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GesundheitsreportWarum chronisch Kranke gerade in NRW-Städten schlecht versorgt sind

Lesezeit 5 Minuten
Eine Frau benutzt ein Asthma-Spray

Gerade Lungenkranke, aber auch Menschen mit Nierenleiden werden im Rheinland häufig nicht vom Hausarzt weiterbehandelt.

Die Zahl der Arztbesuche in Deutschland liegt auf einem hohen Niveau. Zu einer guten Versorgung führt das nicht zwingend, wie nun Zahlen der AOK Rheinland-Hamburg zeigen. Viel Effizienz geht an der Schnittstelle zwischen Fach- und Hausarzt verloren.

Chronisch Kranke sind in Nordrhein-Westfalen oft zu schlecht versorgt. Vor allem in den Städten entsteht zwischen Facharzt und Hausarzt häufig eine Versorgungslücke. Neu entdeckte Erkrankungen werden beim Hausarzt nicht weiterbehandelt, nötige Medikamente nicht weiterverschrieben. Zuweilen sorgt auch ein stockender Kommunikationsfluss dafür, dass mehrere, nicht zueinander passende Arzneimittel parallel verordnet werden. Das hat der Gesundheitsreport der AOK Rheinland/Hamburg ergeben. „In Deutschland gehen die Menschen so häufig zum Arzt wie nirgends sonst auf der Welt. Diese vielen Kontakte führen aber leider nicht zu einer besseren Versorgung“, sagt Sandra Kisters-Nuderscher von der AOK. An der Schnittstelle Hausarzt-Facharzt gehe sehr viel Effizienz verloren, „nicht weil die einzelnen Ärzte schlecht arbeiten, die Mängel sind systembedingt und gründen auf Überlastung, Unwirtschaftlichkeit und fehlender Institutionalisierung von Kommunikation“.

Während Diabetikerinnen und Diabetiker sich nach Zahlen der AOK Rheinland/Hamburg noch über eine ordentliche Weiterbehandlungsrate von durchschnittlich 66 Prozent freuen können, sind Patientinnen und Patienten, die unter Herzinsuffizienz, Neuropathien oder Nierenkrankheiten leiden, deutlich schlechter dran. Nur jeder fünfte Erkrankte wird hier nach einer Neuentdeckung der Krankheit bei einem Facharzt durch den Hausarzt weiterbetreut. Bei Lungenerkrankungen wie COPD und Asthma mangelt es oft an den Arzneimittelverordnungen. Nur jeder dritte Betroffene bekommt die notwendigen Rezepte weiterhin vom Hausarzt verschrieben. Am schlechtesten wirkt sich alles auf Frauen, ältere Patienten und Pflegebedürftige aus. „Gerade Senioren können sich vielleicht schlechter durchsetzen und trauen sich nicht, ihre Bedürfnisse dem Hausarzt gegenüber klar zu kommunizieren und Frauen, das untermauern unsere Zahlen leider, werden beim Arzt immer noch nicht so ernst genommen wie Männer“, sagt der Stefan Lopez Seijas, Analyst bei der AOK, im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Ländliche Regionen tendenziell besser versorgt als Städte

Auch ein regionales Gefälle lässt sich aus den Zahlen ablesen. So sind die ländlichen Regionen im Rheinland tendenziell ein besseres Pflaster für chronisch Kranke als die Städte. Während in Bonn, Leverkusen, Köln, Essen und Wuppertal nur etwa jeder neunte bis sechste Neuropathie-Patient beim Hausarzt weiterbehandelt wird, ist es auf dem Land zum Beispiel im Kreis Euskirchen sowie im Rheinisch-Bergischen Kreis immerhin fast jeder Dritte. Lopez Seijas vermutet, die Problematik der Städte könnte hier an der größeren Anonymität liegen. „In den ländlichen Regionen kennen sich die Ärzte vielleicht persönlich und so geht weniger Information verloren.“

Nun könnte man meinen, die neue elektronische Patientenakte könnte den Datentransfer unabhängig von persönlichen Zufälligkeiten sicherstellen, allerdings hakt es hier dem Mediziner zu Folge noch in der Handhabbarkeit. „Die EPA hätte großes Potenzial. Derzeit werden aber oft einfach Arztbriefe als Bild dort abgelegt. Das bedeutet, der weiterbehandelnde Arzt muss die alle einzeln anklicken und zur Vorbereitung lesen. Bei der knappen Zeit, die er pro Patient hat, wird er das aber gar nicht schaffen“, so Lopez Seijas. Eine Lösung könnte in Künstlicher Intelligenz liegen, die etwa bei der Arzneimittelverschreibung bei ungeeigneten Wirkstoffen sofort Alarm schlägt. „Aber das ist noch Zukunftsmusik“, sagt Kisters-Nuderscher.

