Eskalierte BauernprotesteEs fehlten nur noch die Mistgabeln

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Fähranleger im schleswig-holsteinischen Schlüttsiel am frühen Donnerstagabend: Wütende Bauern hindern Vizekanzler Robert Habeck am Verlassen einer Fähre.

Fähranleger im schleswig-holsteinischen Schlüttsiel am frühen Donnerstagabend: Wütende Bauern hindern Vizekanzler Robert Habeck am Verlassen einer Fähre.

Ein Mob will eine Fähre mit Wirtschaftsminister Robert Habeck an Bord stürmen. Eine Grenze ist überschritten.

Es fehlten nur die Mistgabeln und brennende Fackeln: Was sich am Fähranleger von Schlüttsiel gegen Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gebildet hat, war ein Mob. Die politische Diskussion über Subventionen für Landwirte wandelte sich in eine persönliche Bedrohung der Gesundheit Habecks. Damit unterscheidet sich der Auflauf von anderen Bauernprotesten, sei es mit abgeladenem Mist vor Rathäusern oder Trecker-Blockaden von Landstraßen.

Es ist ein Tabubruch, die Folge einer aufgeheizten Rhetorik in der politischen Auseinandersetzung. Einer Rhetorik, die jetzt beendet werden muss. Gewaltphantasien gegen Politikerinnen und Politiker dürfen auch nicht indirekt befeuert werden. Das Gefasel von einem erhofften Umsturz gehört dazu – politische Mehrheiten ändern sich durch Wahlergebnisse. Gewählt werden kann, wer sich an die demokratischen Spielregeln hält.

Die Bauernlobby hat sich aufgestauten Frust zunächst zu eigen gemacht und rudert nach der Anti-Habeck-Eskalation zurück. Sie hätte die Stimmung aber erst gar nicht so aufheizen dürfen. Es war der Bauernpräsident Joachim Rukwied, der Proteste ankündigte, die „das Land noch nicht erlebt“ habe. Das lud dazu ein, dass rechte Gruppierungen die Bauerndemonstrationen zu einem vermeintlichen „Generalstreik“ aufbauschen konnten, der am Montag stattfinden soll. Die Distanzierung fand jetzt statt – zu spät.

Bauern sind auch ohne Aufwiegelung stark und finden in Berlin Gehör

Dabei ist die Agrarlobby auch ohne Aufwiegelung stark. So stark, dass sie sogar in der Bundesregierung direkte Fürsprecher hat. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) hat sich auf großer Bühne in Berlin der Wut der Landwirte gegen die von der eigenen Koalition geplante Abschaffung von Steuervergünstigungen gestellt. Er setzte sich innerhalb der Regierung für einen Kompromiss ein, der am Donnerstag bekannt wurde. Es ist ein deutliches Entgegenkommen gegenüber den Bauern. 

Ausgerechnet an dem Tag blockieren aufgebrachte Landwirte einen Fähranleger, an dem Habeck nach einer privaten Reise von Bord gehen sollte. Eine größere Gruppe drängt auf den Steg und will das Schiff stürmen und einen Angstraum schaffen.

Darf ich mir eine Stimmungslage zunutze zu machen, die aus Lagern kommt, die nicht eindeutig demokratisch verankert sind?
Martin Dowideit

Sollen sich die Wirte im Land etwa ein Vorbild nehmen an der Protestkultur der Landwirte? Sie hätten sich gewünscht, dass die reduzierte Mehrwertsteuer für Gaststätten verlängert wird – doch das passiert nicht. Auch sie sind frustriert, aber der Frust darf nicht in Pöbelei überschlagen.

Anhänger verschiedener Klimabewegungen haben auch Grenzen überschritten und wurden in die Schranken gewiesen. Das Eindringen auf Flughafengelände gehörte zu den größten Verfehlungen. Die Farbattacken auf berühmte Gemälde und Gebäude brachten Aufmerksamkeit, aber letztlich doch nichts – zu viele Menschen störten sich an der Protestform. Statt mehr Menschen für den Kampf gegen den Klimawandel zu begeistern, richtete sich die öffentliche Meinung gegen sie.

Die Bauern sind dabei, denselben Fehler zu begehen. Aus einer verständlichen Aufregung über eine kurzfristig gestrichene Vergünstigung entwickelt sich ein aufschäumender Protest: Die Bauern verspielen so die bestehende Sympathie für die Landwirtschaft.

Jede Lobbyorganisation muss in sich gehen. Was ist angemessen? Wie kann ich Aufmerksamkeit mit Mitteln erlangen, die an Tabus rütteln, ohne verwerflich zu handeln? Darf ich mir eine Stimmungslage zunutze zu machen, die aus Lagern kommt, die nicht eindeutig demokratisch verankert sind?

Zugleich müssen Politiker auf ihre Sprache achten. Auch sie wissen, mit welchen Aussagen sie Aufmerksamkeit erzeugen. Sie setzen rhetorische Tabubrüche gezielt ein. Und auch sie müssen sich fragen: Was ist angemessen?

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