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Streit der WocheSoll Anonymität im Netz verboten werden?

Lesezeit 5 Minuten
Klarnamen Netz

Symbolbild

  1. Haben Sie online schon mal mit „Erdbeermund 1980“ oder „Meister Peter“ gestritten? Könnte bald vorbei sein, wenn es nach Rechtsexperten geht, die sich für die Klarnamenpflicht im Netz aussprechen.
  2. Zerstört das die Idee des Internets? Paul Gross sagt: Die Anonymität im Netz muss Grenzen haben. Hendrik Geisler sagt: Mit oder ohne Klarnamen: Wer anderen schaden will, wird anderen auch schaden.
  3. Unser Streit der Woche.

Pro

Wer Pseudonyme im Internet als kindliche Spielerei abtut, liegt falsch. Sie können Whistleblowern ihre wichtige Arbeit erleichtern. Sie verwirklichen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und ermöglichen vielen Menschen, in völlig neuer Offenheit persönliche Probleme oder Vorlieben zu kommunizieren. Pseudonyme machen es aber auch leichter, Gewaltfantasien folgenlos preiszugeben. Dem Attentäter von Hanau, der am 10. Februar zehn Menschen tötete, jubelten Nutzer unter falschen Namen zu. Ziemlich schnell musste sich die Staatsanwaltschaft eingestehen, dass mit keinen großen Ermittlungserfolgen zu rechnen sei. Auch die zahlreichen Morddrohungen, die Politiker, Wissenschaftler und Journalisten online in der Corona-Pandemie erreichen, werden in den allermeisten Fällen folgenlos für ihre Absender bleiben. Das müsste nicht so sein.

Um sich die Notwendigkeit einer digitalen Kommunikation auf Augenhöhe klarzumachen, braucht es weder netzkritischen Kulturpessimismus noch dämlich konstruierte Burka-Vergleiche. Nein, für diese Erkenntnis reicht das kleine soziologische Einmaleins. Wo jedes noch so abstruse Argument folgenlos anprobiert werden kann wie ein ungewöhnliches Kleidungsstück, wird es eher an Reaktionen als an inhaltlicher Stichhaltigkeit gemessen. Echokammern mit endlosen Selbstbestätigungs-Schleifen, die eine Hochkonjunktur „alternativer Fakten“ und anderer gefährlicher Schwurbeleien begünstigen, werden gefördert.

Eine aufgeklärte Gesellschaft eher nicht.

Wenn jeder wüsste, mit wem er spricht, hätten Kommentarspalten gute Chancen, endlich nach einem Marktplatz der Ideen im guten Sinne auszusehen. Denn heute sind die digitalen Marktschreier oft übersteuerte Lautsprecher ohne Gesicht und mit beschränktem Angebot.

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Daten sind für Digitalgewalten wie Google und Facebook die wichtigste Währung. Dass diese mit der Einführung einer Klarnamenpflicht nicht einfach bedient werden dürften, ist eine große politische Herausforderung. Eine, vor der man nicht kapitulieren sollte. Denn sonst gewinnt digitales Kapitalstreben, das sich für demokratische Teilnahme nicht interessiert. Politik stünde auch in der Verantwortung, Nutzer, die von Hass und Hetze – dann namentlich – adressiert werden, effektiv zu schützen. Sie müsste auch Ausnahmen schaffen (Wie soll ein Forum für Betroffene häuslicher Gewalt ohne Anonymität funktionieren?) und einen Umgang mit dem Missbrauch von Schlupflöchern finden. Komplizierte Randerscheinungen sollten allerdings nicht dazu führen, vor dem Konzept Klarnamenpflicht zurückzuschrecken.

