Nawalnys Einzelhaft in EPKT„Folter am Fließband“ – Was über Putins schärfsten Strafvollzug bekannt ist

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Alexej Nawalny, Oppositionspolitiker aus Russland, ist während einer Gerichtsverhandlung per Video aus einem Gefängnis zugeschaltet.

Alexej Nawalny, Oppositionspolitiker aus Russland, erfuhr, dass er für ein Jahr in die strengste Gefängniszelle Russlands verlegt werden soll, den EPKT-Strafvollzug.

Die Insassen des Strafvollzug EPKT-31 werden seit Jahren gefoltert und sogar getötet. Für ein Jahr geht nun auch Nawalny in EPKT-Haft.

Einen Tag nachdem ein Gericht Alexej Nawalnys Einspruch gegen eine 19-jährige Haftstrafe abgelehnt hat, hat der russische Oppositionsführer erfahren, dass er in die strengste Gefängniszelle Russlands verlegt wird. Das gab Nawalny jetzt auf X (ehemals Twitter) bekannt.

„Gestern, direkt nach meinem Einspruch, wurde ich zu einer Kommission gebracht. Dort wurde mir mitgeteilt, dass ich aufgrund meiner Unbelehrbarkeit für 12 Monate in eine ‚EPKT‘ (Einzelzelle) verlegt werde“, sagte er am 27. September auf X. Ein Jahr EPKT – das sei die denkbar schlimmste Strafe in jedem Gefängnis. 

Nawalny: Die EPKT-Haft ist die denkbar schlimmste Strafe in jedem russischen Gefängnis

Das EPKT ist ein Gefängnis innerhalb eines Gefängnisses. Dorthin verlegt zu werden, ist die härteste Strafe, die der Leiter einer Strafkolonie einem Insassen auferlegen kann. Der Strafzeitraum kann zwischen einem bis hin zu zwölf Monaten variieren.

In das EPKT sollten eigentlich diejenigen verlegt werden, die am gravierendsten gegen Gefängnisregeln verstoßen hätten. Aber nach Informationen des Insiders würden Verurteilte dort auch häufig wegen geringfügiger Vergehen dort hingeschickt – etwa wegen Verweigerung von Übungen, oder weil sie ihre Hände nicht hinter dem Rücken halten können, oder wegen des Gebrauchs von Schimpfwörtern.

Krasnojarsk: Was über das EPKT-31, Putins schärfste Einzelhaft, bisher bekannt ist

Das russische Online-Magazin Insider hat ein Jahr lang zu Folter in russischen Gefängnissen recherchiert. Zeitgleich veröffentlichten russische Menschenrechtsaktivisten ein Archiv von Videoaufnahmen, die Folter an Gefangenen in ganz Russland zeigen. Darin werden Opfer geschlagen, vergewaltigt und erniedrigt.

Ihre Peiniger seien durch den Wunsch motiviert, den Willen der Opfer zu brechen, so heißt es im Insider. Dadurch sollten die Opfer zu Geständnissen gezwungen oder sogar dazu gebracht werden, andere Gefangene selbst zu foltern.

Bis zu 200 Personen werden jedes Jahr in den Zellenblock EPKT-31 verlegt

Der Insider berichtet über den Zellenblock EPKT-31 in der Nähe von Krasnojarsk, auf dem Gelände der Strafkolonie 31. Dort werden Insassen hingebracht, die gegen Gefängnisregeln verstoßen haben – jedes Jahr bis zu 200 Personen.

Fast alle von ihnen werden nach Recherchen des Insiders dort gefoltert. Anwälte hätten keinen Zutritt, während die Gefangenen wochenlang in Kellern festgehalten würden – so lange, bis die Spuren versteckt werden könnten. Schon im Voraus würden die Insassen von den Vollzugsbeamten eingeschüchtert. Ihnen werde gesagt, dass sie schweigen sollen.

„Folter am Fließband“: EPKT-31 ist Schmiede für Know-How in Sachen Folter

Laut Insider ist EPKT-31 „Folter am Fließband“. In Betrieb sei die Folter-Maschine seit mindestens Anfang der Nuller Jahre. „Die Region Krasnojarsk ist innerhalb des gesamten Systems isoliert, sie ist eine Schmiede für Personal und Know-how in Sachen Folter. Sie erfinden dort alles, testen es und verteilen es dann an alle Anstalten im Land“, sagte Valery Slepukha, der ehemalige Vorsitzende der Krasnojarsker ONK (Öffentliche Überwachungskommission) dem Insider.

Folter: Die Arme und Beine der Insassen werden verdreht, bis die Bänder reißen

Diejenigen, die das EPKT-31 durchgemacht haben, beschrieben dem Insider gegenüber dieselben Methoden. So würden Neuankömmlinge etwa in eine Matratze gewickelt. Ihre Arme und Beine würden verdreht, bis die Bänder rissen. Mit Holzhammern werde auf ihre Fersen geschlagen. Ein Beutel werde über ihre Köpfe gezogen und sie würden gewürgt. Ein Handtuch werde über die Gesichter gelegt und heißes Wasser darüber gegossen, sodass die gefolterte Person nicht mehr atmen könne. Zudem werde ihr Anus mit einem Elektroschocker malträtiert, bis das Gerät vollständig entladen sei.

