Nach Schlachthof-Drama in HürthViele Gräueltaten gegen Tiere bleiben trotz Hinweisen straflos

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Das Bild zeigt einen Schlachthof in Hürth

Aus diesem Schlachthof in Hürth wurden grauenvolle Schlachtszenen von Tierschützern öffentlich gemacht.

Nach der Tierquälerei in einem Hürther Schlachthof geraten auch andere Schlachthöfe ins Visier. Doch die Behörden stehen vor einem Problem.

Es sind entsetzliche Bilder aus einem Schlachthof in Hürth, die im Januar publik wurden. Schafe werden an einem Hinterbein brutal in den Schlachtraum gezerrt und auf den Boden geworfen, Männer stellen sich auf ihre Schwänze, um die panischen Tiere in Schach zu halten. Rinder werden mit Mistgabeln malträtiert und dabei auch ins Gesicht und in die Augen gestochen.

Tiere müssen erst lange mit ansehen, was ihren Artgenossen passiert, bevor sie selbst mit einem Bolzenschuss betäubt werden – der allerdings teils so stümperhaft ausgeführt wird, dass die Tiere noch zappeln und kämpfen, als ihnen die Kehle durchgeschnitten wird. Bei einigen Tieren wird ganz auf die Betäubung verzichtet, ihnen wird bei vollem Bewusstsein das Messer an den Hals gesetzt. Ein Schaf tritt nach dem Schnitt noch lange wild um sich, während das Blut aus ihm herausläuft.

Tierschutzverstöße in Hürth führten schnell zu ersten Maßnahmen

Die Aufnahmen wurden dem Deutschen Tierschutzbüro in Sankt Augustin zugespielt. Jan Peifer, der Vorsitzende der Tierrechtsorganisation, leitete sie an das zuständige Veterinäramt im Rhein-Erft-Kreis und das Ministerium für Landwirtschaft und Verbraucherschutz (MLV NRW) weiter.

Die Tierschutzverstöße waren so offensichtlich und gut dokumentiert, dass es daraufhin sehr schnell ging: Noch am selben Tag wurde der Schlachthof versiegelt und das weitere Schlachten dort wurde untersagt. Den beteiligten Schlachtern entzog man die Sachkunde, also die Zulassung, schlachten zu dürfen. Dem Betreiber drohen drei Jahre Haft. 

„Es melden sich wahnsinnig viele Menschen“

Seit der Fall Hürth medial publik wurde, häufen sich nun die Hinweise auf Tierschutzverstöße in weiteren Schlachthöfen. „Es melden sich wahnsinnig viele Menschen aus ganz Deutschland bei uns“, sagt Peifer. Diese Verdachtsmomente gebe er immer direkt an die zuständigen Veterinärämter und Ministerien weiter. Das MLV NRW bestätigte auf Anfrage, seit dem Fall in Hürth über weitere, angeblich illegale Schlachtungen in Betrieben in Erftstadt, Siegen und Gütersloh informiert worden zu sein. Man habe dort „unmittelbar am selben Tag“ Kontrollen durchgeführt: „Diese neuen Verdachtsmeldungen konnten aber nicht bestätigt werden.“ Ein Betrieb in Erftstadt wurde in der vergangenen Woche dennoch geschlossen. Offiziell aufgrund von Verstößen gegen das Baurecht.

Einen weiteren Fall gibt es in Dorsten: Dort hat ein Whistleblower der Tierschutzorganisation Peta ein Foto zugespielt, auf dem deutlich zu erkennen ist, dass Hühner bei vollem Bewusstsein in sogenannte „Schlachttrichter“ gestopft wurden. Die Köpfe sind bewusst angehoben, das viele Blut und abgetrennte Hühnerköpfe in der Rinne darunter lassen darauf schließen, dass die Tiere kurz vor der Tötung ohne Betäubung standen. Bei einer unmittelbar erfolgten Kontrolle konnten die Behörden keine Verstöße feststellen, verboten dem Betrieb aufgrund des Bildes aber das Schlachten von Geflügel. Rinder, Ziegen und Schafe dürfen weiterhin getötet und verarbeitet werden. Das stößt bei Peta auf Unverständnis. „Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass dort auch andere Tiere illegal geschächtet werden“, sagt Scarlett Treml, bei Peta Fachreferentin für Tiere in der Agrarindustrie.

Das betäubungslose Töten ist nicht das einzige Problem

Die Tierschützer bei Peta und beim Deutschen Tierschutzbüro sind überzeugt, dass das illegale betäubungslose Töten zwar ein Problem in deutschen Schlachthäusern sei, aber eben bei weitem nicht das einzige. „Das Leben von Nutztieren ist durchzogen von Leid und Schmerz“, sagt Scarlett Treml: „Leid in deutschen Schlachthöfen wird es geben, solange es Schlachthöfe gibt.“ Beide Organisationen wollen die industrielle Massentierhaltung beenden und treten für eine rein pflanzliche Ernährung ein. „Wir bringen an die Öffentlichkeit, was die Tierindustrie der Gesellschaft versucht vorzuenthalten“, heißt es in einer Selbstdarstellung des Deutschen Tierschutzbüros.

Tiere zu töten, zu zerlegen und das Fleisch zu verarbeiten, ist ein lukratives Geschäft in Deutschland. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden 2022 in den deutschen Schlachtbetrieben 51,2 Millionen Schweine, Rinder, Schafe, Ziegen und Pferde sowie 701,4 Millionen Hühner, Puten und Enten geschlachtet. In den nach Sachstand des Landwirtschaftsministeriums rund 450 Schlachthöfen in Nordrhein-Westfalen waren es laut des Landesbetriebs IT-NRW im Jahr 2021 knapp 17,5 Millionen Tiere (ohne Geflügel), die Zahlen für 2022 liegen noch nicht komplett vor.

