Kommentar zur Wahl in RusslandÜberraschung, Putin ist immer noch da

Ein Kommentar von
Lesezeit 4 Minuten
Russian President Vladimir Putin speaks on a visit to his campaign headquarters after a presidential election in Moscow, early Monday, March 18, 2024. (AP Photo/Alexander Zemlianichenko)

Russlands neuer alter Präsident: Wladimir Putin

Während Deutschland über „eingefrorene Konflikte“ streitet, inszeniert Putin eine Wiederwahl als Machtdemonstration.

Eine Wahl ohne echte Gegner, ohne freie Medien und unter Beobachtung bewaffneter Staatsschergen ist keine Wahl. Die ganze Welt weiß, dass die sogenannte Präsidentschaftswahl in Russland in den letzten drei Tagen genau so lief.

Es gibt Videos davon, wie russische Soldaten die Menschen in den besetzten Gebieten mit vorgehaltenem Gewehr an die Urne begleiten. In Russland rief der Kreml zum vorzeitigen Brief- und Internetwählen auf – mit Ergebnissen, die weder objektiv überprüfbar noch fälschungssicher sind.

Warum der Aufwand?

Wladimir Putin, der lange vorher als strahlender Wahlgewinner feststand, wird sich also auch künftig auf der internationalen Bühne nicht ernstlich auf eine demokratische Legitimierung berufen können – egal, wie hoch sein Regime die Wahlbeteiligung treiben konnte. Und das weiß er auch. Warum also der Aufwand?

Zwar muss man betonen, dass Putins Partei nahezu keinen Wahlkampf betrieben hat, wenn man von der Kremlpropaganda in den Staatsmedien absieht; der Aufwand also vor allem in der Organisation und Überwachung dieser riesigen Scheinwahl bestand. Nach diesem dreitägigen russischen Staatszirkus wird er in dieser Angelegenheit für ganze sechs Jahre Ruhe haben. Aber niemand bestreitet ja, dass eine klare Mehrheit Putin unterstützt. Er müsste die Wahlen nicht fälschen, um sie zu gewinnen.

Anders sähe es freilich aus, wenn nicht seit Jahrzehnten alle inländischen Gegner mit zunehmender Brutalität ausgelöscht und jede Opposition systematisch ausgeschalten worden wäre. Das immerhin hat diese Scheinwahl am Sonntag auch gezeigt: Die russische Opposition mag mit der Ermordung Alexej Nawalnys ihre große Leitfigur verloren haben.

Die Opposition setzt Nadelstiche

Aber es gibt sie noch. Und es gibt Russen, die zwar keiner organisierten Gruppe angehören, sich aber dennoch dem System Putin verweigern. Sie folgten dem letzten Protestaufruf Nawalnys auch nach dessen Tod: Durch massenhaftes Besuchen der Wahllokale am Sonntag um 12 Uhr mittags und durch ungültige Wahlzettel mit Protestbotschaften setzten sie kleine Zeichen der Ablehnung. Nadelstiche nur. Es waren zu wenige, um die Wahl ernsthaft zu stören – aber zu viele, um es zu vertuschen.

Gerade deshalb war Putin eine hohe Beteiligung und ein Rekordergebnis so wichtig: als Machtdemonstration. Der Urnengang sollte dem ganzen Land zeigen, dass er es im Schwitzkasten hat. Dass sich ziviler Widerstand nicht lohnt. In Russland nicht gegen die nächste Einberufungswelle in seinen Eroberungskrieg gegen die Ukraine, und erst recht nicht in den besetzten Gebieten, wo die Menschen nicht nur mit Folter, Kindesentführungen und Vertreibung gequält werden – sondern nun auch verhöhnt wurden, indem sie Putin den Tribut zollen mussten.

Doch Putins Machtdemonstration soll auch nach außen wirken. Er weiß, dass wir wissen, dass er nicht demokratisch bestätigt wurde. Und er reibt es uns unter die Nase: Er konnte die Krim erobern und die Kämpfe in der Ostukraine forcieren, ohne dass vermeintlich mächtige Staaten wie Deutschland ihn fallen ließen. Er konnte Nawalny und andere Kreml-Kritiker vergiften lassen, ohne dass westliche Sanktionen verschärft wurden. Er konnte die Ukraine, die direkt an EU und Nato grenzt, überfallen, ohne eine so klare europäische Antwort zu erhalten, dass er das als seinen größten Fehler empfinden muss.

Kein Wunder, dass sich in den abtrünnigen Regionen Georgiens und Moldawiens, Südossetien und Transnistrien, schon wieder prorussische Kräfte ermutigt fühlen, seine Kriegsspiele fortzusetzen. Es sind zwei „eingefrorene Konflikte“, mit denen Europa sich schon einmal den Ärger im Osten vom Leib halten wollte. Es funktioniert so wenig, wie die Friedensverträge von Minsk die russischen Eroberungsgelüste einfroren. Putin kann zufrieden auf die Brandherde blicken, die Europa nicht ausgetreten bekommt, während er daheim eine Pseudowahl ohne nennenswerte Störung inszeniert.

Putin kann nur von Russen gestürzt werden

Wenn der Ukraine-Krieg mit einer eingefrorenen Frontlinie endet, auf dass Russland seine künftigen Scheinwahlen dann offiziell auf ukrainischem Staatsgebiet zelebrieren kann, ist er in Wahrheit nicht zu Ende. Vielmehr werden diejenigen, die im Kreml eines Tages auf Putin folgen, von dieser Erfahrung geprägt und Kinder dieses Geistes sein.

Sie werden gelernt haben, dass Putin recht damit hatte, dass die westlichen Demokratien zu schwach für eine geschlossene Gegenwehr sind. Dass das Europa der vermeintlich starken Nationen wie Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Polen nicht stark genug war, ihn in die Schranken zu weisen: Weil der Wahlkampf immer ein bisschen wichtiger ist; weil zu vielen auch im Westen eine völkische Autokratie sympathischer war als eine liberale, multiethnische Demokratie; weil man sich Ängsten beugte oder an einen Pazifismus klammerte, der sich nicht zu Politik formen ließ.

Putin kann nur von den Russen gestürzt werden, das ist wahr. Aber der Putinismus wird nur überwunden, wenn die Russen ihn als Fehler begreifen.

KStA abonnieren