Abo

Interview zu Silvester-Krawallen„Wer über Migration spekuliert, handelt populistisch“

Lesezeit 2 Minuten
Polizeibeamte stehen hinter explodierendem Feuerwerk.

In der Silvesternacht gab es Angriffe auf Einsatzkräfte. Unser Bild zeigt die Situation zum Jahreswechsel in Berlin.

Prof. Frank Kalter ist Direktor des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung. Er sieht hinter den Silvester-Ausschreitungen ein breites Sozialisationsproblem.

Herr Prof. Kalter, seit den Silvester-Ausschreitungen gegen Rettungskräfte und Polizei wird häufig über ein Migrations- und Integrationsproblem geredet. Müssen wir diese Debatten führen oder liegt das Problem woanders?

Prof. Frank Kalter: Das ist die entscheidende Frage. Man könnte sogar erst einmal fragen, ob die Zusammensetzung dieser Ausschreitungen wirklich so überraschend ist. Statistisch wird Gewaltbereitschaft und Aggression bei männlichen Jugendlichen zwischen 18 und 25 Jahren aus bestimmten sozialen Gruppen verstärkt beobachtet. Demografisch gesehen ist diese Bevölkerungsgruppe insbesondere in Großstädten überwiegend migrantisch. Daraus jetzt aber eine Migrationsdebatte zu machen, halte ich für absurd. Uns fehlt der Nenner, um überhaupt beurteilen zu können, ob wir es mit einem migrantischen Effekt zu tun haben.

Woher kommt die Respektlosigkeit gegenüber Staat, Behörden und Autoritäten?

Respektlosigkeit gegen Autoritäten oder den Staat sind auch hier in vielerlei Hinsicht nicht wirklich neu. Besorgniserregend ist die zunehmende Gewalt gegen Rettungskräfte und Feuerwehr. Das ist zwar schon seit einer Weile ein Trend, aber nicht ausschließlich unter migrantischen Gruppen, sondern gesamtgesellschaftlich. Weiterhin wurden in Berlin scheinbar 18 verschiedene Nationalitäten unter den Verdächtigen identifiziert, darunter auch Holländer. Es ist also weit hergeholt, über migrationsbedingte kulturelle Eigenarten zu spekulieren. Und wer das tut, handelt vor allem populistisch.

Sollte man vor diesem Hintergrund die nationalen Hintergründe der Aggressoren überhaupt nennen?

Beide Seiten sind nachvollziehbar. Einerseits wird es oft als „Vertuschung“ deklariert, wenn wir die Hintergründe nicht nennen. Andererseits kann man aber auch fragen, warum ist das Merkmal der Migration relevant? Oft wird es auch instrumentalisiert, um eine kulturalistische Erklärung zu suggerieren. Man sollte den Hintergrund nicht verschweigen, wenn er eine ursächliche Komponente ist. Hier aber die Beweislast liegen.

Ist die Gewaltbereitschaft gegen Einsatzkräfte nur ein vorübergehendes Phänomen?

Nein, das glaube ich leider nicht. Der Trend, dass diese Hemmschwellen fallen, zeichnet sich schon seit mehreren Jahren ab. Und die Entwicklung dieser Respektlosigkeit gegenüber gesellschaftlichen Institutionen scheint nicht nur ein Jugendproblem zu sein. Sie findet sehr allgemein und in durchaus gut betuchten Milieus statt. Ich sehe das ganze also eher als ein Sozialisationsproblem, aber ein gesellschaftlich sehr breites. Es ist gut, das jetzt zu thematisieren. So werden die Menschen dafür sensibilisiert und das ist ein erster Schritt.

KStA abonnieren