Ein Schreiben der Innenstaatssekretärin legt weitere Ungereimtheiten beim Krisenmanagement des Fluchtministeriums nach dem Terroranschlag offen.
Terroranschlag in SolingenMinisterium Paul wusste wohl doch früher über Attentäter Bescheid

NRW-Fluchtministerin Josefine Paul gerät wegen ihres Krisenmanagements weiter unter Druck.
Copyright: Rolf Vennenbernd/dpa
Gut ein Jahr nach dem Terroranschlag in Solingen gerät NRW-Fluchtministerin Josefine Paul wegen ihres Krisenmanagements erneut unter Druck. Ein aktuelles siebenseitiges Schreiben der Innenstaatssekretärin Daniela Lesmeister an den parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu dem Fall legt weitere Ungereimtheiten nahe. Laut dem Papier, das dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt, hat Paul offenbar falsche Angaben zu jenem Zeitpunkt gemacht, an dem ihr Haus über den Täter und dessen Vita umfassend informiert wurde.
Die Grünen-Politikerin behauptet, dass sie erst zwei Tage nach dem Anschlag über das Ausmaß des Anschlags informiert worden sei. Laut Lesmeister informierte sie ihren Amtskollegen im Fluchtministerium, Lorenz Bahr, aber bereits am Nachmittag nach dem Anschlag mit drei Toten und acht Verletzten auf einem Festival umfassend. „Das Gespräch dauerte einige Minuten und bezog sich auf den aktuellen Kenntnisstand. Fragen blieben meines Erachtens nicht offen“, heißt es in dem Schreiben.
Dieser Aspekt ist neu. Bisher hieß es stets aus dem Fluchtministerium, dass an jenem Samstag nach dem Terror-Attentat noch nichts klar gewesen sei. Niemand wusste etwas Genaues bis zum frühen Sonntagnachmittag.
Schreiben: Ministerium erhielt alle Infos über Täter
Folgt man der Aussage der Innenstaatssekretärin, entspricht dies nicht der Wahrheit. Offenbar hatte Lesmeister ihren Kollegen entsprechend über den Tatverdächtigen Issa Al H. am späten Nachmittag des 24. August ins Bild gesetzt. Am Abend schließlich wurde der Terrorist verhaftet. Zudem erhielt die Hausspitze Pauls in jener Zeit durch die zuständige Abteilung alle Informationen über die Migrationsbiografie des 27-jährigen Syrers, der inzwischen zu lebenslanger Haft nebst Sicherungsverwahrung verurteilt wurde. Fatalerweise war der Terrorist aufgrund von Schlampereien der Ausländerbehörden nicht längst nach Bulgarien abgeschoben worden.
Am Wochenende nach dem Anschlag befand sich Ministerin Paul zu einer Gedenkfeier der SS-Verbrechen in Frankreich. Zunächst suchte man die Ministerin vergeblich telefonisch zu erreichen. Beinahe 48 Stunden vergingen, ehe die Grünen-Politikerin nach dem Terrorakt reagierte. Erst am Sonntagnachmittag meldete sich Paul in Düsseldorf bei Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). Zuvor hatte sie sich nach eigenen Angaben in Schalt-Konferenzen auf den Stand der Dinge bringen lassen.
Anschlag von Solingen: Schwere Vorwürfe der SPD gegen Ministerin Paul
Die SPD-Opposition zweifelt diese Version seit Monaten im Untersuchungsausschuss an. Vor dem Hintergrund der neuen Aussage der Innenstaatssekretärin kann es für die stellvertretende Fraktionschefin Lisa Kapteinat „inzwischen kaum mehr einen Zweifel darangeben: Das Fluchtministerium wusste offenbar seit Samstagnachmittag über die Lage Bescheid. Nur hat Ministerin Paul darüber sowohl das Parlament als auch die Öffentlichkeit monatelang im Unklaren gelassen - oder anders ausgedrückt: sogar die Unwahrheit gesagt.“
Aus Sicht der SPD-Abgeordneten ist es an der Zeit, endlich Einblick in die Kommunikationsdaten der beteiligten Personen zu erhalten. Zugleich fordert die Parlamentarierin, die prominenten Zeugen aus der Landesregierung, allen voran Ministerin Paul, sich zeitnah dem Untersuchungsausschuss zu stellen und vernehmen zu lassen. „Die schwarz-grüne Blockade muss endlich aufhören“, so ihr Fazit.