In NRW hat die erste Stadt angekündigt, Patienten 267 Euro pro Rettungseinsatz in Rechnung zu stellen. Doch Gesundheit darf keine Frage des Geldbeutels sein.
Rechnung für RettungEin Schritt in Richtung menschenverachtender Zustände


Rettungswagen im Einsatz am Kölner Neumarkt
Copyright: Alexander Schwaiger
Stellen Sie sich vor, Sie verspüren plötzlich einen Schmerz in der Brust, Ihnen wird heiß, Ihre Arme werden schwer. Sie zeigen Symptome eines Herzinfarkts. Ratgeber, zum Beispiel das offizielle Gesundheitsportal deutscher Apotheker, werden sehr deutlich, was Sie jetzt tun müssen: die 112 wählen und einen Notarzt rufen. Aber schnell!
Menschen sollen keine Hemmungen haben, den Notruf zu wählen, heißt es dort. Das gelte auch, wenn sich am Ende herausstellt, dass die Brustschmerzen kein Zeichen für einen Herzinfarkt waren. „Ich würde Sie lieber mit der Gewissheit nach Hause schicken, dass es nichts Ernstes ist, als dass Sie tot oder behindert sind“, zitiert das Portal einen Notfallmediziner.
Wer knapp bei Kasse ist, ruft keinen Notarzt
Doch trotz solch eindringlicher Warnungen könnten immer mehr Menschen künftig keinen Notarzt mehr rufen – auch dann, wenn sie sich um ihr Leben sorgen. Denn es könnte ihnen an die Geldbörse gehen. Essen will als erste Stadt in NRW bald Patienten 267 Euro für eine Krankenwagenfahrt berechnen. Hintergrund sind die Kosten für Fehlfahrten, bei denen am Ende niemand im Krankenhaus aufgenommen wird. Diese werden bislang auf alle Einsätze umgelegt, die Krankenkassen wollen das aber nicht länger bezahlen.
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267 Euro mehr oder weniger auf dem Konto bedeuten für weite Teile der Gesellschaft nicht etwa, ob sie noch eine Shoppingtour machen oder das Geld zur Seite legen können. Nein, sie entscheiden darüber, ob Menschen am Monatsende überhaupt noch Lebensmittel kaufen können. Wer knapp bei Kasse ist, ruft keinen Notarzt, wenn ein paar Wochen später eine saftige Rechnung im Briefkasten landen könnte. Kölns Oberbürgermeister Torsten Burmester hat recht, wenn er sagt, dass Gesundheit und Leben von Menschen gefährdet werden, wenn sie in kritischen gesundheitlichen Situationen zögern.
An Kostenfrage darf ein Rettungseinsatz nicht scheitern
Ich will noch einen Schritt weiter gehen: Wenn Menschen keinen Notarzt rufen, weil sie ihn sich nicht leisten können, rüttelt das an den Grundfesten unserer Sozialgesellschaft. Ich habe ein großes Vertrauen, dass mir bei gesundheitlichen Beschwerden in Deutschland immer geholfen wird, weil wir im Grundsatz ein exzellentes Gesundheitssystem haben, das niemanden links liegen lässt. Wenn es aber künftig heißt: „Sind Sie ganz sicher, dass Sie meine Hilfe brauchen? Sie müssen sonst ordentlich blechen!“, bröckelt das Vertrauen. Und wenn das passiert, erodiert ein zentrales gesellschaftliches Versprechen: dass Gesundheit keine Frage des Geldbeutels ist, sondern ein garantiertes Gut des Gemeinwesens.
Klar ist: Es geht nicht um Bagatellen, darum, dass jemand Zahnschmerzen hat und sich von einem Krankenwagen in die Notaufnahme kutschieren lassen will. Es geht um im Moment des Anrufs ernsthafte Sorgen um Leib und Leben, die auch dann zulässig sind, wenn sie am Ende nicht nötig waren.
Ich habe vor Jahren in New York einen Studenten getroffen, der nicht krankenversichert war, und ihn gefragt, was er denn mache, wenn er richtig krank ist. Seine Antwort: Ich darf nicht krank werden, sonst muss ich mich verschulden. Menschen in Zweifelsfällen für Rettungsfahrten zahlen zu lassen, ist ein Schritt in Richtung dieser menschenverachtenden Zustände.
