Der Antrittsbesuch eines Kanzlers in der Türkei ist kompliziert. Merz muss die deutschen Interessen ausgewogen navigieren.
Ein komplizierter BesuchTürkei-Reise des Kanzlers wird zum glatten Parkett für Friedrich Merz


Beim Nato-Gipfel in Den Haag im Juni waren Bundeskanzler Friedrich Merz (links) und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bereits aufeinander getroffen.
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Für die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei gilt: Es ist kompliziert. Die rund drei Millionen türkischstämmigen Menschen in Deutschland sind die größte Gruppe mit Migrationshintergrund neben der einheimischen Bevölkerung. Das schafft zugleich eine tiefe Verbundenheit beider Länder miteinander wie auch ein großes Konfliktpotenzial der unterschiedlichen Kultur, Sprache, Religion, politischen Systeme. Hinzu kommen grundlegend andere Auffassungen der Regierungen in Berlin und Ankara zum Thema Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Rechtsstaat und Minderheitenschutz.

Es ist kompliziert: die Beziehung zwischen Deutschland und der Türkei.
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Der Antrittsbesuch eines deutschen Kanzlers in Ankara ist also immer ein Gang über ein sehr rutschiges Parkett. Friedrich Merz wird an diesem Mittwoch in die Türkei aufbrechen. Im Vorfeld hat Außenminister Johann Wadephul den Versuch unternommen, den Boden so zu bereiten, dass Merz sicheren Tritts darüber gehen kann. Der Außenminister schlug auffallend freundliche Töne an und rühmte die Türkei als strategischen Partner in allen außenpolitischen Belangen sowie als „guten Freund“. Er sagte den Türken gar Unterstützung für ihren Weg in die EU zu. Dabei war Wadephuls CDU eigentlich immer gegen einen Beitritt der Türkei. In absehbarer Zeit ist dieser auch undenkbar. Zumal sich laut EU, Europarat und der europäischen Sicherheitsorganisation OSZE die Menschenrechtslage am Bosporus in den vergangenen Jahren verschlechtert hat. Präsident Recep Tayyip Erdogan lässt keinerlei Anzeichen erkennen, dass er das ändern wird.
Die Türkei ist dabei, sich zu einem autoritären System zu entwickeln
Kern von Diplomatie sollte sein, über Fragen von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit nicht zu schweigen und dennoch stabile Beziehungen zu pflegen. Mit einem jährlichen Handelsvolumen von 55 Milliarden Euro, mit ihren großen Flüchtlingslagern und mit der zweitgrößten Armee in der Nato ist die Türkei tatsächlich strategisch ein unverzichtbarer Partner für Deutschland und für die EU. Nachdem seine Vorgängerin Annalena Baerbock in der Türkei mit ihrer offensiven Kritik viel Porzellan zerschlagen hatte, wirkte Wadephuls Auftritt nun anbiedernd.
Für Merz ist das nicht unbedingt eine komfortable Ausgangsposition für seinen Besuch. Zwar werden Wadephuls Schmeicheleien die Stimmung bei Erdogan gehoben haben. Und Merz wird mit dem türkischen Präsidenten insbesondere über internationale Sicherheit und die Verlässlichkeit der Türkei in der Nato sprechen. Aus Wadephuls Freundlichkeiten könnten aber auch handfeste Erwartungen erwachsen. Seit Jahren drängt die Türkei beispielsweise auf Visa-Erleichterungen, die bislang nicht gewährt wurden. Der Grund: Die Türkei ist dabei, sich zu einem autoritären Präsidialsystem zu entwickeln. Merz wird viel Fingerspitzengefühl benötigen, jetzt den richtigen Ton zwischen Distanz und Partnerschaft zu setzen.
Die Autokraten dieser Welt sind politisch mächtiger geworden
Der Kanzler wird bei seinem Besuch nicht daran vorbeischauen können, dass Erdogans gefährlichster Konkurrent, der inhaftierte Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoğlu von der Oppositionspartei CHP, mit einem weiteren undurchsichtigen Haftbefehl überzogen wurde.
Das ökonomisch mächtige Deutschland konnte es sich in früheren Jahren leisten, überall auf der Welt mit Nachdruck Menschenrechte sowie rechtsstaatliche Regeln einzufordern und auf Verstöße kritisch hinzuweisen. Wer mit Deutschland Geschäfte machen wollte, musste sich das auf offener Bühne anhören. Die Zeiten haben sich aber geändert. Die Autokraten dieser Welt sind politisch und ökonomisch mächtiger geworden. Dies gilt insbesondere für den zwischen Demokratie und Autokratie wandelnden Erdogan. Er hat seine Mittelmacht Türkei so geschickt auf der Welt vernetzt, dass er dem deutschen Kanzler mit großem Selbstbewusstsein begegnen kann.

