Todesfallen in Afghanistan„Unsere Helfer müssen sich in Kabul verstecken“

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Verzweifelte Menschen blockieren das Rollfeld am Flughafen von Kabul.

  • Lothar Hankel vom Patenschaftsverein bangt um ehemalige Ortskräfte in Afghanistan.
  • Die Safe Houses wären zu Todesfallen geworden, sagt der ehemalige Oberstabsfeldwebel der Bundeswehr.

Bonn – Herr Hankel, das Patenschaftsnetzwerk für ehemalige Ortskräfte der Bundeswehr in Afghanistan ist plötzlich in aller Munde. Sie leiten die Regionalgruppe Köln/Bonn. Wie ist das Netzwerk entstanden?

Lothar Hankel: Es hat sich Ende 2013 nach dem Auslaufen der ISAF-Mission aus dem Patenschafts-Programm der Bundeswehr und der Bundespolizei entwickelt. Damals wurden einige Ortskräfte in Afghanistan nicht mehr benötigt. Man hat sehr schnell festgestellt, dass sie einer Gefahr durch die Taliban ausgesetzt sind. Deshalb hat man das Ortskräfte-Verfahren entwickelt und 2014/15 einige Menschen mit ihren Familien nach Deutschland kommen lassen.

Jetzt soll dieses kleine Netzwerk viele Menschenleben retten. Wie soll das gehen? Wir waren im Mai noch 57 Mitglieder, sind inzwischen aber 120 und haben wegen der aktuellen Lage viele Spendengelder bekommen, für die wir sehr dankbar sind. Damit konnten wir bis Montag auch die sogenannten Safe Houses in Kabul betreiben.

Warum haben Sie die Safe Houses eingerichtet?

Wir haben schon vor Wochen die Ortskräfte aus anderen Teilen des Landes gebeten, nach Kabul zu kommen und dort ihren Visa-Prozess abzuwarten, der leider aus unerklärlichen bürokratischen Gründen nie gestartet wurde. Wir wollten ursprünglich sechs Häuser in Betrieb nehmen. Drei waren schon seit vier Wochen geöffnet. Aber nach den Entwicklungen am Wochenende haben wir am Montag entschieden, dass wir das beenden müssen. Die Häuser wären für die Menschen zu Todesfallen geworden. Das hat sich auch als klug herausgestellt, denn vier Stunden später waren die Taliban schon in den ersten Häusern und haben nach unseren Ortskräften gesucht.

Wie viele Menschen haben in den Häusern auf ihre Ausreiseberechtigung gewartet?

Wir hatten in den Häusern ungefähr 400 Menschen untergebracht und insgesamt zu 1300 Kontakt hatten. Wir haben Daten eingesammelt, die Listen an die Behörden weitergegeben, um die Ausreise zu forcieren. Diese Menschen, die unsere Helfer waren, verstecken sich jetzt irgendwo in Kabul in der Hoffnung, nicht entdeckt zu werden.

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Wie stehen die Chancen, diese Menschen noch zu retten?

Wir haben das Problem, dass die Ortskräfte nicht einfach so zum Flughafen fahren können. Die Taliban haben überall Checkpoints eingerichtet. Wenn unsere Leute sich dort als ehemalige Ortskräfte ausweisen, kann man sich vorstellen, was passiert. Dann ist die Reise beendet. Deshalb müssen sie sich solange verstecken, bis sie angerufen werden, dass eine Maschine bereitsteht. Dann müssen sie sich irgendwie durchschlagen. Am Flughafen gibt es zum Glück noch Botschaftspersonal, das die Fluglisten präpariert und auch über unsere Daten verfügt. Ich würde mir wünschen, dass es den noch verbliebenen amerikanischen Truppen gelingt, einen Weg zum Flughafen frei zu halten.

Über wie viele Menschen reden wir?

Es gibt nicht nur die 1300, von denen wir die Daten haben. Insgesamt haben 4000 Menschen auf ihre Visa-Verfahren gewartet. Dann gibt es weitere 4000, die aufgrund politischer Vorgaben durch das Raster fallen. Ursprünglich war von der Bundesregierung geplant, nur diejenigen aufzunehmen, die bis vor zwei Jahren für die Deutschen gearbeitet haben. Das hat man ab Mitte Juni für die Mitarbeiter von Bundeswehr und Bundespolizei rückwirkend bis 2013 erweitert, sofern sie schon einmal eine Gefährdungsanzeige erstellt haben. Dann kommen Unzählige dazu, die komplett durchs Raster fallen, weil sie vor 2013 entlassen wurden. Zusätzlich die ganzen Subunternehmer, die in den Camps gearbeitet haben. Ich denke da einen Bauunternehmer, der im Camp Namal eine christliche Kirche gebaut und damit gänzlich gegen die Scharia verstoßen hat. Mit ihrer Zahl, dass es insgesamt um 10 000 Menschen geht, ist die Bundesregierung meiner Meinung nach noch sehr vorsichtig. Ich kann nur hoffen und beten, dass alle, die ausreisen wollen, das auch noch können. Die Ortskräfte werden das alle wollen. Sie werden sich auf die Amnestie-Zusagen der Taliban bestimmt nicht verlassen.

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Lothar Hankel, ehemaliger Oberstabsfeldwebel und Kassenwart des Patenschaftsvereins für ehemalige Ortskräfte in Afghanistan

Welche Erfahrungen haben die Ortskräfte gemacht, die schon vor Jahren nach Deutschland gekommen sind?

Ich habe selbst zwei aktive Patenschaften seit 2015 betrieben. Einer von ihnen ist ein sechsfacher Familienvater, der jetzt in Erftstadt lebt und beim Bundeswehr-Dienstleistungszentrum die Standort-Schießanlage im Stommeler Busch betreut. Die Familie ist gut integriert. Das sind die Aufgaben eines regionalen Paten. Irgendwann mussten wir uns organisieren daraus einen Verein machen. Ich war selbst Berufssoldat, aber zum Glück nicht in Afghanistan, weil ich diesen Einsatz von vornherein als irrsinnig angesehen haben. Ich bin zwischen pensioniert. Ich war immer stolz, der Bundesrepublik Deutschland zu dienen. Inzwischen bröckelt das ein bisschen, wenn ich sehe, was sich jetzt in Afghanistan abspielt.

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