Verbot der Jogginghose an Schulen„Das Gehirn berücksichtigt, ob sein Besitzer im Gammellook lernt“

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In Jogginghosen gehen junge Männer die Königstraße entlang. Ein Jogginghosen-Verbot an einer Schule in Wermelskirchen schlägt hohe Wellen. Medienberichten zufolge hat die Leitung der dortigen Sekundarschule begonnen, die schon länger geltende Kleiderordnung der Schule umzusetzen und Schüler in Jogginghosen nach Hause geschickt.

Ein Jogginghosen-Verbot an einer Schule in Wermelskirchen schlägt hohe Wellen.

Eine Sekundarschule in Wermelskirchen soll Schüler in Jogginghosen vom Unterricht ausgeschlossen haben. Rechtlich ist das kaum haltbar, aber ergibt eine Kleiderordnung an Schulen Sinn?

Für ein Verbot: Sorgfalt bei der Kleiderwahl steigert den eigenen Wert

Dass die Bemühung um ansprechende Kleidung ein Leben verändern kann, wusste schon Gottfried Keller, der im 19. Jahrhundert in seiner Novelle „Kleider machen Leute“ den Schneider Wenzel Strapinski durch die Lande ziehen lässt. Und zwar trotz Armut in stattlichem „Radmantel“ mit „Sammetfutter“ und Pelzmütze, zu deren Finanzierung er gar Hunger leidet. Die Mühe und Entbehrung lohnt. Schließlich wird Strapinski für einen Grafen gehalten und gewinnt nach einigen Wirrungen nicht nur das Herz der Amtsratstochter, sondern kann sich mit ihrem Vermögen auch noch ein eigenes Schneideratelier finanzieren. Es folgen Wohlstand, Ansehen, Novelle zu Ende, alle glücklich.

Nun hat nicht jeder 14-jährige Schüler so einen Dusel wie Kellers Schneider. Und dennoch lohnt es auch für Heranwachsende, auf die Gepflegtheit ihrer Kleidung zu achten. Studien haben zum Beispiel erwiesen, dass bei Bewerbungsgesprächen für Führungspositionen durchgehend diejenigen Bewerber besser abschneiden, die gepflegte maskuline Kleidung trugen. Sie wurden unabhängig von ihren Aufgaben als durchsetzungsstärker und damit für die Stelle besser geeignet bewertet.

Claudia Lehnen

Claudia Lehnen

Claudia Lehnen, geboren 1978, ist Chefreporterin Story/NRW. Nach der Geburt ihres ersten Kindes begann sie 2005 als Feste Freie beim Kölner Stadt-Anzeiger. Später war sie Online-Redakteurin und leitet...

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Dabei sind die Vorteile aber nicht darauf zu reduzieren, dass gut gekleidete Menschen bei Dritten einen besseren Eindruck hinterlassen. Auch der Träger selbst profitiert von seinem Stil. „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“, sagte einst Modeschöpfer Karl Lagerfeld. Das mag man für übertrieben halten. Dennoch: Eine angemessene äußere Form hilft auch bei der Aufrechterhaltung innerer Werte und Ziele und ist Ausdruck von Wertschätzung und Respekt gegenüber Institution und eigener Person.

Jogginghosen haben laut Knigge-Gesellschaft im Unterricht keinen Platz

Jogginghosen, so sagt die Deutsche-Knigge-Gesellschaft, sind „Funktionskleidungsstücke, die zum Sport oder für die Entspannung danach getragen werden“. Da Schule aber Arbeitszeit ist, habe die Jogginghose im Unterricht keinen Platz.

Wer einwendet, dem Gehirn, das etwas lernen soll, sei einerlei, mit welchem Beinkleid sein Besitzer die Schulbank drücke, verkennt, dass Kleidung nicht nur das Selbstbewusstsein nachhaltig beeinflusst, sondern wissenschaftliche Studien tatsächlich messbare Unterschiede in der Leistungsfähigkeit je nach Bekleidung festgestellt haben. So konnten beispielsweise in Testreihen an der Columbia University Probanden in formeller Kleidung Aufgaben, die mit abstraktem Denken zu tun hatten, besser abschneiden als Probanden in legeren Outfits. In einem weiteren Experiment stellten Forscher fest, dass Menschen sich trotz Ablenkung von außen auf eine Aufgabe besser konzentrieren konnten, wenn sie dabei einen weißen Laborkittel trugen. Diese Beobachtung hat als „Enclothed Cognition“-Theorie sogar Eingang in die Grundlagenforschung bezüglich kognitiver Prozesse gefunden. Das Gehirn berücksichtigt also durchaus, ob sein Besitzer im Gammellook lernt oder in gebügeltem Hemd.

Jugendliche am Kölner Hansa-Gymnasium haben sich die Jogginghose selbst verboten

Dass eine gewisse Sorgfalt bei der Kleiderwahl den eigenen Wert steigert, kann man übrigens auch Heranwachsenden gut vermitteln. Das zeigt eine AG am Kölner Hansa-Gymnasium. Dort erarbeiteten Schülerinnen und Schüler auf Basis von Umfragen unter den Kameraden selbstständig Regeln für angemessene Schulkleidung. Die Jogginghose ist bei dieser Betrachtung durchgefallen. Ebenso bauchfreie Tops.

