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Kölner DrogenkriegNeue Anklageschriften beleuchten brutales Drogennetzwerk

Lesezeit 6 Minuten
Das Bild zeigt die Rodenkirchener Villa, in der im vergangenen Juli Geiseln gehalten wurden.

In dieser Rodenkirchener Villa wurden im vergangenen Juli Geiseln gehalten. (Archivbild)

Zwei weitere Anklagen im Kölner Drogenkrieg zeigen auf, wie straff organisiert und brutal die Kalker Drogenbande agierte. 

Die Männer verfolgten im Frühsommer 2024 viele Spuren. Die Gangster standen unter enormen Druck. Der mutmaßliche Kölner Bandenboss Sermet A., 22, ließ nach den 350 Kilogramm Gras im Wert von 1,5 Millionen Euro suchen, die ihm geraubt worden waren. Der Deutsch-Iraker vermutete, dass ein Mitglied eines kurdisch-libanesischen Clans aus Duisburg einer der Täter gewesen sein könnte. Über Kontakte in der Szene erhielt die Kölner Bande eine Adresse in der Ruhrmetropole. In der Nacht des 5. Juli 2024 fuhren drei Mitglieder der Gang den Wohnort des mutmaßlichen Räubers an. Vor dem Haus stand ein dunkler Audi. Genauso einen Wagen hatte die Überwachungskamera des Drogenlagers in Hürth aufgenommen, als mehrere maskierte Männer die Wächter des Rauschgiftbunkers zwei Wochen zuvor überfallen und die Hälfte der aus den Niederlanden gelieferten Ware gestohlen hatten. Nun war man sich sicher, einen der Täter gefunden zu haben.

Neue Anklageschriften: Drogenboss soll Folter angeordnet haben

Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ soll der damals untergetauchte Bandenchef Sermet A. über seine Kontakte in die niederländische Unterwelt einen 17-jährigen Jugendlichen angeheuert haben, der gegen ein Uhr am 5. Juli vor dem Duisburger Haus einen Sprengsatz zündete. Die Bewohnerin, die gerade zur Haustür eilte, kam mit dem Schrecken davon. Die Detonation hinterließ einen schwer beschädigten Eingang. Später stellte sich heraus, dass der gesuchte Cannabis-Räuber gar nicht an der Wohnadresse lebte.

So steht es in einer der beiden neuen Anklagen rund um den rheinischen Drogenkrieg, die der „Kölner Stadt-Anzeiger“ einsehen konnte. Nach dem Diebstahl vor knapp einem Jahr hatte der mutmaßliche Boss Sermet A. laut Staatsanwaltschaft eine Welle der Gewalt mit dutzenden Sprengstoffanschlägen und Entführungen in Gang gesetzt. Sie zog sich durch die Rhein- und Ruhrschiene – und richtete sich teils gegen eigene Leute. Laut Anklage soll Sermet A. auch die Geiselnahme eines Paares in Bochum, die angeblich mit dem geraubten Marihuana dealten, durch seine Leute angeordnet haben. Der gekidnappte Libanese und seine Partnerin dienten laut Sermet A. als Köder, um von dem Bruder der männlichen Geisel den Stoff wieder zu erhalten.

Das Bild zeigt die Folgen einer Explosion auf der Ehrenstraße.

Nach dem Raub von 350 Kilogramm Cannabis kam es zu einem Drogenkrieg mit Sprengstoffanschlägen, Mordversuchen und Geiselnahmen in Köln und anderen Städten in NRW. (Archivbild)

Aus seinem Versteck heraus soll der Kölner Drogenboss per Chatnachricht befohlen haben, die Entführten nicht erst zum Folterkeller nach Rodenkirchen zu fahren, sondern an einen ruhigen Platz zu bringen. Dort sollte man den Geiseln vier Finger und danach die Hand brechen, um die Adresse des Drogenbunkers der Familie der Entführten herauszubekommen. Seine Handlanger befolgten jedoch den ursprünglichen Plan und brachten ihre Opfer am 4. Juli in die Villa nach Rodenkirchen.

Sermet A., der unter Pseudonym „Whiterocket“ oder „John Wick“ in den Chats agierte, befahl die Gekidnappten zu foltern und davon Videos zu produzieren, um ihre Familie unter Druck zu setzen. A. zählte die Frist in Mitteilungen an die Angehörigen herunter, es sei Krieg, drohte der Boss. Die Gegenseite beteuerte hingegen ihre Unschuld. Man habe mit dem Raub nichts zu tun, hieß es. Zur Antwort sausten eine Eisenstange oder ein Pistolenknauf auf die Opfer nieder. Gegen 17 Uhr am 5. Juli befreite ein Spezialeinsatzkommando (SEK) der Polizei die Entführten und nahm ihre Bewacher fest.

