Neun Monate nach der blutigen Messerattacke mit drei Toten auf dem Solinger Stadtfest hat der Strafprozess gegen den Syrer in Düsseldorf begonnen - mit einer überraschenden Erklärung.
„Ich habe Unschuldige getötet, nicht Ungläubige“Angeklagter im Solingen-Prozess gesteht Messerangriff

Der Prozess gegen den tatverdächtigen Syrer findet im Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgerichts Düsseldorf statt.
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Issa Al Hasan wirkt schmächtig, als er um 10.50 Uhr den großen Gerichtssaal im Hochsicherheitstrakt des Düsseldorfer Oberlandesgerichts (OLG) betritt. Im blauen Shirt, den Kopf gesenkt, sitzt er auf der Anklagebank. Eine Sicherheitsglasscheibe trennt den mutmaßlichen Attentäter von Solingen von den Kameras, die ihn minutenlang ablichten. Die Pose wirkt, als begebe sich da ein mörderischer Dschihadist plötzlich in eine Büßerhaltung. Am 23. August 2024 soll der syrische Flüchtling auf dem Solinger „Festival der Vielfalt“ drei Menschen getötet und acht weitere Besucher mit einem 15 Zentimeter langen Tranchiermesser teils lebensgefährlich verletzt haben. Und zwar im Namen der Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS). Ein Terroranschlag, der bundesweit für große Bestürzung sorgte.
Da sitzt der Tatverdächtige nun. Urheber eines monströsen Verbrechens und schaut verschämt zu Boden. Als der 5. Strafsenat unter dem Vorsitz von Winfried van der Grinten eintritt, erhebt sich der Angeklagte brav von seiner Bank. Ein eher seltener Vorgang bei radikalen Islamisten, da viele das westliche Rechtssystem ablehnen. Für sie bildet meist die Scharia, die islamische Rechtssammlung, den Leitfaden ihres Lebens.
Mord in drei und versuchter Mord in zehn Fällen sowie die Mitgliedschaft beim IS, lauten unter anderem die Vorwürfe
In diesem Terror-Prozess läuft allerdings vieles anders. Die Verteidigung stellt keine Anträge, die womöglich später im Falle einer Revision vor dem Bundesgerichtshof helfen könnten. Bundesanwalt Jochen Weingarten beginnt zeitnah, die Anklage zu verlesen, die kaum ein grausiges Detail zum Tathergang ausspart. Mord in drei und versuchter Mord in zehn Fällen sowie die Mitgliedschaft beim IS, lauten unter anderem die Vorwürfe.
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Zunächst einmal schildert der Ankläger aus Karlsruhe den Weg der Radikalisierung des Angeklagten. Spätestens seit 2019 soll sich Issa Al Hasan mit salafistischem Gedankengut und dem IS beschäftigt haben. 2020 befasst sich der syrische Migrant mit dem Thema Dschihad - dem „Heiligen Krieg“. Nach dem Überfall der Hamas auf Israel und dem folgenden Nahostkonflikt entwickelt der Islamist demnach den Entschluss, so viele Ungläubige wie möglich zu töten. In Telegram-Chats spricht er etwa mit dem Verantwortlichen des IS für ausländische Attentäter, dessen Kampfnamen Abu Faruq lautet, über seine Anschlagspläne. Der Terror-Instrukteur bestärkt Al Hasan in seinem Vorhaben.

Der Ankläger aus Karlsruhe schilderte den Weg der Radikalisierung des Angeklagten.
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Am frühen Morgen des 23. August produziert Al Hasan an seiner Arbeitsstätte in einem Döner-Laden ein Bekennervideo. Zwei Handtücher verdecken sein Gesicht, sie erinnern an Palästinenserschals. In der Hand hält der Fanatiker ein langes Dönermesser. Hier kündigt er seine Tat an. Im Verlauf des Tages sendet Al Hasen mehrfach Clips an seine IS-Kontakte, späht wiederholt den Tatort am Solinger Fronhof mit seiner Bühne aus. Am frühen Abend informiert er seine Hinterleute: Er wird es tun. Seine Eltern in Syrien bittet er per Nachricht um Vergebung.
Was bei dem Angriff geschah, schildert Bundesanwalt Weingarten im Detail
Um 21.37 Uhr nimmt das Blutbad seinen Lauf. Akribisch beschreibt Bundesanwalt Weingarten die Angriffe. Mit Allahu Akbar-Rufen habe der Angeklagte stets auf die Halsregion gezielt. Das erste Opfer, 56, stirbt durch einen Stich in den rechten Halsbereich, die Klinge durchtrennt die Halsschlagader. Sofort greift Al Hasan einen zweiten Mann an. Der 57-Jährige verblutet noch auf dem Festgelände. Wahllos saust die Klinge nieder. Ein 34-jähriger Festivalbesucher überlebt einzig durch eine Notoperation, eine Frau Mitte Zwanzig ebenfalls nach einem Stich in den Hals.
