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Gangs rekrutieren MinderjährigeSchweden bringt jetzt 13-Jährige hinter Gitter – Debatte auch in Deutschland

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Das Bild zeigt Einsatzkräfte der Polizei nach Schüssen auf dem Vaksala-Platz im Zentrum von Uppsala. Foto: Fredrik Sandberg/dpa

Einsatzkräfte der Polizei ermitteln nach Schüssen auf dem Vaksala-Platz im Zentrum von Uppsala.

Die konservative Regierung in Stockholm hat der Bandenkriminalität den Kampf angesagt: Jetzt soll es spezielle Gefängnisse für 13-Jährige geben. 

Schwedens konservative Regierung fährt einen harten Kurs gegen die im Königreich grassierende Bandenkriminalität. Ministerpräsident Ulf Kristersson ist vor drei Jahren unter anderem mit dem Versprechen ins Amt gekommen, Schwedens Straßen wieder sicherer zu machen. Die Zahl der Häftlinge in Schweden ist nach etlichen Gesetzesverschärfungen doppelt so hoch wie noch vor zehn Jahren. Weil die Kapazitäten in den Gefängnissen längst nicht mehr ausreichen, will Stockholm demnächst sogar Zellen in Estland anmieten.

Weniger als ein Jahr vor der nächsten Parlamentswahl fällt die Bilanz, wie erfolgreich die Eindämmung der Bandengewalt bisher war, jedoch gemischt aus: Die Zahl der Schießereien in Schweden ist zuletzt zwar gesunken, der Anteil von Schusswechseln mit tödlichem Ausgang ist nach Polizeiangaben aber gewachsen. Besonders brisant: Kriminelle Gangs rekrutieren in hohem Maße Minderjährige, insbesondere für schwere Verbrechen bis hin zum Mord.

Kristerssons Minderheitsregierung will die Strafmündigkeit für besonders schwere Straftaten daher jetzt von 15 auf 13 Jahre herabsetzen. Außerdem will sie verurteilte Kinder und Jugendliche vom kommenden Sommer an in speziellen Jugendgefängnissen unterbringen. Bisher müssen Straftäter zwischen 15 und 17 Jahren ihre Strafe in der geschlossenen Jugendfürsorge verbüßen, die die Regierung nun aber in der bisherigen Form abschaffen will: Die Strafvollzugsbehörde Kriminalvården wurde angewiesen, in sechs Haftanstalten stattdessen separate Jugendabteilungen mit insgesamt 100 bis 150 Plätzen einzurichten. Darunter auch solche, die speziell für Verurteilte im Alter von gerade einmal 13 Jahren vorgesehen sind.

Chef der Strafvollzugsbehörde ist gegen die Regierungspläne

Nach Angaben von Schwedens Justizminister Gunnar Strömmer sollen sowohl Jungen und Mädchen als auch jüngere und ältere Jugendliche bis einschließlich 17 Jahren getrennt voneinander inhaftiert werden. Bis zum Start im Juli kommenden Jahres müsste unter anderem noch sichergestellt werden, dass es für die schulpflichtigen Insassen geeignete Unterrichtsangebote gebe. Die Regierung verspricht, das Kinder kindgerecht behandelt würden und Kontakt zu ihren Eltern haben könnten. Bei der Ausgestaltung werde sich Schweden somit äußerst eng an die UN-Kinderrechtskonvention halten, die einen Freiheitsentzug bei Kindern als letztes Mittel definiert, sagte Stömmer. „Wir machen das, um die Gesellschaft zu schützen.“

Während der neue Jugend-Knast bei den rechten Schwedendemokraten, auf deren Unterstützung die Minderheitsregierung von Kristersson im Reichstag angewiesen ist, gut ankommt, regt sich auf der linken Seite des politischen Spektrums teils massiver Unmut über die Reform. Abgelehnt wird sie jedoch auch von vielen Experten. Selbst der Generaldirektor der schwedischen Strafvollzugsbehörde erklärte noch im September in einem Fernsehinterview, dass 13-jährige Kinder seiner Meinung nach nicht ins Gefängnis gehörten, sondern in eigens dafür ausgelegte Fürsorgeeinrichtungen: „Sie sollten von Sozialarbeitern betreut werden“, sagte Martin Holmgren.