„Bezahlte Killer“

Seit einigen Wochen laufen schon drei Prozesse gegen mutmaßliche Bandenmitglieder, die in den rheinischen Drogenkrieg verwickelt sein sollen. Die zwei neuen Anklagen konzentrieren sich auf weitere Kidnapper von Rodenkirchen. In einem Fall müssen sich die Nummer drei der Kalker Gang, Spitzname Osman, nebst sechs Laufburschen vor Gericht verantworten. Daneben wirkten laut Anklage auch drei angemietete Niederländer mit. Letztere sollen die Geiseln mit Waffen in Schach gehalten haben oder sie auch misshandelt haben. Intern sprach einer der Angeklagten im späteren Verhör von „bezahlten Killern“. Eine Aussage, die an die Methoden der so genannten Mocro-Mafia (Slangname für gebürtige marokkanische Drogenbanden) im Nachbarstaat erinnert.

Noch vor dem SEK-Zugriff verschwanden die Männer nach Amsterdam. Dort spürte man zumindest einen der Tatverdächtigen auf. Nach Informationen dieser Zeitung wurde Emanuel W., 20, bereits am 21. Januar an seiner Wohnanschrift in Amsterdam festgenommen. Drei Monate später lieferten die holländischen Behörden den Beschuldigten an die hiesige Justiz aus. Er muss sich demnächst mit zwei Geiselnehmern aus Köln vor der Großen Jugendstrafkammer verantworten.

Bereits 40 Personen unter Tatverdacht

Seit einem Jahr ermittelt die große Ermittlungsgruppe „Sattla“ (arabisch für Haschisch) in dem Komplex. Immer mehr lichtet sich das Bild in einem schwer durchschaubaren Netzwerk verdächtiger Protagonisten. Bisher stehen 40 Personen in unterschiedlichen Rollen unter Tatverdacht.

Und so langsam beginnen etliche führende Figuren der Kölner Drogenbande unter dem Eindruck der Untersuchungshaft zu plaudern. Seit Ende Februar packte ein deutsch-marokkanischer mutmaßlicher Folterer in 14 Vernehmungen aus. Laut seiner Aussage gab es nur einen Chef: Sermet A. 5000 Euro soll er an einige Geiselnehmer aus seiner Gang bezahlt haben. Seine rechte Hand, ein Deutsch-Iraker, firmierte in den Chats unter „X1“ oder „Razer“. Er soll die Kommandos des Bandenchefs weitergegeben haben. Als Nummer drei in der Hierarchie fungierte der Syrer Osman aus Kalk. Er soll die Geiseln aus Bochum in die Falle gelockt haben.

Täter bietet Opfern 1400 Euro Schmerzensgeld

Ende 2024 schrieb der bereits vorbestrafte Angeklagte aus der U-Haft einen Brief an seine Freundin. Wenn die gekidnappte Frau nicht lügen würde, käme er mit großer Wahrscheinlichkeit mit einer Bewährungsstrafe davon. Doch dann begann Osman zu jammern. Keine Ahnung, warum er da mitgemacht habe. Vermutlich werde er dies auf ewig bereuen, ließ er wissen. Am 8. April hatte Osman über seinen Verteidiger laut Anklage die Tat gestanden. Den beiden Opfern hatte er zuvor 1400 und 4000 Euro als Schmerzengeld angeboten.

Die Kalker Drogenbande muss seit Ende 2023 das große Rad gedreht haben. Angeführt durch den mutmaßlichen Chef Sermet A. schlossen sich zwölf mutmaßliche Kriminelle zusammen, um im großen Stil mit Rauschgift zu dealen. Die Gang war gut strukturiert. Es gab Führungsebenen, eine mittlere und eine untere Etage. Heroin, Kokain, Ecstasy oder Cannabis-Produkte wurden aus Marokko und den Niederlanden im großen Kilobereich eingeführt, um die Drogen bundesweit zu veräußern. In Köln wurde der Stoff an den Hotspots wie dem Neumarkt, dem Appellhofplatz oder dem Friesenplatz und in Diskotheken vertickt.

Einige Gangmitglieder ließen sich im holländischen Heerlen schulen, um Koks aufzukochen oder Heroin im richtigen Verhältnis zu mischen. Frauen agierten als Drogenboten oder Geldkuriere. Eine Beschuldigte hatte sich sogar den Namen des Kalker Rauschgiftchefs auf den Rücken tätowieren lassen. Zwei Banden-Größen sollen die illegalen Einnahmen über einen Kiosk und einen Kosmetikladen am Hohenzollernring gewaschen haben. Überdies schleuste man laut Staatsanwaltschaft Einnahmen über ein Büdchen in Kalk in den legalen Finanzkreislauf. Problemlos wurden etwa 250.000 Euro für Waffenkäufe und gefakte Drogendeals aufgerufen. Am Ende scheiterten die Bemühungen des Bandenbosses. Inzwischen sitzt auch er in U-Haft und wartet auf seine Anklage.