nicht nur ein einzelner Irrer, der da seinen Krieg führt. War es übrigens historisch nie.

In „Putins Krieg“ lässt sich der fromme Wunsch nach der Rückkehr zu einer Normalität erkennen, die es angesichts der russischen Taten in der Ukraine nicht mehr geben kann. Der Abgang Putins wird nicht reichen. Das Ende eines Anführers bedeutet nicht das Ende seiner bösartigen Ideologie.

Wirklich nur „Putins Sprachrohr“?

Noch am Sonntag, als wäre es als Rechtfertigung für Butscha gemeint, veröffentlichte die staatsnahe russische Nachrichtenagentur RIA Novosti eine Kolumne, die erschaudern lässt.

„Die ukrainische Elite muss beseitigt werden, eine Umerziehung ist unmöglich“, konnte man in dem faschistischen Pamphlet lesen. „Der gesellschaftliche ‚Sumpf‘, der sie aktiv und passiv durch Handeln und Nichthandeln unterstützt hat, muss die Strapazen des Krieges durchmachen und die gelebte Erfahrung als historische Lektion und Wiedergutmachung seiner Schuld verinnerlichen.“ Eine „totale Säuberung“ des gesamten Volkes sei durchzuführen.

Butscha Hund 070422

Ein Hund streift durch das zerstörte Butscha. (Archivbild)

Der „Spiegel“ nannte den Verfasser dieser Anleitung zum Genozid, Kolumnist Timofej Sergejzew, in seiner Berichterstattung „Putins Sprachrohr“. Und erneut klang es ein wenig so, als wäre Putin der einzige in Russland, der diesen Wahnsinn mit Überzeugung glaubt. Indizien dafür gibt es allerdings kaum angesichts derartiger Schriftstücke, russischer TV-Sendungen und der jüngsten Umfrageergebnisse.

Wo Melnyk richtig liegt

Die Schüsse in Butscha kamen nicht von Wladimir Putin. Die Knöpfe der Raketenwerfer, die Mariupol und seine Bewohner seit Wochen terrorisieren, wurden nicht von Putin gedrückt. Die Vergewaltigungen ukrainischer Frauen in Charkiw nicht von ihm begangen. Die Folter nicht von ihm durchgeführt. Die Leichen nicht von ihm im Wald verscharrt.

Das könnte Sie auch interessieren:

„Es ist nicht Putin, der Menschen in Butscha ermordet hat. Das waren konkrete Menschen aus verschiedenen Regionen Russlands. Sie haben ihre Verwandten, sie telefonieren nach Hause, sie plündern Häuser“, sagte Andrij Melnyk gegenüber der „FAZ“ auch. Diesmal lag er richtig.

Es ist nicht nur Putin, der Unverzeihliches zu verantworten hat. Es ist nicht sein, sondern Russlands Krieg – wir sollten ihn so benennen. Es war schließlich auch nicht nur „Hitlers Krieg“, sondern auch der meines Großvaters.  

KStA abonnieren