Abo

Interview zu Care-Arbeit„Geben Sie den Druck an die Unternehmen weiter. Nur da sind wir empfindlich“

Lesezeit 4 Minuten
Mit einem Warnstreik und einer Kundgebung fordern Erzieherinnen und Erziehern bessere Betreuungsmöglichkeiten in Kindertagesstätten. Die Gewerkschaft GEW hatte in rund 40 Kitas zum Warnstreik aufgerufen, rund 300 Erzieher nahmen der GEW zufolge teil. Mit der Aktion wollte die GEW Druck in der laufenden Tarifauseinandersetzung im öffentlichen Dienst ausüben.

Kinder im Besonderen und Care im Allgemeinen erhalten nach Meinung der Streikenden zu wenig Beachtung.

Almut Schnerring, Autorin des Buches „Equal Care“ und Mitbegründerin des Equal Care Day über die Bedeutung des Broteschmierens als Teil der Wirtschaftspolitik.

Frau Schnerring, können Sie verstehen, wenn Eltern von Kita-Kindern ohnehin gebeutelt und jetzt vom Streik einfach nur noch genervt sind?

Klar verstehe ich das. Aber am Ende können es die Beschäftigten aus dem Care-Sektor immer nur falsch machen. Wenn sie auf die schlechten Arbeitsbedingungen hinweisen, dann wirft man ihnen vor: Ihr wehrt euch ja auch nicht! Und wenn sie streiken, dann ist es auch nicht recht, weil sie dann diejenigen vernachlässigen, um die sie sich eigentlich kümmern sollen. Deshalb müssten eigentlich die Eltern streiken.

Aber was sollen die Eltern denn tun? Die Kinder vors Rathaus stellen?

Warum nicht? Auf jeden Fall, wenn möglich, nicht zur Arbeit gehen. Aber ich will das gar nicht auf die Eltern abwälzen. Sonst werden nur wieder Eltern und Kinderlose gegeneinander ausgespielt. Besser: Alle müssen streiken, die in irgendeiner Form mit Care zu tun haben.

Schnerring: „Alle, die von Care profitieren, müssen sich zusammenschließen“

Also auch Menschen, die alte Eltern pflegen oder im Altenheim arbeiten oder im Krankenhaus?

Ja, genau. Alle, die von der Care-Arbeit profitieren, müssten sich zusammenschließen. Und da wir alle mal Kinder waren, die aufgezogen werden mussten, da wir alle auch mal krank sind, alle mal alt werden, geht es uns auch alle an. Wenn wir geschlossen nicht zur Arbeit gingen, dann würde sich gesamtgesellschaftlich etwas ändern. Derzeit erleben wir nur, dass einzelne Gruppen gegeneinander ausgespielt werden.

Der Kita-Streik allein ist also nicht das richtige Mittel?

Er ist in jedem Fall legitim, weil Care mehr Wert bekommen muss. Aber der Streik kommt bei denjenigen, die entscheiden und denjenigen, die profitieren, ja gar nicht an. Wenn Eltern das Problem mit privaten Lösungen auffangen, und trotz fehlender Betreuung zur Arbeit gehen, bekommen Verantwortliche das Problem doch gar nicht zu spüren! Das muss sich aber ändern. Langfristig hilft da nur ein grundlegendes Umdenken was den Wert der Care-Arbeit betrifft.

Wie meinen Sie das?

Unser heutiges Wirtschaftssystem baut auf Gedanken auf, die sich ein Mann im 18. Jahrhundert gemacht hat, und die heute noch gelehrt werden. Adam Smith hat aber 60 Jahre lang bei seiner Mutter gelebt, und all die Brote, die sie ihm täglich schmierte, die Wäsche, die sie ihm gewaschen hat, kommen in seinen Überlegungen an keiner Stelle vor. Care-Arbeit wird vorausgesetzt als etwas, das uns gratis zur Verfügung steht.

„Nicht einmal die Pandemie hat zu einem tiefgreifenden Umdenken geführt“

Und auch heute ist das Brote-schmieren eher kein Faktor in der Wirtschaftspolitik.

Richtig. Socken waschen, Windeln wechseln… die ganze Familienarbeit wird nicht mitberechnet in wirtschaftspolitischen Entscheidungen, dabei kann es ohne diese Arbeit kein Wirtschaftswachstum geben. Aber nicht einmal die Pandemie hat zu einem tiefgreifenden Umdenken geführt. Dabei müsste doch inzwischen für alle spürbar geworden sein, dass wir ohne Care-, Pflege- und Versorgungsarbeit nicht existieren können. Dennoch wird dem kein angemessener wirtschaftlicher Wert beigemessen. All diese Arbeit wird gratis abgegriffen, als wäre es eine unendliche Ressource. Ein Betrieb schreibt zum Beispiel eine Stelle für einen Auszubildenden aus und bekommt dann einen jungen Menschen, in dem 18 Jahre elterliche Sorge und Pflege stecken. Das wird aber einfach vorausgesetzt, ohne dass der Betrieb auf der anderen Seite seinen Angestellten die Möglichkeit gibt, ihrerseits Sorge und Pflege für vielleicht künftige Mitarbeitende zu leisten. Das ist dann immer nur lästig.

Was wäre eine Lösung?

Da gibt es verschiedene Ansätze. Im Bildungssystem zum Beispiel müsste eine Care-Biografie mitgedacht werden, stattdessen wird alles auf Erwerbsarbeit getrimmt. Es sollte für Jungen wie Mädchen normal werden, sich phasenweise um andere zu kümmern, ohne dass wir dann von einer „Lücke im Lebenslauf“ sprechen. Es gibt dafür verschiedene Modelle, zum Beispiel ein Zeitkonto von einem bestimmten Umfang, das allen zusteht, und mit dem die Erwerbsarbeit phasenweise unterbrochen werden kann. Finanziert ist das schon jetzt, wenn wir bei der Berechnung endlich einmal mit in den Blick nehmen würden, welche Langzeitkosten aktuell entstehen: die einen sollen ein Erwerbsleben lang durchpowern mit zu wenig Zeit für sich selbst oder ihre Nächsten, während die anderen, und meistens sind es ja Frauen, die die Care-Arbeit übernehmen, ein höheres Risiko tragen, im Alter zu verarmen.

Und wie verhalten sich Eltern bevor wir diese Utopie erreicht haben?

Ich hoffe, Care-Konten sind keine Utopie, sondern ein langfristiges Ziel. Das wir durch Zusammenschluss erreichen. Wer die Care- und Kümmerarbeit als etwas Wesentliches empfindet, sollte sich dem Streik anschließen. Den Druck nicht durch noch mehr Engagement ausgleichen, sondern an die Unternehmen weitergeben. Nur wenn es finanzielle Folgen hat, sind politische und wirtschaftliche Entscheider*innen empfindlich. Bei Kindern sind sie es ja offensichtlich nicht.

KStA abonnieren