Eine neue Studie offenbart erschreckende Erkenntnisse zur Arbeit der Polizei in Deutschland.
„Racial Profiling“, Täter-Opfer-UmkehrIn allen Bereichen der Polizeiarbeit gibt es laut neuer Studie Diskriminierung

ILLUSTRATION - 30.11.2023, Baden-Württemberg, Stuttgart: Polizeikontrolle. (zu dpa: ´Spritztour mit Linienbus - 120.000 Euro Schaden») Foto: Marijan Murat/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Copyright: dpa
Bei Personenkontrollen, der Anzeigenaufnahme oder im Gewahrsam: Immer wieder kommt es bei der Arbeit der deutschen Polizei zu Diskriminierung. Zu diesem Ergebnis kommt die am Donnerstag veröffentliche Studie „Polizei und Diskriminierung - Risiken, Forschungslücken, Handlungsempfehlungen“ der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Forschende der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) analysierten dafür verschiedene Bereiche polizeilichen Handelns. Dazu gehören neben den oben genannten Themen auch die Entgegennahme von Notrufen und Beschwerden, Pressearbeit, Demonstrationseinsätze sowie das Miteinander innerhalb der Polizei selbst.
„Wir haben in allen Bereichen Diskriminierungsrisiken gefunden“, sagte Studienautorin Daniela Hunold bei Vorstellung der Auswertung in Berlin. Es gebe zudem „erhebliche Forschungslücken“. Als Beispiel nannte Hunold den polizeilichen Umgang mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen – dazu sei „fast nichts“ bekannt.
Besonders alarmierend ist laut Studie, dass das Risiko von bewusster oder unbewusster Diskriminierung je nach Handlungsfeld variiert und vor allem bestimmte Gruppen deutlich häufiger betroffen sind. Es heißt kritisch, in der öffentlichen Debatte gebe es „zunehmend das Bild einer Polizei, die potenziell diskriminierend gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen agiert“.
Strukturelle Diskriminierung durch Profiling bei der Polizei
Gravierend wird der Bereich der strukturellen oder institutionellen Diskriminierung eingeschätzt, die in der Organisation der Polizei verankert sei. Ein Beispiel hierfür ist laut Studie die Verwendung von Profiling-Methoden. Das habe zur Folge, dass bestimmte Gruppen überproportional häufig kontrolliert werden oder rassistische Kriminalitätszuschreibungen fortgesetzt werden. Nicht nur bei Personenkontrollen, sondern auch durch automatisierte Verfahren der Datenauswertung könne es zu Diskriminierung kommen.
Sogenanntes „Racial Profiling“ wird schon lange nicht nur von Betroffenen kritisiert, etwa wenn PoC-Personen auch anlasslos eigenen Berichten zufolge ständig überprüft werden. Unter dieses Phänomen kann auch die pauschale Verdächtigung aufgrund vermuteter Religionszugehörigkeit fallen. Besonders junge, männliche Personen mit Migrationshintergrund stehen laut Studie oft im Fokus der Polizei. Bei Kontrollen bestehe grundsätzlich die „Gefahr des Overpolicing“ bestimmter Gruppen.
Unter strukturelle Diskriminierung fällt die Aufrechterhaltung von Ungleichheiten durch Rechtsvorstellungen, politische Strukturen und ökonomische Verhältnisse. Ein Beispiel sei, wenn Wohnungslose häufigeren Kontakt zur Polizei hätten, einfach weil sie sozial benachteiligt seien. Selbst die Kleidung der Betroffenen kann bei der Polizei als ein entscheidendes Merkmal bei der Selektion bei Personenkontrollen sein. „Bestimmte Kleidungsstile können mit bestimmten Milieus assoziiert werden und somit als Marker für Polizeiarbeit dienen“, heißt es.
Individuelle Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe oder sexueller Orientierung
Darüber hinaus wird auch der Bereich der individuellen Diskriminierung in der Studie beleuchtet. Einzelne Beamtinnen oder Beamte hätten negative Einstellungen oder Vorurteile gegenüber bestimmten Gruppen und behandelten dann Personen aufgrund ihrer Hautfarbe, Religion, sexuellen Orientierung oder wegen ihres Alters weniger respektvoll. Teilweise würden dann auch unverhältnismäßig harte Maßnahmen durchgeführt.