Der Angeklagte habe gedacht, diese Opfer seien bereits tot, so der Ankläger. Danach habe er sich weiter durch die Menschenmenge geschoben, um seine Attacken fortzuführen. Ines W., 56, durchtrennt der Islamist den Kehlkopf. Die Frau hat keine Chance, stirbt noch am Tatort. Bei ihrem Mann verfehlt der Attentäter die Halsschlagader nur knapp. Viele der Überlebenden erleiden bleibende körperliche Schäden. Manche müssen bis heute mit Posttraumatischen Belastungsstörungen leben. Eines der Opfer wäre beinahe eine Woche nach der Tat an einem Herzstillstand ums Leben gekommen. Zum Schluss stellt Bundesanwalt Weingarten die nachträgliche Sicherungsverwahrung in den Raum. In dem Fall müsste Issa Al Hasan nach der Verbüßung einer lebenslangen Haftstrafe noch weitaus länger im Gefängnis sitzen.
Die Verteidiger bekunden in ihrem Eingangsstatement den Angehörigen der Opfer und Überlebenden der Messerangriffe ihr tiefes Beileid und Mitgefühl. An die Medien richten die Anwälte den Appell, „keinen Hass zu verbreiten“. Man strebe eine Aufklärung nach rechtsstaatlichen Grundsätzen an. Zwar werde sich der Mandant einlassen. Allerdings nicht zum Vorwurf der IS-Mitgliedschaft.
Auf diese Worte folgt das mit viel Spannung erwartete Teilgeständnis des Angeklagten, das die Verteidiger verlesen: „Ich habe schwere Schuld auf mich geladen, drei Menschen sind durch meine Hand gestorben. Ich habe Unschuldige getötet und verletzt und unendliches Leid über diese Menschen gebracht. Deshalb verdiene ich die lebenslange Freiheitsstrafe.“ Erstaunt erkundigt sich der Vorsitzende bei dem mutmaßlichen IS-Mörder, ob dies so richtig vorgetragen sei. Al Hasan hebt seinen Kopf. „Ich bin schuldig, das ist dann so", erklärt der Syrer. Zugleich legt der Angeklagte Wert auf die Feststellung: „Ich habe Unschuldige getötet, nicht Ungläubige.“
Die Aussage deutet auf eine Strategie hin, in der Al Hasan sich selbst als Opfer von IS-Machenschaften geriert. In den zwei Befragungen durch den psychiatrischen Gutachter hat der syrische Migrant angegeben, durch den IS-Instrukteur Abu Faruq hereingelegt worden zu sein. Dies schildert der Sachverständige im Gerichtssaal. So habe Al Hasan berichtet, wie sehr ihn Bilder von getöteten palästinensischen Kindern im Gaza-Konflikt bewegt hätten. Er habe diese Aufnahmen auf seinem Telegram-Kanal weiterverbreitet und sei daraufhin von einem Unbekannten angeschrieben worden, der ihn aufgefordert habe, einen Anschlag in Deutschland zu begehen. Die Deutschen seien mitverantwortlich, habe der Mann gehetzt. Al Hasan will nicht gewusst haben, dass der IS im Hintergrund gestanden habe. Dieser Kontaktmann habe ihm das Gehirn gewaschen.
Er rauche, ziehe Actionfilme der Koranlektüre vor und habe schon manches Freitagsgebet verschlafen
Er sei kein Islamist, habe der Angeklagte nach Angaben des Experten beteuert. Im Gegensatz zur Anklage habe sich der Syrer selbst nicht als streng religiös oder salafistisch bezeichnet. Er rauche, ziehe Actionfilme der Koranlektüre vor und habe schon manches Freitagsgebet verschlafen. Deutschland sei für ihn ein schönes Land. „Hier kann man ein Leben führen, wie man es möchte“, habe er gesagt. Er wäre nicht nach Deutschland geflüchtet, wenn er die Menschen hier als Ungläubige abgelehnt hätte.
Bei der Tat habe er erstmals in seinem Leben unter einer Wahrnehmungsstörung gestanden und auf der Bühne die Leichen palästinensischer Kinder gesehen, führt der Psychiater weiter aus. In der Vorstellung des Angeklagten habe ein israelischer Polizist dazu gelacht - diesen habe er attackiert und sei dann in einen Wald geflüchtet. Tags darauf habe er sich einer Polizeistreife gestellt.
Wenn es die palästinensischen Kinder nicht gegeben hätte, so die Aussage des Angeklagten, hätte er es nicht getan. An weitere Taten könne er sich nicht mehr erinnern.