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Prigoschins Mutter bricht SchweigenWas wirklich hinter dem Marsch auf Moskau steckte

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Handout von einem Video des Prigoschin-Pressedienstes vom 3. März 2023, das Jewgenij Prigoschin, Chef der Söldnertruppe Wagner, zeigt.

Handout von einem Video des Prigoschin-Pressedienstes vom 3. März 2023, das Jewgenij Prigoschin, Chef der Söldnertruppe Wagner, zeigt.

Zum zweiten Todestag von Wagner-Chef Jewgenij Prigoschin sucht seine Mutter die Öffentlichkeit. Sie äußert sich dabei auch über die Hintergründe der Meuterei gegen den Kreml, die ihr Sohn 2023 startete. Angeblich habe sie Prigoschin vor der Aktion gewarnt.

Hätte er doch auf ihn gehört! Auf diese Klage kann man das Interview verdichten, das Wioletta Prigoschina dem Sankt Petersburger Regionalportal „Fontanka.ru“ in diesen Tagen gegeben hat. Derjenige, der die Ohren hätte aufsperren sollen, ist Russlands Präsident Wladimir Putin. Derjenige, dessen Rat so teuer gewesen wäre, ist der berühmt-berüchtigte Söldnerchef Jewgenij Prigoschin, Wioletta Prigoschinas Sohn.

Anlass des Gesprächs war der zweite Todestag von Jewgenij Prigoschin am 23. August 2023. An diesem Tag war der frühere Chef der Legionärstruppe TschKW Wagner (Privates Militärunternehmen Wagner) mit seinem Business-Jet in der Nähe der zentralrussischen Stadt Twer vom Himmel gestürzt. Der Absturz soll einem Bericht des „Wall Street Journals“ zufolge von Putins angeblichem Intimus Nikolai Patruschew befohlen und organisiert worden sein.

Zwei Monate zuvor hatte Prigoschin eine kurze Meuterei gegen das russische Militär angezettelt, die die Welt in ihren Bann zog und in einem abgebrochenen Marsch auf Moskau gipfelte. In einer Fernsehansprache hatte Putin das Vorgehen des Söldnerchefs damals als einen „Schlag in den Rücken unseres Landes und unseres Volkes“ sowie als „Verrat“ bezeichnet und eine harte Reaktion angekündigt.

Das Bild zeigt Jewgeni Prigoschin mit einer russischen Flagge vor seinen Soldaten. Foto: dpa

Bachmut: Auf diesem vom Prigozhin-Pressedienst via AP veröffentlichten Foto, spricht Jewgeni Prigoschin (M), der Chef des Militärunternehmens Wagner Group, mit einer russischen Nationalfahne in der Hand vor seinen Soldaten.

„Kursk – erinnern Sie sich?“

Prigoschina stellte in dem Interview nun klar, dass der Marsch auf Moskau definitiv nicht dem Ziel gedient habe, Putin zu stürzen. Vielmehr sei es der verzweifelte Versuch gewesen, bei Ansprechpartnern in der Staats- oder Militärführung durchzudringen: „Alles, was jetzt ans Licht kommt ... nehmen wir zum Beispiel Kursk – erinnern Sie sich? (überraschendes Vordringen ukrainischer Truppen in die russische Oblast Kursk im August 2024, Anm. d. Red.) – wie oft hat er gesagt, dass dort Verteidigungsanlagen gebaut werden müssten.

Das hat ihn alles wirklich beunruhigt. Als wir uns vor dem Marsch (auf Moskau, Anm. d. Red.) gesehen haben – der natürlich keine Rebellion war –, habe ich ihm gesagt: „Schenja (Koseform des Namens Jewgenij, Anm. d. Red.), die Leute werden dich nur online unterstützen. Niemand wird sich auf deine Seite stellen. Das Volk ist nicht mehr so.“

Ihr Sohn habe sich hingegen überzeugt davon gezeigt, den notwendigen Beistand der Menschen zu bekommen. „Das haben ihm zumindest die Leute in seinem Umfeld gesagt, die angeblich Umfragen zu Zustimmungswerten für eine Meuterei durchgeführt hatten. An seiner Seite war niemand mit wirklicher Weitsicht. Und so kam es, wie ich es vorausgesagt hatte. In Rostow (Ausgangspunkt der Rebellion, Anm. d. Red.) wurde er zwar mit offenen Armen empfangen, aber er konnte es nicht durchziehen, weil er es nicht über sich brachte, auf junge Kadetten schießen zu lassen.“