Die Kasse will nun ihre Auswertung nutzen, um Kontakt zu „Best-Practice“-Praxen aufzunehmen und zu ergründen, warum der Informationsfluss zwischen den Hausarzt- und Facharztkolleginnen und -kollegen dort besser läuft. „Bislang spekulieren wir noch. Aber vielleicht entdecken wir andere Prozesse, andere Kontrollsysteme, die eine bessere Versorgung der Patienten möglich machen“, sagt Kisters-Nuderscher.

Generell wiesen die schlechten Werte auf einen Mangel an Vernetzung im deutschen Gesundheitssystem hin. „Wir glauben, dass ein Lotsensystem sehr viel bringen würde“, sagt Kisters-Nuderscher. Gemeindeschwestern, die es derzeit nur in Rheinland-Pfalz gibt und die ältere Menschen zu Hause besuchen und bei einem selbst bestimmten Leben beraten, könnten den Patienten an die richtigen Adressen lotsen und so unnötige Mehrfachbesuche vermeiden. Auch Gesundheitskioske wie „Die Kümmerei“ in Köln-Chorweiler, die eine Anlaufstelle für Menschen mit sozialen und gesundheitlichen Problemen sein will, könnte gut zu Ärzten vermitteln. Sie ist auch Teil der Gesundheitsregion Köln Nord, ein Projekt, das bis Ende 2027 vom Gesundheitsministerium NRW gefördert wird und Bürgern den Zugang zur medizinischen Versorgung erleichtern soll. Hier sollen laut Kisters-Nuderscher auch Daten analysiert sowie Treffen zwischen den Ärzten organisiert werden, so könne das System entlastet werden. Bislang handle es sich hier aber nur um Modellprojekte. Die Gesetzgebung habe notwendige Reformen in der Regelstruktur aber nun versäumt, beziehungsweise aus Sicht der Kassen nicht ausreichend bedacht.

Eine Möglichkeit, die strukturelle Versorgung zu verbessern, böten aus Sicht der SPD-Fraktion im Landtag kommunale medizinische Versorgungszentren (MVZ). Diese könnten auf Engpässe in bestimmten Regionen besser eingehen. „Fehlen bestimmte Fachärztinnen und Fachärzte können diese mit Hausarztpraxen in einem gemeinsamen kommunalen MVZ untergebracht werden. Die Wege von der Hausarztpraxis zur Facharztpraxis sind damit deutlich geringer und die Anfahrtszeit zum entsprechenden Facharzt/zur Fachärztin reduziert sich enorm“, sagt Lisa Kapteinat dieser Zeitung. Die örtliche Verbundenheit unterschiedlicher Fachrichtungen könne damit die Lage für chronisch Kranke „schon allein durch ein gemeinsames Terminbuchungssystem“ deutlich verbessern. Bislang gibt es laut Lisa Kapteinat (SPD) allerdings gerade einmal neun MVZ in NRW, zum Beispiel in Remscheid. Das Problem aus Sicht der SPD: Die meisten Kommunen gingen weiter leer aus. „Obwohl sich das Konzept der kommunalen MVZs bewährt hat, ist eine flächendeckende Förderung des Landes nicht in Sicht“, sagt Kapteinat. 

Das Gesundheitsministerium verteidigt sich auf Anfrage, kommunale MVZs brächten nicht nur Vorteile mit sich, sondern auch Probleme, „sowohl bezüglich der finanziellen Risiken für die Kommunen, als auch hinsichtlich des in der Regel fehlenden Know-hows zur Führung von Arztpraxen“. Im übrigen obliege es der Kassenärztlichen Vereinigung, bei Versorgungsengpässen Förderprogramme aufzulegen.