Bonner Verkehrspsychologe im Interview„Raserei unter jungen Männern ist Ausdruck von Macht und Überlegenheit“

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Schnelle Autos auf der Autobahn im Regen.

Rasen kann zu schweren Unfällen führen. Für die Fahrer selbst und für Unbeteiligte.

Schnelle Autos faszinieren viele junge Männer. Der Verkehrspsychologe Wolfgang Schubert erklärt das Phänomen der Raserei.

Wenn junge Männer mit leistungsstarken Autos in Unfälle geraten, sind die Geschwindigkeiten, mit denen sie fahren, oft hoch, ihre Fahrkenntnisse eher noch unzureichend. Solche Situationen enden immer wieder tödlich. In vielen Fällen sind es nicht die Fahrer selbst, die verletzt werden, sondern unbeteiligte Personen, die sich zur falschen Zeit am falschen Ort befinden.

Wolfgang Schubert ist Verkehrspsychologe am Bonner Institut für Rechts- und Verkehrspsychologie. Er entwickelt Leitlinien für die Begutachtung der Fahreignung und arbeitet an verkehrspsychologischen Testsystemen. Schubert weiß, wie Raser ticken und wen sie gefährden.

Herr Schubert, warum haben vornehmlich junge Männer den Drang zu rasen?

Psychologisch gesehen ist Raserei eine Herausforderung zum Wettkampf, bei dem die Fahrer beweisen wollen, wer der Schnellste oder Beste ist. Forschungsergebnisse zeigen, dass sie unter jungen Männern oft ein Ausdruck von Macht und Überlegenheit ist. Raserei zeigt aber sicher auch eine emotionale und soziale Unreife.

Raserei beginnt mit einem einfachen Blickkontakt zwischen den Fahrern und stellt eine unausgesprochene Herausforderung dar
Wolfgang Schubert

Wie entsteht ein illegales Autorennen?

Das ist zumeist ein Phänomen, an dem mehrere Personen beteiligt sind, mindestens aber zwei. Es beginnt mit einem einfachen Blickkontakt zwischen den Fahrern. Das kann an einer Ampel, einer Kreuzung oder auch auf der Autobahn sein und stellt eine unausgesprochene Herausforderung dar: Wer hat das schnellere Auto? Wer reagiert schneller? Wer kommt schneller von der Kreuzung weg? So entsteht eine Situation, bei der die Fahrer die Gefährlichkeit ihres Handelns nicht berücksichtigen.

Planen die Fahrer ihr Handeln?

Ein illegales Rennen beginnt meist ohne Vorsatz. Wenn es aber fortgesetzt wird, trotz erkennbarer Gefahren wie dichtem Verkehr, Glätte oder Fahrradfahrern, muss man von Vorsatz ausgehen. In solchen Fällen ist eine Anklage wegen fahrlässiger Körperverletzung oder im schlimmsten Fall fahrlässiger Tötung nicht weit entfernt.

Nehmen die Raser nicht wahr, dass sie Unbeteiligte gefährden?

In dem Moment, in dem Menschen sich in eine Raserei hineinfahren, fehlt jegliches Verständnis für mögliche Folgen ihres Handelns. Der Kopf hört auf zu denken. Sie leben im Augenblick und denken nicht an die sich entwickelnde Situation oder die Möglichkeit, dass die Situation eskalieren könnte – und auch nicht daran, dass sie Unbeteiligte gefährden.

Illegales Autorennen: Anklage wegen Mordes in Berlin

In Berlin gab es bereits eine Mordanklage infolge von Raserei. Müsste die Justiz härter bei den Strafandrohungen sein?

In Bezug auf den konkreten Fall, in dem die Justiz hart durchgegriffen hat, stimme ich zu. Allerdings bin ich der Meinung, dass gerichtliche Strafen aus psychologischer Sicht mit Bildungsmaßnahmen verbunden werden sollten.

Zum Beispiel?

Ein Anti-Aggressionstraining, denn Rasen hat viel mit Aggression zu tun, oder ein Kurs in Physik, der erklärt, was bei hohen Geschwindigkeiten physikalisch passiert. Es ist wichtig, dass die Menschen erkennen, dass sie sich auch selbst gefährden, wenn sie zu schnell fahren. Bußgelder und Gefängnisstrafen allein sind nicht ausreichend. Wenn jemand nicht versteht, was er falsch gemacht hat, kann er es auch nicht ändern.

Ist der Drang, mit massiv überhöhter Geschwindigkeit zu fahren, altersbedingt?

Das betrifft eher jüngere Altersgruppen, insbesondere Menschen unter 30 Jahren. Einige Personen mieten bewusst für einen Tag ein leistungsstarkes Auto, um dann loszurasen. Während der Probezeit sind die meisten Fahrer noch zurückhaltender, da sie sonst mit höheren Strafen rechnen müssen.

Können Autovermietungen nicht gegensteuern?

Autovermietungen versuchen, dem entgegenzuwirken, indem sie Autos erst ab einem Alter von 27 Jahren vermieten. Trotzdem gibt es Menschen mit einer gewissen kriminellen Energie, die gesellschaftliche Regeln nicht akzeptieren und brechen wollen. Diese Menschen lassen sich nicht ohne Weiteres stoppen und besorgen sich anderweitig ein Auto.

Spielen soziale Medien eine Rolle bei der Raserei?

Soziale Medien spielen, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle. Obwohl man sich Raser-Videos anschauen könnte, ist das Verlangen, das Adrenalin selbst zu erleben, etwas, dass man nur in der Realität erreichen kann, nicht über Videos. Es ist wichtig zu beachten, dass diejenigen, die an einer illegalen Straßenraserei teilnehmen, sich in der Regel nicht persönlich kennen. Es sind keine Freunde, die sich verabreden und sagen: „Wir treffen uns morgen um 16 Uhr an der Kreuzung X und sehen, wer schneller ist“. Vielmehr ergibt sich Raserei spontan aus der Verkehrssituation.

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