Durch die analoge Welt laufen wir ohne Namensschilder. Doch wenn uns dort jemand droht, beleidigt oder anderweitig belästigt, steht er uns meistens gegenüber. Und muss im Zweifel mit rechtlichen Konsequenzen rechnen. Wer nach Halle und Hanau ernsthaft den „Geist des Internets“ gegen tödliche Bedrohungen aufrechnet, argumentiert wirklich kindlich. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung muss spätestens dort seine Schranken finden, wo es die körperliche Unversehrtheit anderer bedroht.

Paul Gross

Contra

Anonymität im öffentlichen Raum ist ein hohes Gut, das es unbedingt zu bewahren gilt – ganz gleich, ob der Raum nun digital oder analog ist.

Dafür gibt es viele gute Gründe: Anonymität schützt Opfer und Randgruppen, wenn sie ihre Stimme im Internet erheben. Werden Menschen gezwungen, ihre Meinung unter ihrem echten Namen zu veröffentlichen, führt es dazu, dass sie sich eher zurückziehen, als offen zu reden und sich damit Angriffen auf ihre Person auszusetzen. Eine Klarnamenpflicht würde es Täterinnen und Tätern schließlich leichter machen, ihre Opfer auch „im echten Leben“ zu verfolgen. Verstärkt gilt das in Regionen, in denen Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, Religion oder Hautfarbe diskriminiert werden.

Ich verstehe zudem nicht, warum das Grundrecht auf Privatsphäre online eingeschränkt werden sollte, nur weil es von wenigen Menschen für Hass und Hetze missbraucht wird. Das ist schlimm, keine Frage, aber unsere Demokratie hält es aus, wenn die Identität von Tätern mühsam ermittelt werden muss, alle anderen jedoch anonym bleiben können. Es ist doch auch selbstverständlich, dass Menschen ohne vorherige Nennung von Vor- und Nachname bei einer Demonstration auf der Straße stehen und ihre Meinung äußern. Wer sich dabei nicht an Gesetze hält, andere zum Beispiel beleidigt, wird dafür verfolgt, angeklagt und verurteilt. Ganz davon abgesehen, dass das nicht immer gelingt, bringt es jede Menge Ermittlungsaufwand mit sich. Da wäre es doch einfacher für die Strafverfolgungsbehörden, vorab alle Demonstrantinnen und Demonstranten namentlich zu registrieren. Frei nach dem Motto: Wer nicht plant, gegen Gesetze zu verstoßen, braucht sich keine Sorgen zu machen. Herzlich willkommen in der Dystopie!

Nein, eine so freiheitliche Demokratie wie unsere muss es aushalten, dass auch im digitalen öffentlichen Raum debattiert wird, ohne dass jeder den vollen Namen des Gegenübers kennt. Und wer sich nicht an die Regeln hält, wird eben mit allen technischen Mitteln, über die der Rechtsstaat verfügt, verfolgt.

Mir bereitet auch der Gedanke, mich mit meinem Personalausweis bei Linkedin oder Twitter zu identifizieren, Unbehagen. Digitalunternehmen versprechen immer höchste Sicherheitsstandards – und werden doch wieder Opfer von Hackerangriffen, bei denen Millionen Datensätze mit persönlichen Informationen gestohlen werden. Deshalb will ich frei entscheiden, wem ich Daten anvertraue.Wer anderen schaden will, wird anderen auch schaden. Klarnamenpflicht hin oder her, es findet sich ein Weg. Das belegen Angriffe von Menschen, die bei Facebook oder per Mail beleidigen oder zu Straftaten aufrufen, obwohl ihr Name daneben steht. Und das belegen auch die anonymen Morddrohungen, die der sogenannte NSU 2.0 vor wenigen Monaten per Brief an Politiker, Kulturschaffende und Journalistinnen verschickte.

Wir dürfen den Schutz der vielen Demokraten, die ihre Anonymität nutzen, um sich Gehör zu verschaffen, um sichtbar zu bleiben oder einfach nur ihre Privatsphäre zu schützen, nicht für die Enttarnung der wenigen hetzenden Täter aufgeben.

Hendrik Geisler