2024 stieg die Zahl der ME/CFS-Diagnosen in NRW auf den höchsten Wert in diesem Jahrzehnt. Die SPD fordert mehr Gelder für Forschung.
Chronisches Fatigue-SyndromZahl der ME/CFS-Diagnosen in NRW auf Höchststand

Liegenddemo auf dem Heumarkt für Menschen mit ME/CFS und Long Covid im vergangenen Jahr. Für die Erforschung der Krankheit wird mehr Geld gefordert.
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Im vergangenen Jahr wurde bei 57.326 Menschen in Nordrhein-Westfalen die Krankheit ME/CFS diagnostiziert. Das geht aus der Antwort von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) auf eine Kleine Anfrage der SPD im Düsseldorfer Landtag hervor, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt. Es ist die höchste Zahl an ME/CFS Erkrankungen in diesem Jahrzehnt.
In der breiteren Bevölkerung ist ME/CFS erst seit der Corona-Pandemie ein Begriff. Die neurologische Krankheit wird durch Virusinfektionen ausgelöst, wie dem Pfeifferschen Drüsenfieber, einer Grippe oder Corona. Betroffene leiden an Fatigue, einer krankhaften Erschöpfung, sowie Konzentrationsstörungen, Schmerzen und Schlafstörungen. Bereits vor 2020 litten deutschlandweit schätzungsweise 250.000 Menschen an ME/CFS. Durch die Pandemie hat sich diese Zahl schätzungsweise verdoppelt.
Thorsten Klute, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, fordert die NRW-Landesregierung auf, mehr Geld in die Erforschung der Krankheit zu investieren. „Die betroffenen Menschen sind in ihrer Lebensqualität oft schwer belastet. Sie können über lange Zeit nicht arbeiten und auch einfache Aufgaben im Alltag nicht erledigen“, sagt der Abgeordnete aus Westfalen. „Um die Krankheit besser zu verstehen und behandeln zu können, sollte NRW deutlich mehr in die Erforschung der Krankheitsmechanismen investieren.“
Mutter von erkranktem Kind: „Brauchen mehr Grundlagenforschung“
Ähnlich äußert sich Tanja Bock-Schweizer. Seit ihr Sohn Ed vor fünf Jahren in Folge einer Corona-Infektion schwerst an ME/CFS erkrankte, pflegt die Kölnerin ihr Kind - mittlerweile in Vollzeit. „Es gibt immer noch nicht genug Fördergelder für die Grundlagenforschung“, sagt sie. „Diese wird schon seit Jahrzehnten stiefmütterlich behandelt. Nur, wenn die Grundlagen der Krankheit und ihre Auslöser erforscht sind, kann die Medikamentenforschung daran anknüpfen.“
Ed Bock, 18 Jahre alt, Pflegegrad fünf, leidet an einer schweren Form von ME/CFS. Er hat keine Energie mehr. Nicht zum Aufstehen, nicht zum Waschen, nicht zum Zuhören, nicht zum Denken. Während seine ehemaligen Klassenkameraden ihr Abitur feiern, liegt er in seinem abgedunkelten Zimmer, eine Schlafmaske über den Augen, Hörschutz über den Ohren. An guten Tagen schaffe er es, 15 Minuten zu sprechen, sagt seine Mutter.
Ärzte können zwar die Diagnose ME/CFS stellen, doch eine Heilung existiert ebenso wenig wie Medikamente, die direkt gegen die Krankheit wirken. „Wir geben ihm Medikamente, die immer noch Off-Label sind“, sagt Bock-Schweizer. (Unter Off-Label-Nutzung versteht man den zulassungsüberschreitenden Einsatz eines Arzneimittels, Anm. d. Red.) Als Ed noch minderjährig war, habe die Krankenkasse diese Kosten übernommen, da für Kinder fast alle Medikamente off-Label seien. Seit seinem 18. Geburtstag, sagt die Mutter, zahle die Familie die Medikamente selbst. Sie lindern Eds Schmerzen, geben ihm die Kraft, einen Arm anzuheben und verringern Crashs, in denen er tagelang gar nicht sprechen kann, beschreibt sie die Wirkung.
Die Familie fordert weniger Bürokratie bei der Beantragung von Hilfen, eine bessere Versorgung von ME/CFS-Erkrankten durch Spezialisten und mehr Aufklärung. „Im Moment übernehmen wir die Aufklärungskampagne selber“, sagt sie. Die Initiative LiegendDemo, die auch in Köln bereits zu Demonstrationen auf dem Heumarkt aufrief, hat gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS und dem Verein Fatigio Plakate aufgehängt, die auf typische Symptome einer beginnenden ME/CFS Erkrankung aufmerksam machen sollen. Ziel der Kampagne sei, dass Erkrankte schneller die Diagnose ME/CFS bekommen, damit ihr Zustand sich nicht weiter verschlechtere. „Immer mehr Menschen wissen über die Symptome der Krankheit Bescheid“, sagt Bock-Schweizer. „Das gibt mir Hoffnung.“