So entschieden wie wenige andere Demokraten stellt sich der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom gegen den Präsidenten. Nun will er fünf Kongresssitze sichern.
„Wir bekämpfen Feuer mit Feuer“Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom will Trump mit dessen Mitteln schlagen

Donald Trump (r.) spricht mit dem kalifornischen Gouverneur Gavin Newsom in Los Angeles, als der Präsident wegen der verheerenden Waldbrände Kalifornien besuchte. (Archivbild vom Janur 2025)
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Neun Jahre ist der Satz nun alt. Damals, im Sommer 2016, war Michelle Obama ans Rednerpult der demokratischen Convention in Philadelphia getreten und hatte ihre Parteifreunde aufgefordert, niemals auf das Niveau von Donald Trump herabzusinken. Ihr Leitsatz lautete: „When they go low, we go high!“ Der Saal jubelte.
Am Mittwoch der vergangenen Woche nun meldete sich Gavin Newsom mit einer bemerkenswerten Widerrede zu Wort: „Die Lage erfordert entschlossenes Handeln“, rief der Gouverneur von Kalifornien seinen Unterstützern bei einem Videocall zu: „Das geht nicht mit angezogener Handbremse.“ Allzu oft redeten seine Parteifreunde „über ihre moralische Überlegenheit“, monierte der Demokrat. Kämpferisch setzte er sich ab: „Wir halten keine Mahnwachen. Wir schreiben keine Papiere. Wir gehen nicht zu Konferenzen. Wir machen etwas Sinnvolles: Wir bekämpfen Feuer mit Feuer!“

Kämpferisch: Der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom ist zu einem der stärksten Gegner des US-amerikanischen Präsidenten geworden.
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Das sind neue Töne von den Demokraten, die nach der Wahlniederlage vor einem Jahr in kollektive Depression gefallen zu sein schienen. Gerade mobilisiert Newsom in seinem Bundesstaat für die „Proposition 50“. Am 4. November wird abgestimmt. Erhält der Vorschlag die erforderliche Mehrheit, wollen die Demokraten in Kalifornien den Zuschnitt der Wahlkreise genauso fragwürdig parteiisch verschieben wie die Republikaner in Texas und damit deren Manipulation ausgleichen. Das nennt man wohl Realpolitik. Newsom ist dazu fest entschlossen. Am Mittwoch erhielt er Zuspruch von einem Überraschungsgast: Kein Geringerer als Ex-Präsident Barack Obama schaltete sich bei dem Videocall zu und unterstützte das Vorhaben. „Gute Arbeit!“ lobte er den Gouverneur. Es klang wie ein Ritterschlag.
Trump nennt ihn „unfähigen Gouverneur“
Anfang des Jahres noch schien Newsom am Tiefpunkt seiner Karriere. Da waren ganze Stadtteile von Los Angeles bei verheerenden Waldbränden dem Erdboden gleichgemacht worden. Und irgendwie war es Donald Trump gelungen, die Schuld für diese Katastrophe zumindest teilweise dem „unfähigen Gouverneur“ des mit 40 Millionen Einwohnern größten US-Bundesstaates in die Schuhe zu schieben, den er regelmäßig als „Newscum“ (zu deutsch etwa: neuer Abschaum) verunglimpft. Als Trump dann ins Krisengebiet flog, empfing ihn der Demokrat mit einem langen Händedruck und einem Schulterklopfen auf dem Rollfeld.
Doch seit ein paar Monaten ist der schlanke, hochgewachsene Mann mit dem nach hinten gegelten grauen Haar zum prominentesten Gegenspieler des Präsidenten avanciert. Das liegt nicht nur an der „Proposition 50“ – einer offenen Kampfansage an die Republikaner, die den Demokraten fünf zusätzliche Sitze bei den Kongresswahlen im nächsten Jahr bescheren und damit zur Mehrheit verhelfen könnte.
Newsom will vom Gegner lernen
Der Gouverneur hat die Washingtoner Regierung wegen ihrer Zollpolitik, des Einsatzes der Nationalgarde in den Städten, der Aufhebung von Umweltauflagen und der Abschiebung von Migranten mit insgesamt 41 Klagen überzogen. In der Mehrzahl hat er bislang recht bekommen. Vor allem aber hat er mit einem Podcast, Auftritten bei Talkshows und einer Flut von Posts auf der Plattform X eine digitale Omnipräsenz entwickelt.
