Kommentar zu GeflüchtetenÜber Migrationsprobleme reden, ohne Hass zu schüren

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Eine geflüchtete Familie auf dem Gelände einer Erstaufnahmeeinrichtung

Eine geflüchtete Familie auf dem Gelände einer Erstaufnahmeeinrichtung (Archivbild)

Es ist ein Unterschied, ob man in AfD-Manier Hetze gegen Ausländerinnen und Ausländer betreibt, oder angesichts realer Probleme im Zusammenleben mit Geflüchteten vom Staat Hilfe erwartet.

Bürgermeisterinnen, Landräte, Ministerpräsidentinnen, Parteivorsitzende und auch der Bundeskanzler haben es jetzt mehrfach klar gesagt: Deutschland hat ein Problem mit der hohen Zahl von Geflüchteten. Es fehlt an Ärzten, Psychologinnen, Kindergärtnern, Lehrerinnen und Wohnungen.

Es gibt Schwierigkeiten bei der Versorgung und Integration der Menschen, die in aller Regel auf ihrer Flucht Furchtbares durchlebt haben, und Unmut in jenen Teilen der Bevölkerung, die von alldem unmittelbar betroffen sind: Sie finden selbst keine bezahlbare Wohnung, warten monatelang auf einen Therapieplatz oder haben Sorgen vor finanzieller und emotionaler Überforderung der Gesellschaft.

Nein, man redet nicht der rechtsradikalen AfD das Wort, wenn man solche Missstände benennt. Denn es ist ein großer Unterschied, ob man in AfD-Manier jede Gelegenheit zur übelsten Hetze gegen Ausländerinnen und Ausländer nutzt, oder angesichts realer Probleme im Zusammenleben mit Geflüchteten vom eigenen Staat konkrete Hilfe erwartet. Alle demokratischen Parteien haben das verstanden. Was jetzt verhindert werden muss: ein Überbietungswettbewerb, in dem immer härtere Konsequenzen gefordert werden. Der schürt nur Hass.

CDU heizt Debatte gefährlich an

Stimmen aus der CDU, irreguläre Migration an Außengrenzen auch „mit physischer Gewalt“ aufzuhalten, sind geeignet, die ohnehin aufgeladene Debatte gefährlich anzuheizen. Denn wenn Politiker mit dem C für „Christlich“ im Parteinamen so etwas sagen, ist zu befürchten, dass Hemmschwellen bei Leuten fallen, die Gewalt für eine Lösung halten. Je mehr ungerechtfertigterweise der Eindruck verstärkt wird, dass die Bundesregierung gar nichts unternehme, desto weniger bleibt in der öffentlichen Auseinandersetzung haften, dass die Migrationspolitik der Ampel härter ist als die der vorherigen großen Koalition.

Nur können die Zahlen der Geflüchteten nicht von jetzt auf gleich drastisch reduziert werden, weil dafür noch eine kluge Lösung der Europäischen Union fehlt, es zu wenig Rücknahmeabkommen mit Herkunftsländern gibt und gegen Fluchtursachen wie wirtschaftliche Not und Dürre zu wenig getan wird. Und in Deutschland scheitert weiterhin der gesunde Menschenverstand zur Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt an einer absurden Bürokratie.

1992 war die Zahl der Asylanträge auf fast 450.000 angestiegen. Die Debatte darüber wurde in Politik und Medien aggressiv geführt und irgendwann herrschte die Einschätzung vor: „Das Boot ist voll“. Es kam zu Angriffen auf Flüchtlinge und Migranten. 1993 starben bei dem rassistischen Brandanschlag auf das Haus der türkischstämmigen Familie Genç in Solingen drei Mädchen und zwei Frauen. Die Mutter und Großmutter Melvüde Genç reichte den Deutschen trotzdem die Hand zur Versöhnung und bat, „von nun an müssen wir in Brüderlichkeit, Harmonie und Freundschaft leben“. Das darf im Herbst 2023 nicht schon vergessen sein.

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