So waren beispielsweise in den vergangenen Jahren immer wieder interne Chats von Polizistinnen und Polizisten bekannt geworden, in denen rechtsextremes und rassistisches Gedankengut geteilt wurde. Auch in Nordrhein-Westfalen hatte es Skandale gegeben, in dessen Folge mehrere Beamte aus dem Dienst entlassen wurden.
Die unterschiedlichen Formen der Diskriminierung können durchaus gleichzeitig auftreten und sich gegenseitig verstärken oder legitimieren, etwa wenn persönliche Vorurteile durch Strukturen bestätigt würden, heißt es in der Untersuchung.
Diskriminierung bei Notrufen und Beschwerden
Das Phänomen von „Underprotection“ kann laut Studie bei Notsituationen und Konfliktfällen auftreten. Diskriminierung erfolgt, wenn die Polizei manche Betroffene in ihren Anliegen nicht ernst nimmt oder gar Opfer in Täter oder Täterinnen umkehrt. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn Beamtinnen oder Beamte Frauen, die sexuelle Übergriffe melden, eine Mitschuld durch Verhalten oder Kleidung geben. Auch bei Menschen mit psychischer Erkrankung, zugeschriebener ethnische Zugehörigkeit oder bei sprachlichen Barrieren kann es zu Diskriminierung kommen.
Selbst bei der Aufnahme von Verkehrsunfällen kann eine stereotypisierende Wahrnehmung in das Urteil über den Vorfall eingehen. Unfallbeteiligten mit Migrationshintergrund werde häufig weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Auch werde generell bei Einsätzen oft zunächst mit Menschen ohne Migrationshintergrund gesprochen, selbst wenn die Betroffenen mit Migrationshintergrund die Polizei gerufen hätten.
Ataman: „Die Polizei ist ein Spiegelbild der Gesellschaft“
Die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung Ferda Ataman sagt zu der Studie: „Die Polizei ist ein Spiegelbild der Gesellschaft - und deshalb auch nicht frei von Diskriminierung“. Die Polizei müsse aber gegen diskriminierendes Verhalten vorgehen, weil sie auf das Vertrauen der Menschen angewiesen sei. Der konsequente Schutz vor Diskriminierung erhöhe das Vertrauen in den Rechtsstaat.
Ataman hält vor diesem Hintergrund mehr Schulungen innerhalb der Polizei zum Thema Diskriminierung für notwendig. Zudem müssten das Amt des Polizeibeauftragten des Bundes gestärkt und entsprechende Beauftrage in allen Bundesländern eingesetzt werden - zurzeit gibt es diese in elf Ländern. Ataman forderte darüber hinaus gesetzliche Änderungen, um Menschen besser vor staatlicher Diskriminierung zu schützen.
„Racial Profiling“ durch Bundespolizei bei Grenzkontrollen
Der Polizeibeauftragte des Bundes, Uli Grötsch, berichtete bei der Studienvorstellung von Racial-Profiling-Vorfällen bei den Kontrollen der deutschen Außengrenzen. Die Bundespolizei sei hier gefordert, ihre Beamtinnen und Beamten entsprechend zu schulen. Fortbildungen seien jedoch bei der Bundespolizei „bei weitem nicht mehr in dem Ausmaß möglich“, wie auch in der Behörde gewünscht, kritisierte Grötsch, „weil einfach das Personal sich an der Grenze befindet“.
Der Polizeibeauftragte bezog sich damit auf die erst kürzlich verschärften Grenzkontrollen. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) ließ diese anordnen; die Gewerkschaft der Polizei warnte jedoch bereits vor einer personellen Überlastung der Beamtinnen und Beamten.
Die Politik tue gut daran, „keine Vorschriften zu machen, wie man die deutschen Außengrenzen kontrolliert“, sagte Grötsch weiter. Denn diese seien vielfältig - „was im Erzgebirge wichtig ist, ist an der dänischen Grenze völlig anders“. Pauschale Lösungen gebe es deshalb nicht. (mit afp)