Streit vor WeihnachtenSollten kirchliche Feiertage abgeschafft werden?

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Eine Krippe aus Deutschland ist in einer internationalen Krippenausstellung zu sehen.

Sind freie Tage für alle zu Ehren von Jesu Geburt noch zeitgemäß?

Kirchliche Feiertage nutzt jeder gerne - wenn auch nicht einmal die Hälfte aller Deutschen Christen sind. Zeit, die Tradition abzuschaffen? Ein Streitgespräch.

Lena Heising (24) ist Redakteurin im Ressort NRW/Story und kennt Fronleichnam als gesetzlichen Feiertag erst seit ihrem Umzug nach Nordrhein-Westfalen. In der Kirche ist sie an diesem Feiertag nie – dafür aber bei gutem Wetter am See.

An Fronleichnam wird die Gegenwart Jesu in der Hostie und im Wein des Abendmahls gefeiert. Wussten Sie das? Ganz ehrlich: Ich musste es gerade googeln, obwohl ich mehr oder weniger katholisch aufgewachsen bin. Fronleichnam, ein rein katholisches Fest, beruht übrigens auf der Vision einer belgischen Nonne aus dem 13. Jahrhundert, die einen Vollmond sah, dem ein Stück zum perfekten Kreis fehlte. Ein Zeichen, fand sie: Der Kirche fehle ein Fest zur besonderen Verehrung der Altarsakramente Brot und Wein. Der Papst stimmte ihr zu – so entstand das Fest Fronleichnam.

Lena Heising

Lena Heising

Lena Heising ist Redakteurin im Ressort NRW/Story. Jahrgang 1998. Studierte Journalistik mit dem Nebenfach Politikwissenschaften an der TU Dortmund und volontierte anschließend beim „Kölner Stadt-Anze...

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Wir leben in einer Gesellschaft, in der das Christentum und Religionen im Allgemeinen immer mehr an Bedeutung verlieren. Im Jahr 2020 waren in NRW noch knapp 60 Prozent Mitglied der katholischen oder evangelischen Kirche, jedenfalls auf dem Papier. Etwa sieben bis acht Prozent der Bürger in Nordrhein-Westfalen sind Muslime, 0,2 Prozent Juden. Die übrigen Menschen sind konfessionslos oder gehören anderen Religionsgemeinschaften an. Die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe ist die der Konfessionslosen.

„Hauptsache frei“ ist keine Lösung

Grund genug dafür, offen zu sein, die Relevanz bestimmter Feiertage auf den Prüfstand zu stellen. Ein „Hauptsache frei“ ist keine Lösung für eine säkulare Gesellschaft. Nicht falsch verstehen – ich spreche mich hiermit nicht für die Abschaffung von Weihnachten aus. Aber müssen wirklich acht von elf Feiertagen in Nordrhein-Westfalen christlich sein? Was nützt ein christlicher Feiertag, wenn er nur von den Allerwenigsten gefeiert wird? Wenn so viele Menschen noch nicht einmal wissen, was genau gefeiert wird?

Sollten wir tatsächlich weiter auf viele religiöse Feiertage bestehen, darf zumindest die Einführung von jüdischen Feiertagen wie Jom Kippur und das muslimische Zuckerfest als gesetzlicher Feiertag kein Tabu mehr sein.

Es ist Zeit für ein paar Feiertage, die für eine breite Masse, ob religiös oder nicht, eine Bedeutung haben. Thüringen hat vor drei Jahren einen ersten Schritt dafür getan, indem die Landesregierung den Internationalen Kindertag am 20. September zum Feiertag ausrief. Der Feiertag solle die Rechte und Bedürfnisse der Kinder in den Fokus rücken, steht in dem beschlossenen Gesetzesentwurf, und soll Zeit „füreinander mit den Liebsten“ schaffen.

In Berlin ist der Frauentag am 8. März ein gesetzlicher Feiertag. Auch der Tag der Demokratie, der 15. September, würde sich als gesetzlicher Feiertag eignen – als ein Tag, der zum Gespräch über die demokratischen Werte und die Grundrechte aller Menschen aufruft. Man könnte den Tag der Befreiung am 8. Mai zum gesetzlichen Feiertag ernennen, als Gedenken an das Ende des dunkelsten Kapitels Deutscher Geschichte. Möglichkeiten gibt es viele.

Auch die Idee, ein paar christliche Feiertage in „flexible Feiertage“ umzuwandeln, ist eine Überlegung wert: Damit würden die Feiertage sozusagen zu priorisierten Urlaubstagen umgewandelt. Muslime könnten die Feiertage dadurch am Fastenbrechen oder Opferfest nehmen, jüdische Menschen am Jom Kippur oder Sukkot, Konfessionslose an Tagen, die für sie eine persönliche Bedeutung haben. Und gläubige Katholiken könnten weiterhin Fronleichnam feiern.

