Dortmund träumt vom Titel„Der BVB hat die besten Fans weltweit. Borussia bedeutet für uns alles“

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Blick auf die jubelnden Fans des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund am Sonntag (15.05.2011) während der Meisterfeier am Borsigplatz in Dortmund.

Große Euphorie in der Stadt gab es auch 2011 bei der Meisterfeier am Borsigplatz. 2012 wiederholte man den Traum der Dortmunder. Am kommenden Sonntag könnte es wieder Grund zum Feiern geben.

Am Samstag kann Borussia Dortmund die Meisterschale zurück nach NRW holen. Es wäre ein Geschenk für die Fans, die Stadt, für weite Teile des Ruhrgebiets. Eine Geschichte der Vorfreude.

Benedikt Schnurbus‘ Liebe war erstmal blind und nahm ihren Anfang auf einem Remscheider Dachboden, irgendwann Anfang der 2000er. Dede, Ewerthon, Kehl, Odonkor, Weidenfeller. Alle nur auf der Audiospur, denn der Fernseher stand im Wohnzimmer und war besetzt vom so gar nicht fußballbegeisterten Vater Schnurbus. Und so kam es, dass sich drei Teenager, Benedikt, sein Cousin sowie seine Schwester, zur Anstoßzeit mit einem Radiogerät unter das Dach zurückzogen. Um welche Begegnung es sich da genau gehandelt hat, daran kann sich der heute 33 Jahre alte Schnurbus, der drei Tage vor dem entscheidenden Spiel im Wirtshaus „Zum Alten Markt“ in der Dortmunder Innenstadt sitzt, nicht mehr erinnern. Er weiß nur: „Dieses Spiel hat mich überwältigt. Und führte dazu, dass ich 2008 zum ersten Mal in der gelben Wand des BVB-Stadions saß. Südtribüne, Block elf, hinterm Tor. Da war‘s dann endgültig um mich geschehen.“

Borussia Dortmund kann an diesem Samstag im Spiel gegen Mainz die Meisterschale zurückerobern. Nach jahrelanger scheinbar naturgesetzmäßiger Übermacht der Bayern. Nach wiederkehrenden Selbstzweifeln. Nach verstolperten Chancen gegen die Abstiegskandidaten aus Stuttgart und Bochum. Es wäre ein Triumph für die Spieler, allen voran ihren Trainer Edin Terzic, der noch vor wenigen Wochen nach dem vergeigten Spiel gegen Bochum emotional vor die Kameras trat und sagte: „Es ist für uns eine einmalige Chance. Es ist vielleicht für mich eine einmalige Chance in meinem Leben, so nah an die Meisterschale zu kommen.“ Es wäre aber vor allem ein Geschenk für die Fans, die Stadt, für weite Teile des Ruhrgebiets. Wenn der BVB am Samstag gegen Mainz siegt, dann – so darf man erwarten – schwebt eine ganze Region in tränenreicher Glückseligkeit.

Wer sich in den Tagen vor dem entscheidenden Spiel in Dortmund umguckt, der findet quasi niemanden, den die Vorfreude nicht befallen hat. „Holt dat Ding na Hause“, bittet ein haushohes Plakat am Borsigplatz. Eine Gruppe Jugendlicher mit Vaporizern zwischen den Lippen und plustrigen Westen über den trainierten Armen stimmt beim Stichwort „Samstag“ einstimmig „Deutscher Meister wird nur der BVB“ an. Überall Lächeln, das sich nur mühsam zurückhält, nicht in ein Lachen aufzuplatzen. An der Tankstelle, in den Wirtshäusern und Cafés, in der Bäckerei – kein anderes Thema. „Schaffen die das? Ist es so weit? Endlich?“ Auch in der Beratungsstellen für Suchtkranke in Werl planen die Klienten laut Mitarbeiter Micha Toman in fiebrig guter Laune, wie sie am Sonntag im Falle einer Meisterfeier zum Borsigplatz gelangen.