Deutschlandweit sinkt die Produktion von Schweine- und Rindfleisch seit 2016 zwar (siehe Grafik), aber Massentierhaltung und -tötung sind und bleiben ein beachtlicher Industriezweig. Dabei wachsen die großen Schlachtunternehmen durch Übernahmen und Fusionen stetig. Die Heinrich-Böll-Stiftung schreibt in ihrem „Fleischatlas 2021“: „Allein auf die drei größten Unternehmen – Tönnies, Westfleisch und Vion – entfällt ein Marktanteil von 57,1 Prozent. Die zehn größten Schweineschlachtbetriebe haben 2018 zusammen einen Marktanteil von 78,9 Prozent erreicht.“

In Großbetrieben ist ein Veterinär vor Ort

Der Schlachthof in Hürth war ein kleiner Betrieb. Da stellt sich der Laie das Schlachten ein bisschen heimeliger vor als bei Tönnies oder Westfleisch. In etwa so: Die Kuh wird liebevoll bis zum Bolzenschuss begleitet, verliert innerhalb kürzester Zeit das Bewusstsein und bekommt dann nichts mehr mit vom todbringenden Hals- oder Brustschnitt. Die Realität sähe allerdings ganz anders aus, betont Jan Peifer. Aus Tierschutz-Sicht sei seine Erfahrung mit Schlachthöfen: „Je kleiner, desto schlimmer.“ In den Großbetrieben sei bei jeder Schlachtung ein Veterinär vor Ort, der das Prozedere überwacht. In Betrieben, in denen mehr als 1000 Großvieheinheiten pro Jahr geschlachtet werden, ist das gesetzlich vorgeschrieben.

Zudem werde routinierter getötet, sagt Peifer. „So einen Bolzenschuss richtig zu setzen, ist wahnsinnig schwierig. Damit das Tier richtig betäubt wird, muss ein ungefähr Zwei-Euro-Stück großes Areal im Gehirn getroffen werden.“ Wer das nur ein paarmal in der Woche macht, könne nicht über die Präzision von jemandem verfügen, der ein Vielzahl von Tieren pro Tag betäubt. Sehr viel besser ergehe es den Tieren aber auch in den Großschlachtereien nicht, Fehlbetäubungen und furchtbares Leid gebe es auch dort ebenfalls. Hinzu kämen oft menschenverachtenden Arbeitsbedingungen, die während der Corona-Pandemie in einigen Betrieben publik wurden. Illegales betäubungsloses Schlachten allerdings könnten sich diese Unternehmen nicht leisten, glaubt Peifer.

Kaum Möglichkeiten der Kontrolle

Kleinere Schlachthöfe hingegen schon. Und offenbar brummt das Geschäft. Wer illegal schächtet, kann auch Tiere schlachten, die legal nicht dafür zugelassen wären. Etwa ein Rind mit einem gebrochenen Bein, das der Bauer eigentlich gegen Bezahlung einschläfern lassen müsste – so aber immerhin noch für ein paar Euro an einen Schlachter verkaufen kann. Der Bauer verdient, der Transporteur, der eigentlich nur Tiere zum Schlachthof bringen darf, die selbstständig auf den Anhänger und wieder heruntergehen können, ebenfalls, und der Schlachter sowieso. „Keiner der Beteiligten hat ein Interesse daran, dass das aufhört“, sagt Tierschützer Peifer.

Und die Veterinärämter haben ganz offensichtlich kaum Möglichkeiten, diese Tierschutzverstöße in kleineren Betrieben durch unangekündigte Kontrollen aufzudecken. Wenn der Veterinär auf den Hof fährt, sich einen Kittel überzieht und seine Siebensachen zusammensucht, ist das kaum zu übersehen. Aus dem MLV NRW heißt es, „dass die reguläre amtliche Kontrolle mit krimineller Energie durchgeführte illegale Handlungen wie das betäubungslose Schlachten nicht abschließend verhindern kann“. Man appelliere an alle Bürgerinnen und Bürger, mögliche Tierschutzverstöße den örtlich zuständigen Veterinärbehörden zu melden. Und bei den ungeklärten Verdachtsfällen habe man „die betreffende Tierschutzorganisation“, also das Deutsche Tierschutzbüro, „explizit um weitere Rückmeldungen gebeten, falls weitere Beweismittel vorhanden sein sollten“.

Das heißt im Klartext: Ohne Videos oder Fotos von Insidern oder Tierschutzaktivisten kommen die Behörden den teils massiven Tierschutzverstößen in Schlachthöfen nicht auf die Spur. Das Bundesland NRW setze sich „für die Einführung einer gesetzlich vorgeschriebenen Videoüberwachung in den sensiblen Bereichen der Schlachtung, die auch kleine Schlachtbetriebe umfassen sollte“, ein, heißt es noch aus dem Landwirtschaftsministerium: „Hierfür müssen entsprechende Rechtsgrundlagen auf Bundesebene geschaffen werden.“

Das sei „nur eine Beruhigung fürs Volk“, urteilt Jan Peifer. Solche Videoüberwachungen durchzusetzen, sei zum einen „rechtlich unglaublich schwierig“, und zum anderen bleibe die Frage: „Wer guckt sich das alles an?“ Zumal Szenen wie jene auf dem Video aus Hürth sich dann mit Sicherheit nicht in den Bereichen eines Schlachthofes abspielen würden, die im Blickwinkel einer Kamera liegen.

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