Blick in die Universitätskirche Paulinum mit einem Gottesdienst

Sollten kirchliche Feiertage abgeschafft werden?

Joachim Frank (57) ist Chefkorrespondent und Mitglied der Chefredaktion. Feste wie Weihnachten und Ostern haben für ihn als Katholiken ihren guten religiösen Sinn. Noch besser sei aber, dass sie darauf nicht festgelegt sind, findet Frank.

Ein Fest zu feiern, ist eine Kunst: Der Ort, die Gäste, Dekoration und Verpflegung, Musik, die passende Kleidung – alles will gut durchdacht sein. Gesetzliche Feiertage sind dadurch privilegiert, dass für die allermeisten Beschäftigten die Arbeit ruht. Das bietet der Gesellschaft als Ganzer einen Rahmen und erleichtert die individuelle Gestaltung solcher Tage wesentlich.

Was die Einzelnen daraus machen, braucht den Staat nicht zu interessieren. Die nicht-kirchlich geprägten Feiertage – der 1. Mai und der Tag der Deutschen Einheit – sind das beste Beispiel. Ginge es nach der Zahl derer, die an Kundgebungen zum „Tag der Arbeit“ teilnehmen oder am 3. Oktober aktiv der Wiedervereinigung gedenken, müssten beide Feiertage sofort abgeschafft werden.

Joachim  Frank

Joachim Frank

Chefkorrespondent und Mitglied der Chefredaktion beim „Kölner Stadt-Anzeiger“. Der gebürtige Schwabe mit münsterländischem Migrationshintergrund lebt seit 1996 mit Unterbrechungen in Köln und ist beke...

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Es ist mit den Feiertagen tatsächlich wie mit der Kunst: Sie haben einen Sinnüberschuss, sind deutungsoffen, lassen die Horizont-Erweiterung zu. An Weihnachten ist das offensichtlich. Die frühe Kirche selbst hat bei Terminierung des Geburtsfestes Jesu Traditionen aufgenommen, man könnte auch sagen okkupiert, die mit dem Christentum rein gar nichts zu tun hatten.

Wenn viele Menschen die einst durchgängig christlich geprägten Feiertage heute anders begehen, dann mag das nicht im Sinne der Kirchen sein, ist aber auch nicht sinn-widrig: Weihnachten als Fest der Familie, Ostern als Feier des neuen Lebens im Frühling, Christi Himmelfahrt als Vatertag und Allerheiligen als Brückentag für die Gruselpartys an Halloween. In allen Fällen haben sich die Inhalte von gottesdienstlichen Bezügen gelöst. Eigene Bräuche ersetzen oder ergänzen die kirchlichen Liturgien und Riten, ob es das Osterfeuer ist oder die Vatertagstour mit Bollerwagen.

Christliche Feiertage sind längst nicht mehr exklusiv christlich

Deswegen brauchen christliche Feiertage auch nicht abgeschafft zu werden. Sie sind längst nicht mehr christlich – genauer, nicht mehr exklusiv christlich. Sie bewahren ein kulturelles Erbe, dessen Pflege niemandem aufgezwungen wird, dessen sich die Gesellschaft aber auch nicht leichtfertig entledigen sollte.

Ganz und gar gegenläufig wäre es, im säkularen Staat anstelle der sogenannten christlichen Feiertage nun Ideenfeste anderer Religionen in den Rang gesetzlicher Feiertage zu hieven. Auch die Christen in Deutschland beweisen, dass sie ihre religiösen Feiertage in Ehren halten können, selbst wenn es keine arbeitsfreien Tage sind – wie etwa der Buß- und Bettag, den die evangelische Kirche 1994 (außer in Sachsen) der Finanzierung der Pflegeversicherung opfern musste.

Und ja, es leuchten wunderschöne Sterne auch am gott-losen Ideenhimmel. Schon ein kurzer Blick in den UN-Kalender der „Internationalen Tage“ gäbe Anlass für so viele Feiertage, dass am Ende kaum noch Arbeitstage übrig blieben: Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit, Frauen- und Kinderrechte, Frieden – alles wichtig, alles wertvoll, alles denkwürdig.

Aber gerade angesichts dieser Vielfalt sollte der Staat sich volkspädagogischer Anwandlungen enthalten, die im Übrigen nur den gewünschten Effekt hätten, wenn ein neuer Feiertag dann auch kollektiv begangen würde. Mit dem Sinnüberschuss der traditionell christlichen Feste wäre es hier nämlich nicht getan.

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