Kommentar zur AfD-PolemikDemokratie und Freiheit sind keine Selbstläufer

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Gegendemonstranten beim Europaparteitag der AfD in Magdeburg schwenken die Europafahnen und zeigen ein Plakat mit der Aufschrift "Solidarität statt Hass und Hetze".

Gegendemonstration zum AfD-Europaparteitag in Magdeburg

Leider gibt es derzeit viel zu wenige, die der extremistischen Polemik der AfD mit einem Plädoyer für die Vorzüge des heutigen Deutschland entgegentreten. 

In einem Land zu leben, das ein gemäßigtes Klima aufweist, ökonomisch stabil ist und dem größten Teil seiner Einwohner ein auskömmliches Leben ermöglicht; in einem Land zu leben, in dem man sagen darf, was man will und staatliche Willkür nicht zur Lebenswirklichkeit gehört. Wer wünschte sich das nicht?

Das Schöne ist: Wer zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen seine Heimat hat, darf diese vergleichsweise paradiesischen Verhältnisse genießen. In kaum einem anderen Land der Welt wird die Freiheit des Einzelnen derart hoch geschätzt und geschützt wie in Deutschland. Man muss nicht weit schauen, um feststellen zu müssen, dass dies keineswegs selbstverständlich sind. Unser demokratisch-rechtsstaatliches Gesellschaftsmodell schützt bis zu einem gewissen Punkt sogar diejenigen, die es bekämpfen.

Mit der AfD sitzt eine Partei mit verfassungsfeindlichen Zielen in den Parlamenten

Mit der AfD sitzt eine Partei im Bundestag und in den Landtagen, deren in Teilen verfassungsfeindliche Ziele längst bewiesen sind. Trotzdem dürfen die Protagonisten ihre Parolen hinausposaunen und ihr rückwärts gerichtetes politisches Programm verfolgen.

Leider gibt es aktuell viel zu wenige, die der extremistischen Polemik der AfD ein Plädoyer für die Vorzüge dieses heutigen Deutschland entgegenhalten. Warum überlässt eine übergroße Mehrheit den Höckes, Weidels und Chrupallas die Bühne? Wo sind die wortgewaltigen Politiker und Politikerinnen, die die Menschen im Land in der Breite erreichen und überzeugen?

Wo sind die großen Unternehmerpersönlichkeiten, die für Demokratie und soziale Marktwirtschaft in die Bresche springen? Und wann beginnt die schweigende Mehrheit zu begreifen, dass dieses so lebenswerte Deutschland immer wieder gestaltet und verteidigt werden muss – nicht nur nach außen, sondern gerade eben auch nach innen?

Weder Kanzler noch Oppositionsführer treffen derzeit den richtigen Ton

Sicher, das Land hat Probleme, große sogar. Es gibt Sanierungsstau, Reformbedarf en masse, und der Klimawandel macht auch nicht an unserer Grenze Halt. Die giftigen, in der Ampel-Regierung auch aus Partikular-Interessen ideologisch geführten Debatten, was wann wie gemacht werden soll, haben etwas Abschreckendes. Weder Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) noch Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) treffen derzeit den richtigen Ton und überzeugen nicht mit souveränem politischem Handeln oder schlüssigen Alternativkonzepten.

Das ist besonders unglücklich, weil die multiplen Dauerkrisen – von Corona über den Angriffskrieg gegen die Ukraine bis zur Klima- und Migrationskrise – das Zutrauen zu den politisch Verantwortlichen in breiten Teilen der Bevölkerung schon schwer geschädigt haben. Die Bundesregierung und die demokratische Opposition sollten weniger politischen Streit inszenieren, sondern Antworten auf die großen Fragen finden.

Noch braucht es nicht den „Aufstand der Anständigen“

Zum Beispiel beim Thema Migration: So verständlich es ist, dass Menschen aus den Krisenregionen dieser Welt versuchen, nach Deutschland zu kommen, so klar ist auch, dass Europa nicht alle aufnehmen kann. Dieses Problem mutig zu thematisieren und transparent nach Lösungsansätzen zu suchen, ist vermutlich das wirkungsvollste politische Gegenmittel gegen das Gift extremistischer Parteien.

Die offensichtliche Vertrauenskrise, die in Teilen der Bevölkerung zur Ablehnung des demokratischen Gesellschaftsmodells führt, ist damit aber nicht beseitigt. Es braucht dafür (noch) nicht den „Aufstand der Anständigen“. Es würde schon reichen, wenn die Anständigen sich endlich dazu bequemten, aus ihren Wohlfühlecken herauszukommen und Verantwortung zu übernehmen.

Es gilt, für diesen Staat zu werben, für die Freiheit zu kämpfen und den Feinden der Verfassung das Wasser abzugraben. Das ist das Mindeste, was wir aus unserer Geschichte gelernt haben sollten: Demokratie und Freiheit sind keine Selbstläufer.

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