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Kommentar

System-Versagen
Sich um einen arbeitslosen Mann zu kümmern, wird mehr unterstützt als ein Kind großzuziehen

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2 min
ARCHIV - 19.05.2022, Baden-Württemberg, Ulm: In der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe des Universitätsklinikums weist ein Schild zum Kreißsaal und direkt gegenüber ein Schild den Fluchtweg. (zu dpa: «Weniger Geburten und Hochzeiten in Berlin und Brandenburg») Foto: Stefan Puchner/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Warum die Mühe des Gebärens, wenn ich für all die Anstrengung später auch noch in der Altersarmut lande?

Die Geburtenrate sinkt auf einen Tiefstand. Das liegt daran, dass die deutsche Politik es nicht schafft, Familien und vor allem Müttern ihre Sorgen zu nehmen.

Wer wissen will, ob Deutschland ein kinderreiches Land sein will, der sollte einen Blick auf das Steuersystem werfen. Für eine Frau mit einem Einkommen von 50.000 Euro im Jahr lohnt es sich deutlich mehr, einen arbeitslosen Mann zu heiraten und sich um ihn zu kümmern, als alleinerziehend um ein Kind. Durch das Ehegattensplitting reduziert sich das zu versteuernde Einkommen auf die Hälfte, die Ersparnis ist hoch. Durch den Entlastungsbeitrag für Alleinerziehende reduziert sich das zu versteuernde Einkommen nicht einmal um zehn Prozent, die Ersparnis ist gering.

Es ist also viel Luft nach oben in Sachen Kinderfreundlichkeit. Wer der sinkenden Geburtenrate etwas entgegensetzen will, findet in Deutschland noch zahlreiche weitere Schrauben, an denen sich drehen lässt. Frankreich zum Beispiel gewährt kinderreichen Familien sehr hohe Steuerfreibeträge. Für eine bessere Betreuung wäre es förderlich, wenn Arbeits- und Betreuungszeiten zusammenpassten und Schulen und Kitas nicht schon um vier ihre Türe schlössen. Der Wohnraum müsste in Köln und anderen Großstädten für kinderreiche Familien gefördert und damit günstig zu bekommen sein.

Und die Arbeitskultur? So lange Mütter von zwei Kindern im Schnitt am Ende ihres Lebens nur halb so viel Geld verdient haben wie Männer oder kinderlose Frauen, weil sie neben der unbezahlten Familienarbeit über eine unterqualifizierte Teilzeitkarriere nicht hinauskommen, so lange muss man sich nicht wundern, wenn sie sich ihren Kinderwunsch aus Angst vor Altersarmut verkneifen. Die Rechnung ist einfach: Gäbe es Anreize, die unbezahlte Arbeit, die mit einer Familie einhergeht, gerecht zwischen Männern und Frauen aufzuteilen, wäre das ein Raketenantrieb für die Bereitschaft, das Abenteuer Kinderkriegen auf sich zu nehmen.