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Kommentar zu Corona-GrenzwertenEs braucht mehr Kriterien als die Inzidenz

Lesezeit 2 Minuten
Maske auf Boden

Die Infektionzahlen steigen – doch reichen die nackten Zahlen, um Maßnahmen abzuleiten?

  1. Köln nähert sich dem in der Corona-Krise kritischen Grenzwert an Neuinfektionen. Andere Großstädte haben ihn bereits überschritten.
  2. Doch was sagt die Zahl „50“ tatsächlich über die Lage und notwendige Maßnahmen aus?
  3. Es braucht weitere Kriterien, um das Infektionsgeschehen zu bewerten und Alarmismus zu vermeiden. Ein Kommentar

Zahlen sind Zahlen. Objektiv, nüchtern, unbestechlich. Aber das scheint nur so. Spätestens in der Coronakrise haben wir gelernt, welche emotionale Wucht und politische Bedeutung sie haben.So ist der Inzidenzwert von 50 Neuinfektionen pro 100 000 Bewohner, an dem entlang derzeit landauf, landab die Corona-Beschränkungen hoch- und das gesellschaftliche Leben in Teilen heruntergefahren werden, eine letztlich willkürliche Grenze. Das würden die Verantwortlichen im Bund und in den Ländern auch kaum bestreiten. Hätten sie sich auf die Inzidenzzahl 40 geeinigt, wäre Köln schon „Risikogebiet“. Bei 70 könnte Berlin-Mitte für den Moment Entwarnung geben. In beiden Städten dürfte sich das Lebensgefühl der Menschen heute aber nicht signifikant unterscheiden.

Man könnte das Jonglieren mit den Zahlen beliebig weitertreiben. Aber es ist eben keine Spielerei, und Corona ist kein Spaß. Die jüngst registrierten 4058 Neuinfektionen, ein Anstieg um 1830 oder 45 Prozent an einem einzigen Tag, geben Anlass zur Besorgnis. Der (noch) lineare Anstieg kann jederzeit in einen exponentiellen umschlagen. Und dann hätten sich alle beruhigenden Hinweise auf milde Krankheitsverläufe und unausgelastete Intensivbetten sehr schnell erledigt.

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Deshalb gilt: Grenzwerte müssen sein, um unterhalb davon ein Höchstmaß an vertretbaren Freiheiten und Bewegungsmöglichkeiten zu gewährleisten. Und um geordnet reagieren zu können, wenn die Situation sich verschlechtert.

Genauso wichtig aber ist es, dass die Wissenschaftler ihre Anstrengungen nochmals verstärken, um das Willkürliche in den politischen Entscheidungen zu minimieren. Zum Beispiel braucht es dringend Verfahren für vereinfachte, schnelle Tests, die in der Breite eingesetzt werden können. Damit ließe sich das Infektionsgeschehen viel besser kontrollieren. Die Abwehr würde passgenauer und präziser.

Die Corona-Krise als Glaubwürdigkeitskrise

Für die statistische Einordnung der Infektionszahlen fehlt immer noch ein vernünftiger Bezugsrahmen. Allein wegen der deutlich gestiegenen Zahl von Tests ist die Wahrscheinlichkeit heute höher, dass die Grenze von 50 positiven Testergebnissen pro 100 000 Einwohner überschritten wird. Weitere relevante Kriterien sind erforderlich, um das Infektionsgeschehen sinnvoll bewerten zu können. Das würde auch helfen, dem zunehmenden Alarmismus entgegenzuwirken. Die Corona-Krise darf im Herbst und Winter nicht auch zur großen Glaubwürdigkeitskrise werden.

Trotzdem bleibt es dabei, dass jeder und jede von uns mit dem eigenen Verhalten dazu beiträgt, ob die Kurven weiter nach oben zeigen oder sich wieder abflachen. Die Gesellschaft würde in vielerlei Hinsicht tödlich getroffen, wenn es erneut zu flächendeckenden Maßnahmen kommen müsste wie im Frühjahr. In der Coronakrise kämpfen Mediziner und Politiker um unsere Gegenwart und unsere Zukunft. Nachlässigkeit, Leichtsinn oder Verdrängung rauben uns beides.