Und in einem Debattenbeitrag in der Zeitung „Dagens Nyheter“ warfen 26 Staatsanwälte Anfang Oktober der Regierung recht unverblümt vor, angesichts des aufziehenden Wahlkampfs in Aktionismus zu verfallen. Die möglichen schwerwiegenden Folgen, die Haftstrafen für 13-Jährige mit sich brächten, scherten sie offenkundig nicht.

Einsatzkräfte der Polizei arbeiten am Tatort an der Risbergska-Schule. Mehrere Menschen sind durch Schüsse an einer Schule im schwedischen Örebro ums Leben gekommen. Foto: Pontus Lundahl/dpa

Schweden, Örebro: Einsatzkräfte der Polizei arbeiten am Tatort an der Risbergska-Schule. Mehrere Menschen sind durch Schüsse an einer Schule im schwedischen Örebro ums Leben gekommen.

Unionspolitiker und Polizeigewerkschaft wollen Alter senken

Während die Reform innerhalb Schwedens teils auf massiven Widerstand stößt, gibt es auch in Deutschland immer wieder Forderungen, das Strafmündigkeitsalter auch hierzulande zu senken. Erst im Februar dieses Jahres hatte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann eine entsprechende Debatte angestoßen, nachdem ein 13-Jähriger in Stuttgart einen 12-Jährigen gegen eine einfahrende Tram gestoßen hatte und das Opfer dabei ums Leben gekommen war. Ein ähnlich gelagerter Vorstoß seines Parteifreunds Herbert Reul, Innenminister von Nordrhein-Westfalen, lag da nicht einmal ein Jahr zurück.

Die Deutsche Polizeigewerkschaft fordert nach eigenen Angaben bereits seit 1997, die Strafmündigkeit auf 12 Jahre zu senken. Kinder in diesem Alter seien heutzutage in der Lage, „zwischen richtig und falsch zu unterscheiden“, sagte Gewerkschaftschef Rainer Wendt dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Sie sollten daher auch frühzeitig mit den Konsequenzen ihres Handelns konfrontiert werden.“ Das heiße um Umkehrschluss aber nicht, dass 12-Jährige dann automatisch in Jugendstrafanstalten untergebracht werden sollten. „Vielmehr steht der Erziehungscharakter des Jugendstrafrechts im Vordergrund“, sagte Wendt. Sanktionen wie richterliche Weisungen, Verwarnungen und Auflagen sollen bereits zwei Jahre früher möglich sein, „um frühzeitig Grenzen aufzuzeigen und präventiv zu wirken“.

Wissenschaft sieht keinen Grund, Mündigkeitsalter zu senken

Führende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler indes sprechen sich grundsätzlich gegen ein Absenken des Alters aus. Schwere Gewalttaten durch unter 14-Jährige seien in der Bundesrepublik selten, eine Verschärfung habe überdies keine abschreckende Wirkung, erklärt etwa die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie.

Auch der Düsseldorfer Intensivpädagogik-Professor Menno Baumann hält nichts von entsprechenden Vorstößen. Denn schon jetzt könne ein Zwölfjähriger, der eine schwere Straftat oder eine lange Serie an Straftaten begangen hat, vor ein Gericht gestellt werden, sagte er dem RND: „Das ist dann aber kein Strafgericht, sondern ein Familiengericht, und da gehört ein Kind auch hin.“

Hier werde geschaut, wie dem Kind und der Familie geholfen werden könne, der Fokus liege klar auf der Prävention. Vielfach ließen sich so „sehr viel nachhaltigere Lösungen für die gesellschaftliche Sicherheit“ erzielen, als das durch Gefängnisse jemals der Fall sein könne.