Truthahn-BegnadigungBiden verwechselt zwei US-Superstars und macht schlechte Witze übers Alter

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Joe Biden begnadigt am 20. November einen Thanksgiving-Truthahn in Washington.

Joe Biden begnadigt am 20. November einen Thanksgiving-Truthahn in Washington.

Angesichts wachsender Bedenken wegen seines Alters geht Joe Biden in die Offensive. Die Truthahn-Begnadigung ist eigentlich ein Selbstläufer.

Der Präsident hatte sich vorgenommen, locker zu sein. „Übrigens: Heute ist mein Geburtstag“, sagte Joe Biden scheinbar beiläufig, nachdem er seine Pilotenbrille abgesetzt hatte: „Und damit Ihr es wisst: Es ist schwierig, 60 zu werden.“

Der selbstironische Ton schien angemessen für eine etwas kuriose Veranstaltung: Immerhin stand Biden am Montag auf einem Podium vor der Südfassade des Weißen Hauses mit einem 18 Kilogramm schweren Truthahn an seiner Seite. Der Zufall wollte es, dass die Tradition der jährlichen Begnadigung eines Federviehs vor dem Thanksgiving-Fest mit dem Geburtstag des Hausherrn zusammenfiel. Eine Militärkapelle spielte, die Sonne blinzelte durch die Wolkendecke, und im Publikum saßen neben handverlesenen Gästen die Familien von Regierungsmitarbeitern.

Am lautesten lacht der Präsident

Ein Heimspiel also und ein Wohlfühltermin für den von dramatischen Weltkrisen und schlechten Umfragen getriebenen Politiker. Doch die Reaktion des Publikums auf Bidens Eröffnungskalauer ließ erahnen, wie heikel die Stimmung selbst im liberalen Milieu für den nunmehr 81-Jährigen ist: Der Präsident erntete höfliche Lacher der Zuhörerinnen und Zuhörer, doch am lautesten dröhnte sein eigenes „Ha-ha-ha“.

Ein Jahr vor den schicksalhaften nächsten Wahlen befinden sich die US-Demokraten in einem ernsten Dilemma: Ihr Präsident hat innenpolitisch deutlich mehr Projekte umgesetzt, als viele Beobachter erwartet hätten. Außenpolitisch hat er im Ukraine-Krieg Führungsstärke bewiesen und versucht derzeit unermüdlich, den Gaza-Krieg einzudämmen. Doch ausweislich der Erhebungen der Demoskopen würdigen die amerikanischen Wählerinnen und Wähler das nicht. In fünf von sechs wichtigen Swing States lag Biden kürzlich in einer Umfrage der New York Times hinter seinem mutmaßlichen Herausforderer Trump, und selbst in der ehemals klar linksliberalen Altersgruppe der unter 34-Jährigen hat ihn der republikanische Möchtegern-Autokrat inzwischen überholt.

Die Gründe für das Stimmungstief sind vielfältig: Die Amerikanerinnen und Amerikaner interessieren sich wenig für Außenpolitik und sind kriegsmüde. Das Wachstum der Wirtschaft und am Arbeitsmarkt wird für sie durch die Lasten der Inflation überlagert. Vor allem aber finden mehr als zwei Drittel der Befragten, dass Biden schlicht zu alt für eine weitere Amtszeit ist.

Manche Biden-Anekdote klingt ziemlich angestaubt

Zwar bestätigen Augenzeugen, dass der Präsident im Gespräch absolut präsent und scharf sei. Auch klingen seine Reaktionen auf Zurufe durch Reporter pointiert und schlagfertig. Doch schlurft der siebenfache Großvater beim Gehen. Er spricht leise und verhaspelt sich ziemlich oft. Manchmal verwechselt er Namen. Seine Anekdoten wiederholen sich und wirken leicht angestaubt – besonders, wenn sie in den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts spielen, als Biden seine politische Karriere im Senat begann.

Lange haben die politischen Berater versucht, diese Schwächen zu überdecken, indem sie den Präsidenten von den Medien möglichst fernhielten. Anders als Trump, der es trotz seiner hasserfüllten Tiraden gegen die „Fake News“ genießt, von Kameras und Mikrofonen umringt zu sein, gibt Biden nur selten Pressekonferenzen. Seine jüngste in San Francisco nach dem Gespräch mit dem chinesischen Machthaber Xi Jinping verlief mittelprächtig: Offenbar unabgesprochen nannte er zum sichtbaren Missfallen seines Außenministers Antony Blinken den Gast aus Peking einen „Diktator“.

Gleichwohl scheint im Weißen Haus inzwischen die Einschätzung zu dominieren, dass der Präsident präsenter und mehr er selbst sein solle. Auffällig viel Zeit nahm er sich schon vor zehn Tagen beim Abflug zu einem Wahlkampftermin. Geduldig arbeitete er die Reihe der wartenden Reporter ab, spielte jovial die jüngsten Umfrageergebnisse herunter und beantwortete bereitwillig selbst Fragen zum Nationalfeiertag in Angola.

Biden: Vor 76 Jahren sei er noch „zu jung“ gewesen

An seinem Geburtstag nun nahm er selbst sein Alter aufs Korn. „Ich erinnere mich. Ja, ich erinnere mich“, betonte er schmunzelnd bei der Begrüßung einer Schülergruppe, was man als kleine Anspielung auf seine gelegentliche Namensschwäche verstehen konnte. Als er später berichtete, die Tradition der Truthahnbegnadigung sei bereits vor 76 Jahren begonnen worden, schloss er freudig grinsend eilig an: „Ich war beim ersten Mal nicht dabei. Ich war zu jung.“

Das war lustig gemeint und klang doch etwas gewollt. Wenig später verriss Biden einen spontanen Witz, bei dem er die Megastars Taylor Swift und Britney Spears verwechselte. Da schienen die Sorgen vieler Demokraten vor Patzern des Seniors im Wahlkampf plötzlich recht real. Ziemlich ungalant hatte die prominente Kolumnistin Maureen Dowd deshalb den Präsidenten pünktlich zum Geburtstag in der „New York Times“ aufgefordert, den Verzicht auf eine erneute Kandidatur zu erwägen.

Doch daran scheint Biden nicht zu denken. „Wir sind die Vereinigten Staaten von Amerika, und es gibt nichts, das wir nicht erreichen könnten, wenn wir zusammenhalten“, beendete er seine kleine Rede entschlossen. Kaum hatte er den beiden prächtigen Truthähnen mit den beziehungsreichen Namen „Liberty“ und „Bell“ die Freiheit geschenkt, eilte er zurück an seinen Schreibtisch im Oval Office.

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