Claudia Lehnen, 44, Chefreporterin Story/NRW ist sicher nicht immer tadellos gekleidet, besitzt aber tatsächlich keine Jogginghose. Nur Sport-Funktionshosen. Diese wiederum trägt sie aber ausschließlich zum Sport.


Gegen ein Verbot: Die Jogginghose ist längst in der Modewelt angekommen

Als die Nachricht aufpoppte, war mir klar: Die geht durch die Decke. Eine Schule in Wermelskirchen schickt Schüler nach Hause, weil sie in Jogginghosen im Unterricht saßen. „Wir möchten unsere Schüler:innen dazu animieren, Kleidung zu tragen, die nicht zum ‚Chillen‘ verleitet“, verteidigte die Schulleitung die Entscheidung. Und all die Erwachsenen, denen beim Reizwort Jogginghose in ihrer Erinnerung der samstags in eben dieser sein Auto waschende Nachbar vor Augen steht, klatschen begeistert Beifall. Schließlich sind wir groß geworden mit dem Zitat von Karl Lagerfeld, wonach der Jogginghosenträger die Kontrolle über sein Leben verloren hat. Ein Kleidungsstück als Synonym für bräsiges sich Gehenlassen – davor soll die Jugend von heute bewahrt werden.

Alexandra  Ringendahl

Alexandra Ringendahl

Redakteurin in der Kölner Lokalredaktion und dort unter anderem für Schule und Bildung zuständig. Sie kommt vom Niederrhein und studierte Vergleichende Literaturwissenschaft, Politik und Germanistik i...

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„Chillt euch“, möchte man den Eltern, Lehrerinnen und Lehrern entgegenrufen, die sich jetzt pädagogisch an der Jogginghose abarbeiten. Durchatmen, Reflexe kontrollieren. Oder ganz bildungsbürgerlich gesprochen: Tempora mutantur – et nos mutantur in illis. Die Zeiten ändern sich – und wir in ihnen. Die Jogginghose ist vom Zeichen der Verwahrlosung, vom No-Go längst in der Modewelt angekommen. Der Designer Michael Michalsky hat sogar anlässlich des Weltjogginghosentags festgehalten: „Die Jogginghose ist die neue Jeans.“ Auf der Fashionweek in Berlin laufen Models über den Laufsteg, die Jogginghosen in verschiedenen Stoffarten mit stylischen Accessoires wie Blazer, Blouson und schicken Schuhen kombinieren. Selbst Karl Lagerfeld hat sich kurz vor seinem Tod mit der Jogginghose versöhnt und in seiner letzten Lebensphase eben solche designt. In den Clubs am Wochenende ist die Jogginghose inzwischen das coolste Outfit. Da ist es doch nur folgerichtig, dass der neue Mainstream auch in den Schulen angekommen ist.

Auch ein Jogginghosen-Outfit kann kreativ kombiniert werden

Das muss man wirklich nicht schön finden. Auch ich fremdele immer noch, wenn eine meiner Teenager-Töchter morgens in Jogginghose zur Schule fährt, so wie viele ihrer Freundinnen auch. Aber manchmal staune ich auch, wie kreativ sie das mit Oberteilen kombiniert. Inspiriert auch von unserer kalifornischen Austauschschülerin aus Los Angeles, die da manchmal großes Kino bietet mit Jogginghose, Second-Hand-Stücken und Bucket Hat. Das ist das Modell Fischerhut, das einem noch vor kurzem nur als Kopfbedeckung von Kleinkindern oder Senioren beim Wandern begegnet ist. Das Gute am Elternsein ist doch, dass es immer wieder Einladungen bietet, seine Perspektive zu ändern und neu auf sein fest gefügtes Weltbild zu schauen. Das gilt für viele Themen und die Jogginghose gehört dabei definitiv eher zu den Anfängerübungen.

Dabei ist doch so viel sicher: Auch der Jogginghosen-Trend wird ganz von selbst bald vorüberziehen. Letzten Sommer bei der Abfahrt meiner Kinder zum Ferienlager standen die Teenager-Jungs in Tennissocken und Adiletten vor dem Bus. Und vorige Woche sah ich bei der Feier einer Freundin eine Gruppe Abiturienten mit knallbunten Fleecepullis aus den 90ern, Schnäuzer und Vokuhila-Frisur. Es wird also noch viel schlimmer kommen und erinnert daran, wie weit man heute als Teenager gehen muss, um überhaupt noch zu provozieren oder Tabus zu brechen.

Immer schön gelassen bleiben

Also: Immer schön gelassen bleiben. Wenn man ihnen das vermittelt, lernen Schülerinnen und Schüler auch ohne Schulverbote oder starre Kleiderordnung, dass jede Kleidung auch ihren Anlass hat. Auf der Abifeier hat jedenfalls noch keiner sein Zeugnis in Jogginghose abgeholt.

Alexandra Ringendahl (53), Redakteurin der Kölner Lokalredaktion, besitzt ebenfalls keine Jogginghose. Dafür haben aber ihre beiden Teenager-Töchter und auch die amerikanische Gast-Tochter so einige davon im Schrank.


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