Mehr noch als die Menge sticht die Art seiner Meinungsäußerungen hervor: Newsom hat sich vorgenommen, Trump stilistisch zu kopieren: „Diese Leute haben die Wahl gewonnen“, sagte er Ende September in der Late-Night-Show von Stephen Colbert: „Wir müssen verstehen, wie sie das gemacht haben. Es ist wichtig, vom Gegner zu lernen.“ Also bietet er bei einem Onlineversender namens „The Patriot Shop“ für 32 Dollar rote Kappen mit der Aufschrift „Newsom was right about everything“ und T-Shirts an, die ihn als „Auserwählten“ zeigen, dem der verstorbene Wrestler und Trump-Freund Hulk Hogan und der ultrarechte Verschwörungsideologe Tucker Carlson die Hand auflegen. Selbst eine (angeblich ausverkaufte) Bibel hat Newsom dort für 100 Dollar im Angebot – eine Anspielung auf die „Trump-Bibel“, die dieser für 59,99 Dollar verhökert.
Eigenes Team für Posts im Stil von Trump
Auf der Plattform X treibt Newsom die Parodie auf die Spitze. Er hat eigens ein Team angeheuert, das Posts im Stil des Präsidenten verfasst. Die Tweets zeigen Newsom auf dem imaginären Titel des Magazins „Time“ mit Krone und der Schlagzeile: „Long live the King!“ oder ein Gemälde der Königin Marie Antoinette mit den Gesichtszügen von Trump und dem Kommentar: „NO HEALTH CARE FOR YOU PEASANTS, BUT A BALLROOM FOR THE QUEEN!“ (Keine Krankenversicherung für Euch Untertanen, aber ein Ballsaal für die Königin) – alles wie im Original in Großbuchstaben. „MANY PEOPLE ARE SAYING – AND I AGREE – THAT I GAVIN C. NEWSOM (AMERICA’S FAVORITE GOVERNOR) DESERVE THE NOBLE PEACE PRIZE“ (Viele Leute sagen – und ich stimme zu – dass ich, Gavin C. Newsom, Amerikas beliebtester Gouverneur, den Friedensnobelpreis verdiene) imitiert er ein anderes Mal exakt den Duktus des Präsidenten.
Die Posts lösen bei vielen Lesenden ein befreiendes Lachen aus. Zugleich führen sie vor Augen, wie absurd Trumps pausenlose Online-Nachrichten wären, wenn sie nicht vom Präsidenten der USA kämen. Der hatte sich unglaublich aufgeregt, weil bei der UN-Vollversammlung die Rolltreppe steckenblieb. Kurz darauf postete Newsom das Foto einer wegen Wartung geschlossenen Rolltreppe mit dem Kommentar: „A REAL DISGRACE. Escalator was broken at Trump Tower today. I’ve launched an investigation into this matter“ (Eine echte Schande. Die Rolltreppe im Trump Tower war heute kaputt. Ich habe eine Untersuchung dieser Sache eingeleitet).
Wer nachvollziehen will, wie ungewöhnlich diese respektlose Art des Umgangs mit dem Mann im Weißen Haus ist, der muss sich in den Keller des Washingtoner Kapitols begeben. Dorthin, wo alle paar Tage im Raum HVC-215 die Führungsriege der Demokraten vor die Presse tritt. Der Ablauf ist immer der gleiche: Erst redet Hakeem Jeffries, der Oppositionsführer im Parlament, dann ein halbes Dutzend Kollegen, die über die jüngsten Dekrete des Präsidenten oder den Shutdown lamentieren, Gesetzesentwürfe oder Geschäftsordnungsanträge ankündigen und beliebige Plakate auf hölzernen Ständern präsentieren. Nach einer Dreiviertelstunde ist die Veranstaltung vorbei. In die Zeitung oder ins Fernsehen schaffen es die Damen und Herren selten.