Bocidar Ilic hat dort einen Kiosk und rüstet sich für den Ansturm. Als Dortmund vor zwei Jahren den DfB-Pokal holte, hat man ihm die Kühlschränke leergekauft. „Wirklich leer, ich hatte keine einzige Dose mehr.“ Aber wenn sie Meister werden? „Dann geben hier am Sonntag alle Vollgas. Das können Sie sich gar nicht vorstellen“, sagt der 62-Jährige. Markus Weber, Wirt vom Ardeyschoppen in der Schrebergartenanlage unweit des Stadions, hat fast dreimal so viele Getränke bestellt wie an einem normalen Spieltag. 20 Hektoliter. Und dennoch zweifelt er: „Wird es reichen?“

Auf dem Trainingsplatz von ÖSG Viktoria, Dortmund Körne, liegt am Donnerstagnachmittag das warme Licht der Maisonne. Schatten werfen: Hütchen, Tore, Stangen, ein Ball und eine Handvoll rennender Jungs. „Johannes, Lugh! Herkommen! Kurze Pause“, befiehlt Marcel Raducanu und tigert ein wenig gebückt im blauen Trainingsanzug zum Spielfeldrand. Seit 29 Jahren betreibt der rumänische Ex-BVB-Profi hier in Dortmund eine Fußballschule für Nachwuchstalente. Auch Mario Götzes Beinarbeit geht zumindest in Teilen auf Raducanus unerbittliche Lehransprache zurück. „Ich warte schon lange darauf, dass die Borussia die besseren Karten hat. Jetzt ist es so weit. Der BVB ist dran“, sagt der 68-Jährige.

In den 80er Jahren, als Raducanu bei den Borussen spielte, da war so was wie Titelträumerei nicht angesagt. Man orientierte sich da eher am anderen Tabellenende. Sein größter Erfolg? „Die Rettung vor dem Abstieg 1986 im Entscheidungsspiel der Relegation – gegen Fortuna Köln.“ Raducanu erzählt, wie er damals als junger Spieler nach einem schlechten Spiel mit der Mannschaft im Fahrkorb unter Tage ins Bergwerk gerüttelt wurde. Man wollte den Fußballprofis zeigen, wie wirkliche Maloche geht. Wie man ackert, schwitzt, brennt, alles gibt.

Arbeiterromantik, Leidenschaft, Treue, Authentizität und Ehrlichkeit sind Tugenden, denen hier im Pott sogar ein millionenschweres, auf Erfolg und Gewinn ausgerichtetes Fußballunternehmen wie der BVB gewisse Wichtigkeit einräumen muss. Dortmund. Die ganze Stadt ist ein Verein, so sagt man hier. „Der BVB hat die besten Fans weltweit. Borussia bedeutet für uns Dortmunder alles“, sagt Marcel Raducanu. Das ist eine Romanze, die man sich bei den für gewöhnlich erfolgreicheren Bayern gar nicht vorstellen kann. Ein Ertrag, der in den Bilanzen des Vereins keine Spalte füllt, aber wahrscheinlich dessen größter Schatz ist.

Dass man im Revier die Finsternis kennt, dass man immer eher meisterlich im Überwinden von Rückschlägen und Enttäuschungen denn im erfolgsverwöhnten Feiern war, macht diese Stadt sympathisch. Auch über ihre Grenzen hinaus. Manche sagen, sogar beim Erzfeind Schalke drücke man heimlich für „Doofmund“ die Daumen. Ruhrpottler hielten im Notfall halt zusammen. Und die Bayern seien so ein Notfall.

Noch kann es aber auch schiefgehen. „Es kann immer noch sein, dass Dortmund verkackt. Wenn es drauf ankommt, muss man leider sagen, hat Dortmund ein gewisses Händchen dafür, es zu verkacken“, sagt Benedikt Schnurbus und lächelt dabei wie ein Vater, der über seinen Pechvogel-Sohn erzählt, den er natürlich dennoch über alles liebt. Schnurbus wohnt eigentlich in Köln, die Woche vor dem Spiel verbringt der IT-Berater aber beruflich in Dortmund. Am Samstag wird er einer von 83000 Fans im Stadion sein. Im gelben Trikot, Nummer und Namen von Mats Hummels auf dem Rücken. „Wir wissen alle, dass Bayern gut darin ist, in der letzten Sekunde noch alles zu drehen“, sagt er.

Feiern wird er dann trotzdem. Und auch Markus Weber vom Ardeyschoppen sagt, dass auch bei Platz zwei die Hütte voll sein wird. „Die Jungs haben doch trotzdem ne tolle Saison gespielt. Wir feiern dann halt nicht bis zwei, sondern nur bis Mitternacht.“ Im Übrigen, so gibt es der 14 Jahre alte Lugh Figueiredo aus Raducanus Fußballschule den Profi-Kollegen mit auf den Weg: „Wenn man am Ende weiß, dass man alles gegeben hat, dann kann man stolz auf sich sein. Auch wenn man verliert.“

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