Slephuka: „Insassen werden auch psychotropen Einflüssen ausgesetzt.“ Ihnen würden bestimmte Medikamente verabreicht und Injektionen gegeben. Unbekannte Substanzen würden in die Zellen gepumpt. Viele Menschen seien krank geworden und verloren das Bewusstsein, sagte Slephuka gegenüber dem Insider. Über viele Jahre hätten Menschen, die einander nicht kannten ähnliche Dinge aus dem EPKT-31 beschrieben.

Ehemalige Mitarbeiter des EPKT machen in Russland Karriere

Manchmal seien auch junge Mitarbeiter in das EPKT geschickt worden und dort und von erfahreneren Mitarbeitern ausgebildet worden: Ihnen sei dort etwa gezeigt worden, wie man Beine beugt oder wie man effektiv eine Person ins Bewusstsein treibt – wobei immer darauf geachtet werde, dass die Opfer nicht sterben würden.

Die EPKT-Beamten machten Slehupka zufolge gute Karrieren, manche der „schlimmsten Übeltäter“ fänden sich nach ihrem Dienst in der EPKT-31 in einer hohen Position in Moskau wieder. Statt für Gewalttaten entlassen zu werden, würden die gleichen Beamten immer wieder an neuen Orten auftauchen.

Die Sanitäterin: „Die lebenswichtigen Organe sind in Ordnung – mach ihn weiter fertig“

So hätten Slehupka zufolge mehrere Anstaltsleiter persönlich an den Foltern teilgenommen. Viele von ihnen seien sogar später in höhere Positionen im FSIN (Föderaler Strafvollzugsdienst) gewechselt. Ein ehemaliger Insasse erzählte nach Informationen des Insiders, dass er sich erinnere, wie Sergei Skabelin, der ehemalige Leiter des EPKT in der Tür stand, ihn anschaute und Tee trank, während er gefoltert wurde.

Der Insasse erinnert sich – wie viele andere auch – an die Sanitäterin Nadezhda Gobareva. Eine ältere Frau, die immer dann erschien, wenn die gefolterte Person das Bewusstsein verlor. Dann habe sie den Puls der Person mit ihrem Fuß überprüft, habe Ammoniak gegeben – und in schweren Fällen Injektionen mit Adrenalin. Sie habe die Patienten liebevoll „Kind“ genannt. „Die lebenswichtigen Organe sind in Ordnung - mach ihn weiter fertig“, zitierte einer der Interviewpartner des Insiders sie.

Mehrere Todesfälle sind bekannt, sie alle werden als Selbstmord abgetan

In EPKT-31 sind drei Todesfälle bekannt. Solche Fälle werden in der Regel von der Verwaltung der Strafkolonie als Selbstmorde abgetan, wie dies im Fall des 34-jährigen Tschetschenen Islam Magomadov geschah. Seine Familie habe versucht, seinen Tot untersuchen zu lassen – ohne Erfolg. 

2018 verschwand der 21-jährige Leonid Zelenko. Von der Strafkolonie 17 sei er nach EPKT-31 gebracht worden und kehrte von dort nie zurück. "Soweit wir wissen, wurde er dort erdrosselt", sagte einer von Zelenkos Bekannten gegenüber dem Insider. Auch Leonids ehemalige Zellengenossen sagten, der 2-Jährige sei getötet worden. Doch einen Aufschrei wie bei Islam Magomadov habe es nicht gegeben. Zelenkos Familie habe nämlich derzeit nur noch aus seiner Mutter bestanden, die selbst im Gefängnis saß.

Russland: Der Bundesstrafvollzug hält sich bedeckt

Laut Kolonie-Verwaltung hat Zelenko Sebstmord begannen. Seine Zellengenossen glaubten nicht daran. Auf Anfrage des Insiders und des Komitees für Bürgerrechte, nahm die Hauptabteilung des Bundesstrafvollzugsdienstes wie folgt Stellung zu dem Fall: „Die in der Anfrage dargelegten Argumente über den gewaltsamen Tod des Insassen nicht begründet sind und der Realität nicht entsprechen“.

Ehemalige Insassen erzählten dem Insider, dass das Gefängnispersonal ihnen sogar direkt und persönlich von den Morden erzählt habe. Das Personal habe gedroht, dass den Insassen dasselbe Schicksal blühe.

Im Gefängniskrankenhaus werden offizielle Dokumente gefälscht und falsche Todesursachen angegeben

„Am 13. Juni 2019 hat der stellvertretende Leiter der Strafkolonie für Sicherheit und operative Aktivitäten A.Yu. Slepov mir gedroht, mich für drei Monate in diesen Zellenblock zu versetzen. Wenn ich den Hungerstreik fortsetzte, würde ich am 20. Juni 2019 nach EPKT-31 geschickt, wo man mich erhängt auffinden wird – wie Zelenko und Magomadov“, schrieb einer der Insassen in einer Beschwerde über das Verhalten des Koloniepersonals.

Wenn ein Insasse während der Folter stirbt, wird laut Valiery Slepukha seine Leiche aus dem EPKT in das Gefängniskrankenhaus gebracht. Offizielle Dokumente würden gefälscht und eine andere Todesursache angegeben.

In welche EPKT-Haft der russische Oppositionsführer Alexei Nawalny kommt, ist bisher noch unklar. Doch gelten die EPKT-Haftstrafen von den Bedingungen her im Grunde ähnlich. So ist es durchaus möglich, von den Bedingungen im EPKT-31 bei Krasnojarsk auf andere EPKT-Blöcke zu schließen.

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