Finanzminister rüttelt am KohleausstiegNRW-Grüne wegen Lindner auf dem Baum

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Finanzminister Christian Lindner ist im Interview zu sehen.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat gut lachen: Im Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger stellte er den vorgezogenen Kohleausstieg infrage - und ärgert damit auch die schwarz-grüne NRW-Landesregierung.

Der Bundesfinanzminister Christian Lindner hat den Kohleausstieg 2030 infrage gestellt - die Reaktionen fallen in NRW vor allem beim Grünen Spitzenpersonal harsch aus. Aber die Landesregierung steht geschlossen zu ihren Plänen.

Dass Bundesfinanzminister Christian Lindner den im Koalitionsvertrag genannten Zeitpunkt für den Kohleausstieg in einem Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ infrage gestellt hat, stößt bei Politik und Umweltschutzverbänden auf Kritik. Wörtlich hatte der FDP-Politiker in dem Gespräch gesagt: „Solange nicht klar ist, dass Energie verfügbar und bezahlbar ist, sollten wir die Träume von einem Ausstieg aus dem Kohlestrom 2030 beenden.“

Die Stellvertretende Ministerpräsidentin Mona Neubaur reagierte zunächst sarkastisch-augenzwinkernd: „Der Bundesfinanzminister hat sicher nicht vergessen, dass die Eckpunktevereinbarung zum vorgezogenen Ausstieg aus der Braunkohle im Rheinischen Revier 2030 zu bundesgesetzlichen Änderungen geführt hat. Diesen Gesetzesentwurf hat die FDP selbst, gemeinsam mit den anderen im Bund regierungstragenden Fraktionen, in den Bundestag eingebracht, wo dieser gebilligt wurde“, sagte sie unserer Zeitung auf Anfrage, wurde mit Blick auf die Menschen in der Region aber sehr ernst: „Solch ein wichtiges Thema für parteipolitische Interessen zu nutzen, schürt Unsicherheiten. Nicht nur in der Wirtschaft, auch bei den Menschen im Rheinischen Revier, die nun endlich die langersehnte Sicherheit für ihre Zukunft bekommen hatten.“

Inhaltlich konterte die NRW-Wirtschaftsministerin Lindners Vorstoß ebenfalls und forderte ihn zu konstruktiven Maßnahme auf: „Den vorgezogenen Braunkohleausstieg für die aktuellen Strompreise verantwortlich zu machen, ist auf mehreren Ebenen nicht nachvollziehbar. Wenn der Bundesfinanzminister unsere Industrie wirklich stärken möchte, könnte er beispielsweise bei Brückenstrompreis und Stromsteuer ins Handeln kommen.“

Tim Achtermeyer: „Diese Art der Politik empfinde ich als unanständig.“

Auch der Landesvorsitzende der Grünen, Tim Achtermeyer, stellte in seiner Reaktion die Mitverantwortung der Ampel-Partei FDP voran: „Christian Lindner und die FDP haben den Ausstieg 2030 als Teil der Ampelregierung vor wenigen Monaten mitbeschlossen. Die Diskussion jetzt neu wieder aufzumachen ist unzuverlässig und scheint für Christian Lindner ein machtpolitisches Spiel zu sein“, empörte er sich.

Für die Menschen im Rheinischen Revier bedeutete eine Abkehr von den Plänen „den Verlust ihrer Heimat. Die Bagger würden länger rollen, fünf weitere Dörfer würden im Braunkohleloch verschwinden. Diese Art der Politik empfinde ich als unanständig".

Vom Koalitionspartner in der NRW-Landesregierung kam auf Nachfrage ein klares Ja zu den getroffenen Vereinbarungen. „Wir stehen zum Kohleausstieg 2030. Dieses Ziel ist ambitioniert, aber dennoch zu erreichen. Mit der neuen Leitentscheidung setzen wir dafür auch die rechtlichen Grundlagen“, so Christian Untrieser, wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion.