„Das ist die Wahrheit, die er vermitteln wollte“

Sie wolle sich nicht in die Politik einmischen, betonte die 85-Jährige in dem Gespräch, das sei nicht ihr Ding. Aber sie glaube, dass ihr Sohn die besten Absichten gehabt habe. „Er dachte, er würde direkt zu Präsident Putin gehen und ihm schildern, was an der Front wirklich vor sich ging. Ich meine, wir sind immer noch unterwegs und sammeln Ausrüstungsgegenstände für die Truppen. Das ist die Wahrheit, die er vermitteln wollte.“

Der Söldnerchef habe einfach nur die Missstände bei der Armee bei Entscheidern zum Thema machen wollen. Denn egal, wie sehr er die katastrophalen Zustände zuvor angeprangert habe, sei es ihm nicht gelungen, sich Gehör zu verschaffen.

Das Bild zeigt Jewgeni Prigoschin, Chef der russischen Privatarmee Wagner Group, bei der Beisetzung des getöteten russischen Militärbloggers Tatarski auf dem Friedhof von Trojekurowskoje. Foto: dpa

Jewgeni Prigoschin, Chef der russischen Privatarmee Wagner Group, nimmt an der Beisetzung des getöteten russischen Militärbloggers Tatarski auf dem Friedhof von Trojekurowskoje teil.

„Ich stand schon mit einem Fuß im Grab“

„Selbst jetzt kommen noch Soldaten zu mir und erzählen mir, wie verzweifelt ihre Lage war. […] Aber er hatte definitiv nicht vor, Putin zu stürzen – so viel ist absolut klar. Er wollte nur die Militärführung überzeugen. […] Sowohl Schenja als auch ich haben nichts als Respekt für Putin. Der Präsident hat mich buchstäblich gerettet. Ohne ihn wäre ich heute nicht mehr am Leben.

Ich war in einem miserablen Zustand und musste operiert werden, aber unsere Ärzte sagten mir, sie könnten nichts mehr für mich tun. Ich stand schon mit einem Fuß im Grab. Dann rief Schenja Putin an, und dessen Antwort lautete: ‚Eine Mutter ist heilig.` Sie schickten einen Hubschrauber, und ich wurde zur Behandlung nach Hamburg geflogen.“

Zur Meuterei habe Prigoschin ihr gegenüber im Nachhinein keine weiteren Erklärungen abgegeben. Es sei damals ganz allgemein schwierig geworden, mit ihm zu sprechen. Der Söldnerchef habe immer nur betont, dass er nicht auf junge Männer schießen lassen können. „Ich glaube“, so Prigoschina, „es gab viele Dinge, die er einfach nicht sagen wollte. Als ich ihn am 15. August zum letzten Mal gesehen habe, schien es, als fühlte er sich dem Untergang geweiht. Und am 23. August war er von dieser Welt gegangen.“

„Weiterleben, wenn Gott mir das erlaubt“

Darüber, ob ihr Sohn von der Staatsmacht ermordet wurde, wovon etliche westliche Geheimdienste ausgehen, will Prigoschina nicht spekulieren: „Niemand weiß es“, antwortete sie auf die Frage von „Fontanka.ru“, warum es ihrer Meinung am 23. August 2023 zu dem Flugzeugunglück bei Twer kam: „Pawel (Prigoschins Sohn, Anm. d. Red.) hat schon oft nach dem Stand der Ermittlungen gefragt. Man sagt ihm immer: ‚Die Nachforschungen dauern noch an.‘ Wir haben das Grundstück an der Absturzstelle gekauft und errichten dort nun ein Denkmal.“

Die Gerüchte, dass Prigoschin seinen Tod vorgetäuscht haben könnte, die unmittelbar nach dem Absturz aufkamen, kann seine Mutter nicht nachvollziehen. „Wir wären überglücklich, wenn es so wäre. Aber leider haben sie Pascha (Pawel Prigoschin, Anm. d. Red.) DNA abgenommen [...] Als das alles passierte, wollte ich nicht mehr am Leben sein. Aber dann wurde mir klar, dass ich vielleicht weiterleben sollte, wenn Gott mir das erlaubt.“