Sozial-Studie belegt Ghetto-BildungGesellschaftliche Spaltung in Deutschland nimmt zu

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Kinderarmut_in_NRW

Ein Kind schaukelt vor einem Hochhaus.

Arm und Reich leben in deutschen Städten immer seltener Tür an Tür. Besonders ausgeprägt ist die soziale Spaltung in Ostdeutschland, wie es in einer neuen Studie des Berliner Wissenschaftszentrums für Sozialforschung heißt, die am Mittwoch veröffentlicht wurde. Für ihre Studie haben die Autoren die soziale Durchmischung in 74 deutschen Städten für die Jahre 2005 bis 2014 untersucht.

In rund 80 Prozent dieser Kommunen habe die räumliche Ballung von Menschen zugenommen, die von staatlichen Sozialleistungen wie Hartz IV lebten. In Ostdeutschland sei die Entwicklung mit 23 Prozent deutlich spürbarer als in westdeutschen Städten mit rund 8 Prozent. Die höchsten Werte sozialer Ungleichheit beim Wohnen ermittelten die Forscher im Osten für Rostock, Schwerin, Potsdam, Erfurt, Halle und Weimar.

Stark betroffen waren aber auch einige Städte in Westdeutschland, darunter Kiel, Saarbrücken und Köln. „Dieses Niveau kennen wir bisher nur von amerikanischen Städten“, sagt Forscher Marcel Helbig. Die Dynamik der Veränderung sei vor allem im Osten „historisch beispiellos.“ Das hat auch gesellschaftliche Folgen: Wer die Probleme des Nachbarn mit wenig Geld nicht mehr hautnah erlebt, kann ein Stück Lebenswirklichkeit leichter ausblenden. Und wer im „Armenghetto“ lebt, mag weniger Aufstiegswillen entwickeln.

„Nachbarschaft beeinflusst den Bildungserfolg“

In 36 deutschen Städten gibt es nach der Analyse inzwischen Quartiere, in denen mehr als die Hälfte der Kinder von staatlichen Leistungen abhängig ist. Die höchsten Werte errechneten die Wissenschaftler hier für Rostock, Berlin, Halle und Schwerin. „Diese Entwicklung kann sich negativ auf die Lebenschancen armer Kinder ausweiten“, sagte Autorin Stefanie Jähnen. „Aus der Forschung wissen wir, dass die Nachbarschaft den Bildungserfolg beeinflusst.“

Auf der Suche nach Erklärungen für die zunehmende soziale Spaltung ostdeutscher Städte vermuten die Autoren auch den Städtebau. So wiesen Magdeburg und Dresden, die im Zweiten Weltkrieg großflächig zerstört und danach neu aufgebaut wurden, noch keine bemerkenswert große soziale Spaltung auf. Rostock, Erfurt oder Jena, die zu DDR-Zeiten Plattenbau-Viertel am Stadtrand hochzogen, haben dort heute eine Ballung sozial schwacher Haushalte in Brennpunkt-Vierteln. Diese räumliche Spaltung kann aus Sicht der Autoren eine politische Polarisierung begünstigen - in Richtung AfD.

Sozialwohnungen verstärken das Problem

Eine Überraschung für die Forscher war, dass viele Sozialwohnungen die räumliche Ungleichheit in einer Stadt sogar noch verstärkten. Denn Sozialwohnungen seien heute vor allem in Stadtteilen zu finden, in denen ohnehin schon die Armen wohnen, erläutert Forscherin Jähnen. In begehrteren Lagen wie Altbau-Vierteln seien sie hingegen oft aus der sozialen Bindung herausgefallen.

Als langfristigen Ausweg für die Kommunen empfehlen die Autoren, Neubauten in besseren Wohnlagen immer mit strikten Auflagen für einen Anteil von Sozialwohnungen zu versehen. Das Beispiel München zeige, dass trotzdem gebaut werde. (dpa)

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