Untrieser verband sein Statement dann auch direkt mit einer Forderung an den Bund: „Der Kohleausstieg wird am Ende nur funktionieren, wenn wir genug Strom aus anderen Quellen zur Verfügung haben. Daher muss der Bund endlich dafür sorgen, dass wir unsere Ziele bei den Erneuerbaren Energien erreichen und Gaskraftwerke für die Dunkelflaute zubauen.“

Der SPD-Fraktionschef im Düsseldorfer Landtag, Jochen Ott, sieht bei der Landesregierung Handlungsbedarf und nutzte das Lindner-Statement als Steilvorlage: „Der Kohleausstieg 2030 ist ein politischer Wunsch, den Schwarz-Grün im Koalitionsvertrag fixiert hat. Jetzt müssen sie auch dafür sorgen, dass das Ziel erreicht werden kann. Bisher sehe ich da von Herrn Wüst und Frau Neubaur wenig Substanzielles", sagte Ott dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Umweltverbände geißeln Lindners Vorstoß als „klimaschutzpolitisch fatal“

Die großen Umweltverbände bezeichnen Lindners Einlassung in der Sache als „klimaschutzpolitisch fatal“. Heike Naderer, Landesvorsitzende des Naturschutzbundes NRW (NABU), schimpfte entsprechend entnervt: „Wenn der Bundesfinanzminister mal wieder eine für das Eindämmen des Klimawandels inhaltlich dringend notwendige Entscheidung zur Disposition stellt, dann ist das ein für unsere Zukunft unverantwortliches, parteipolitisches Kalkül im Gerangel mit den Koalitionspartnern.“ Naderer forderte „eine konsequente Verfolgung und Umsetzung der Klimaziele, nicht immer neue Nebenschauplätze“.

Der Ausbau der erneuerbaren Energien „ohne Abstriche an Bürgerbeteiligung und Umweltstandards“ müsse oberstes Ziel sein, kommentierte Dirk Jansen vom BUND NRW. Ohne wirksames Energieeffizienzgesetz könnten Energiesparpotenziale bei der energieintensiven Industrie kaum gehoben werden. „Die Verlängerung der Laufzeiten von Kohlemeilern hilft maximal, den kleinen Anteil an Erdgas zu substituieren, der allein der Stromerzeugung dient“, sagte Jansen.

Umweltschützer machen immer wieder darauf aufmerksam, dass der Kohleausstieg 2030 sowieso nicht in Stein gemeißelt ist. Der „Deal“ zwischen RWE, Land und Bund enthält auch die Option, die drei BoA-Anlagen mit einer Leistung von insgesamt rund 3600 MW bis Ende 2033 in eine Reserve zu überführen.

Johannes Pöttering: Backup-Kraftwerke und Stromnetze müssen den Ausstieg absichern 

Zurückhaltendere Töne schlägt Unternehmensvertreter Johannes Pöttering an. „Eine sichere Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen muss absolute Priorität haben. Wenn diese nicht gewährleistet ist, liegt es auf der Hand, dass wir keine bestehenden Kraftwerks-Kapazitäten abschalten können", so der Hauptgeschäftsführer Landesvereinigung der Unternehmensverbände Nordrhein-Westfalen. Ohne deutlich mehr Tempo beim Ausbau erneuerbarer Energien, aber auch grundlastfähiger Backup-Kraftwerke und der dazugehörigen Stromnetze werde ein früher Ausstieg nicht gelingen, mahnte Pöttering.

Lindner will - so sagte er es im Interview - auf Erdgas aus Deutschland setzen. „Die inländische Gasförderung muss intensiviert werden“, forderte er. Außerdem müsse der Zubau von erneuerbaren Energien schneller ermöglicht werden. Auf die Frage, ob Deutschland neue Gaskraftwerke als Reserve im Energiemix brauche, sagte der FDP-Politiker: „Darauf wird es hinauslaufen, aber die Frage ist, wie dies so effizient marktwirtschaftlich gelingt, dass die Strompreise nicht weiter steigen.“

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