Eine wachsende Gruppe von Demokraten – neben Newsom gehören vor allem sein Kollege J.B. Pritzker, der Gouverneur von Illinois, und der aus Connecticut stammende Senator Chris Murphy dazu – halten diese Art klassischer Oppositionsarbeit in einem kaltgestellten Kongress für wirkungslos. Sie möchten nicht passiv darauf warten, dass sich irgendwann die Mehrheitsverhältnisse ändern. „Dieser Hurensohn wird die Geschichte nicht nur umschreiben. Es ist vorbei, wir werden kein Land mehr haben, wenn dieser Kerl erfolgreich ist“, wurde Newsom vor zwei Wochen in dem Podcast „The Ringer“ drastisch, der sich sonst mit Sport und Popkultur beschäftigt: „Ich fürchte, dass wir 2028 keine freien Wahlen mehr haben, wenn wir jetzt nicht aufwachen.“
Rebellischer Habitus nicht in die Wiege gelegt
Dieser rebellische Habitus war Newsom keineswegs in die Wiege gelegt. Im Gegenteil: Der 58-Jährige entstammt der kalifornischen Elite. Nach dem Studium gründete er mit dem Geld eines Erben der steinreichen Getty-Familie ein Boutique-Weingut, das bald zu einer Unternehmensgruppe mit 23 Weingütern, Restaurants, Hotels und Cafés expandierte. 2001 heiratete der junge Geschäftsmann die Staatsanwältin und Fox-Moderatorin Kimberly Guilfoyle. Nach seiner Wahl zum Bürgermeister von San Francisco drei Jahre später posierte das Paar für ein Hochglanzmagazin als „die neuen Kennedys“ auf dem Teppich einer Luxuswohnung mit Blick auf den Pazifik. Die Ehe scheiterte. Guilfoyle kam später als Interims-Verlobte des Trump-Sohns Donald Jr. zu einer gewissen Prominenz. Newsom heiratete die Filmdirektorin Jennifer Siebel, mit der er vier Kinder hat, wurde 2011 Vize-Gouverneur und sieben Jahre später Gouverneur von Kalifornien.
In dem Amt hat er – mit durchwachsenen Ergebnissen – stets eine moderate Politik vertreten. Der Podcast, den er im Februar startete, empörte viele Linken: Immerhin lud er in den ersten Folgen den später ermordeten rechtsnationalen Aktivisten Charlie Kirk und Trumps einstigen Chefideologen Steve Bannon ein. Seine Gegenargumente klangen schwach. Doch irgendwann muss der Widerstandsgeist des Mannes erwacht sein, der nach eigenen Worten als Legastheniker seit Kindestagen gelernt hat, sein Ziel auf unkonventionellen Wegen zu erreichen.
Zwei Ereignisse im Juni haben die Wandlung wohl befördert: Erst schickte Trump gegen Newsoms ausdrücklichen Willen die Nationalgarde in die Innenstadt von Los Angeles und empfahl dem Chef der Abschiebepolizei, den Gouverneur festzunehmen: „Das wäre eine großartige Sache!“ Dann drängte er die Republikaner in Texas, die Wahlbezirke außerhalb des üblichen Turnus zu seinen Gunsten zu verändern. Newsom meldete sich mit einer Fernsehansprache zu Wort: „Die Demokratie wird vor unseren Augen angegriffen“, warnte er eindringlich: „Die Rechtsstaatlichkeit weicht zunehmend der Herrschaft von Don.“ Den Republikanern in Texas drohte er, ihre Machenschaften notfalls durch ähnliche Manipulationen in Kalifornien zu neutralisieren.
Anführer des Widerstands
Es war ein Bluff, anfangs. Denn in Kalifornien geht das nicht ohne Verfassungsänderung. Doch Trumps Leute blieben hart. Nun muss Newsom liefern. Und mit einem Mal ist er der Anführer des Widerstands. Die bundesweite Prominenz dürfte dem telegenen Politiker, der klare Ambitionen auf die Präsidentschaftskandidatur seiner Partei hegt, gefallen. Sie überdeckt einstweilen auch Zweifel, ob ein alerter Vertreter der Westküstenelite im Rostgürtel der Vereinigten Staaten genügend Stimmen holen würde.
Newsom hat alles auf eine Karte gesetzt: Kommt er mit dem Neuzuschnitt der Wahlbezirke durch und kann seiner Partei bei den Kongresswahlen im nächsten Jahr fünf neue Mandate bescheren, hat er eine sehr starke Startposition für das Rennen um das Weiße Haus 2028. Laut jüngstem Interview mit dem US-Sender CBS, denkt er selbst über eine Kandidatur zumindest nach. Sollte er aber scheitern, muss er nicht nur seine roten Kappen mit dem Slogan „Newsom was right about everything“ einmotten. Eine Salve ätzender Online-Kommentare seines Lieblingsfeindes Trump wäre ihm sicher. Und er könnte darauf nicht einmal mehr ironisch reagieren.

