Josefine Paul war nach dem Messer-Attentat im Sommer 2024 zunächst nicht zu erreichen. Wir zeichnen das Ausmaß der Kommunikations-Panne nach.
Nach Solingen-AttentatGeheime Auswertung zeigt, wie lange Ministerin Paul abgetaucht war

Josefine Paul antwortete auch auf Anfragen ihres Staatssekretärs zunächst nicht.
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Recherchen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ zu Kommunikationspannen setzen Flüchtlingsministerin Josefine Paul nun erneut unter Druck. Eine chronologische Analyse der Telefonate und Chatverläufe dokumentiert, dass die Ministerin am Tag nach dem Anschlag und der Festnahme des syrischen Tatverdächtigen Issa Al Hasan am späten Abend komplett auf Tauchstation gegangen ist. Selbst für ihren Staatssekretär war Paul nicht zu erreichen. Offenbar hatte die Grünen-Politiker die Tragweite der tödlichen Messerattacke und ihre Verantwortung zur Aufklärung tagelang nicht erkannt.
Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ zeichnet anhand der Kommunikation innerhalb des Ministeriums die Vorgänge nach. Am Nachmittag des 24. August befindet sich der gesuchte Attentäter noch auf der Flucht. Nahe dem Tatort hat er einen Rucksack mit seinen Papieren verloren, folglich kennen die Ermittler seinen Namen und auch seine Adresse in einer kommunalen Flüchtlingsunterkunft in der Solinger Innenstadt. Umgehend fordert man die Ausländerakte beim zuständigen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) an. Um 17.33 Uhr gehen die Unterlagen bei der Sicherheitskonferenz in Pauls Ministerium ein. Da haben Medien, darunter FOCUS online, bereits gemeldet, dass eine Abschiebung des Syrers nach Bulgarien gemäß des Dublin-Abkommens in der Vergangenheit gescheitert war.
Josefine Paul: Auch unter der zweiten Mobilnummer ging niemand ran
An der Spitze im Flüchtlingsministerium herrscht Chaos. Um 17.54 Uhr ruft Staatssekretär Lorenz Bahr seine Kollegin aus dem Innenministerium Daniela Lesmeister an, um mehr über den Attentäter zu erfahren. Die aber hält sich bedeckt.
Gegen 18 Uhr versucht Bahr die Abteilungsleiterin „Flucht“ zu erreichen, um weitere Details zur Ausländerakte zu erfahren. Die Ministeriale geht nicht ran. Alarmiert durch die News versucht Bahr eine Minute später seine Chefin zu erreichen, die sich in Frankreich befindet, um dort am Sonntag, den 25. August, eine Rede zum Gedenken an ein SS-Massaker im Zweiten Weltkrieg zu halten. Um 18.02 Uhr wählt er die Nummer ihres zweiten Mobiltelefons. Keine Reaktion. Schließlich erreicht er den persönlichen Referenten Pauls. Das Gespräch dauert zwei Minuten. Bis heute bleibt der Inhalt unklar.
Die Ereignisse überschlagen sich. Um kurz vor 21 Uhr funkt Paul ihren Staatssekretär an. Dieses Mal nimmt dieser nicht ab. Um 21.14 Uhr schaltet sich die Abteilungsleiterin Flucht ein und erkundigt sich bei ihren Mitarbeitern, ob der mutmaßliche Attentäter aus der Unterkunft in der Solinger City stamme. Die Mitarbeiter unterrichten die Ministeriumsspitze in einer Mail um 21.22 Uhr über den gesamten Sachstand zum Ausländerstatus des Issa Al Hasan.
Um 22.47 Uhr stellt sich der Gesuchte der Polizei. Paul aber wird nicht über die Festnahme unterrichtet.
Auch Sonntagmorgen scheint Paul noch abgetaucht gewesen zu sein
Am Sonntagmorgen setzt sich das Chaos fort. Um 8.25 Uhr will NRW-Innenminister Herbert Reul von seiner Amtskollegin wissen, „Guten Morgen, wann kann ich Sie heute anrufen ?“ Keine Antwort. Erst zweieinhalb Stunden später meldet sich Pauls persönlicher Referent bei seinem Pendant im Innenministerium. Doch auch hier kommt es zu keiner Verbindung. Hektische Telefonate schließen sich an. Mit der Leiterin „Flucht“, mit der Pressechefin der Ministerin, auch schaltet sich Staatssekretär Bahr ein. Einzig Ministerin Paul scheint abgetaucht zu sein.
Jan Miebach, Vizeregierungssprecher, wählt die Ministerin um 12.19 Uhr ergebnislos an. Zwischen 12.44 Uhr bis 12.59 Uhr ruft die Wirtschaftsministerin und stellvertretende Regierungschefin, Mona Neubaur, bei ihrer Parteifreundin an. Der Grünen-Führung ist längst klar, dass man Erklärungen zum Ausländerstatus des syrischen Terroristen abgeben muss, schließlich häufen sich die negativen Schlagzeilen. Zudem ist eine Kabinettssitzung geplant. Ministerin Paul hingegen antwortet nicht.
In der Folge häufen sich die Telefonkonferenzen im Flüchtlingsministerium. Im dritten Meeting lässt sich die Grünen-Politikerin um 14.19 Uhr zuschalten - und zwar für eine halbe Stunde.
Paul brauchte vier Tage bis zur öffentlichen Einschätzung
Als sich Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) meldet, unterbricht Paul zeitweilig und hört zu. Was besprochen wird, steht nicht fest. Aber um 15 Uhr hält der CDU-Politiker eine digitale Kabinettssitzung ab, um den Solinger Fall zu analysieren. 40 Minuten später erreicht Vizeministerpräsidentin Neubaur ihre Parteifreundin. Die Unterredung währt 15 Minuten.
Acht Stunden nach der Anfrage am Morgen meldet sich Paul bei ihrem Innenressortkollegen: „Lieber Herr Reul, wir haben uns ja nicht erreicht. Besteht aktuell ihrerseits weiterer Austauschbedarf? Jenseits des im Kabinett berichteten habe ich auch noch keine weiteren Erkenntnisse.“
Dabei wusste man zu dieser Zeit alles zu der Asyl-Akte aus dem BAMF. Gleich mehrfach hatte Paul betont, man habe erst zwei Tage nach dem Attentat „konkrete Informationen zu der Person inklusive des Namens erhalten“. Erst dann konnte eine „weitere Aufklärung unsererseits erfolgen, die wir sofort eingeleitet haben“.
Tatsächlich aber scheint das Gegenteil der Fall gewesen zu sein. Das Ministerium war bereits viel früher im Bilde, nur Ministerin Paul war 24 Stunden bis zum Sonntagmittag nicht erreichbar, um das Krisenmanagement zu koordinieren. Die Grünen-Politikerin brauchte vier Tage, um eine öffentliche Einschätzung zu dem Fall abgeben zu können.