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Scholz und die Panzer-EntscheidungGenie oder Getriebener – welche Geschichte über die Leopard-Lieferung trifft zu?

Lesezeit 4 Minuten
Olaf Scholz (SPD) bei der Regierungsbefragung im Bundestag. Zuvor hatte Scholz mitgeteilt, dass die Bundesregierung Leopard-Kampfpanzer an die Ukraine liefern will.

Olaf Scholz (SPD) bei der Regierungsbefragung im Bundestag. Zuvor hatte Scholz mitgeteilt, dass die Bundesregierung Leopard-Kampfpanzer an die Ukraine liefern will.

Nach der Panzer-Entscheidung in Berlin existieren zwei Narrative nebeneinander – für beide gibt es Argumente. Eine Analyse. 

Nach einer mühsamen, lauten, teilweise auch schrillen Debatte steht seit Mittwoch fest: Deutschland schickt Kampfpanzer in die Ukraine. Zunächst sollen 14 der in Kiew begehrten Leoparden entsendet werden. Wenig später verkündete dann auch US-Präsident Joe Biden: Der Abrams kommt! 31 ihrer stärksten Kampfpanzer wollen auch die USA in die Ukraine schicken.

Unklarheit besteht nach dem von ukrainischen Diplomaten als „Panzer-Doppelwumms“ bezeichneten Paket, das Berlin und Washington geschnürt haben, allerdings auch in einer anderen Frage: Ist Olaf Scholz mit seiner Strategie nun eigentlich ein vorausschauendes politisches Genie oder doch eher ein Getriebener, dem Kollege Biden netterweise aus der Patsche geholfen hat, als es eng zu werden drohte?

Leopard-Lieferung: Half Joe Biden dem Bundeskanzler aus der Patsche?

Beide Narrative konkurrieren derzeit nebeneinander. Während noch am vergangenen Wochenende kaum lobende Stimmen für den Kurs des Kanzlers zu finden waren, dominiert nun eine andere Deutung. Die vom genialen Strategen Scholz, der gleichzeitig Deutschland durch die Beteiligung der Amerikaner abgesichert und ein wirksames Panzer-Paket für die Ukraine geschnürt hat – alles in perfekter Harmonie mit US-Präsident Biden.

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Diese Erzählung ist die Variante, die die Bundesregierung, aber auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, sich ganz offensichtlich in den Geschichtsbüchern wünschen. Unterstützung gibt es dafür aus Washington, zumindest offiziell. „Ich möchte dem Bundeskanzler für seine Führungsrolle und sein unerschütterliches Engagement für unsere gemeinsamen Bemühungen zur Unterstützung der Ukraine danken“, erklärte Joe Biden am Mittwoch. Deutschland habe sich „wirklich stark engagiert“ und der Bundeskanzler sei eine „starke Stimme für die Einheit und ein enger Freund.“

Joe Biden über Olaf Scholz: „Starke Stimme für die Einheit“

Das klingt harmonisch. Dennoch finden sich trotz der Worte Bidens auch Argumente dafür, dass hier der stärkste Verbündete in den sauren Apfel gebissen hat, um Scholz aus der Patsche zu helfen und die Einigkeit innerhalb der westlichen Koalition der Ukraine-Unterstützer nicht zu gefährden. Denn zuvor hatte es ordentlich im Gebälk geknirscht.

Aus Polen wurde nahezu täglich Druck auf die Bundesregierung ausgeübt, ganz sicher übrigens auch, weil sich Ministerpräsident Mateusz Morawiecki die Anti-Berlin-Kampagne innenpolitisch zunutze machen konnte. Doch auch das Baltikum war unzufrieden mit Scholz und Deutschland. Und aus Washington hieß es noch vor wenigen Tagen, es würde keinerlei Sinn ergeben, die wartungsintensiven und viel Treibstoff verbrauchenden Abrams-Panzer in die Ukraine zu schicken. Diese Meinung scheint im Pentagon übrigens immer noch zu herrschen – so berichtet es zumindest die „New York Times“.

Hat Olaf Scholz überzeugt oder Joe Biden nachgegeben?

Erst nach einem Telefonat mit Scholz habe Biden in der letzten Woche nachgegeben – und die Bedenken des eigenen Verteidigungsministeriums beiseite gewischt. Nicht weil er den Abrams plötzlich doch für geeignet gehalten hätte, sondern aus „politischem Kalkül“, wie es die US-Zeitung beschreibt. Und wieder gibt es offene Fragen: Hat Scholz Biden etwa „überzeugt“ oder hat Biden „nachgegeben“?

Es ist die Frage, die alle interessiert, die aktuell aber kaum beantwortet werden kann. Und das hat auch mit der Kommunikationsstrategie von Olaf Scholz zu tun. Der Kanzler schweigt bei seinen großen Entscheidungen stets lange – und erklärt sie, wenn er sie dann getroffen hat, maximal oberflächlich. So auch am Mittwoch – weder nach seinen Worten im Bundestag noch im ZDF war man wirklich schlauer.

Debatte um Panzer-Lieferungen: Timothy Garton-Ash und das „Scholzing“

Es wird, so viel ist jetzt schon klar, ein Fall für die Historiker. Einer der berühmtesten der Zunft mischte in den letzten Tagen derweil schon munter mit in der Debatte. Timothy Garton-Ash verbreitete auf Twitter ein Meme – erfunden hat er den Begriff übrigens nicht – über das sogenannte „Scholzing“. Das bedeute in etwa: „Gute Absichten zu kommunizieren, nur um dann jeden erdenklichen Grund zu nutzen/finden/erfinden, um diese zu verzögern und/oder zu verhindern.“

Der Vorwurf kommt nicht von ungefähr. Lange hatte Scholz sich gegen Panzer-Lieferungen gesperrt. Dann zeigte er doch Bereitschaft – verpasst dieser aber prompt die Bedingung, dass die USA dabei mitmachen müssten. Nun rollen die Leoparden doch nach Kiew – und die Abrams auch, zumindest irgendwann.

Panzer-Entscheidung von Olaf Scholz: „Historisch, moralisch und strategisch richtig“

Laut der „New York Times“ könnte es Monate, vielleicht sogar Jahre dauern, bis die amerikanischen Abrams-Panzer in der Ukraine eintreffen. Der „Coup“ des Kanzlers scheint zunächst einmal nur auf Papier zu existieren. Tatsächlich werden bald erst einmal Leopard-Panzer gegen Russland kämpfen, ohne Abrams an der Seite.

Auch der Kampf um die Deutungshoheit dürfte weitergehen. Vielleicht dauert er sogar Jahrzehnte an – bis Historiker Einblicke in Akten erhalten, die nun zunächst einmal unter Verschluss bleiben. Garton-Ash scheint das allerdings derzeit gar nicht so wichtig zu finden. „Ich begrüße diese Entscheidung von ganzem Herz“, erklärte Historiker am Donnerstag auf Twitter. „Es ist historisch, moralisch und strategisch richtig, Deutschlands gewaltige militärische Ausrüstung einzusetzen, um Putin zu stoppen“.

Zumindest darüber dürfte bei vielen im Westen Einigkeit bestehen. Ob Olaf Scholz nun aber eher ein (getriebenes) Genie, ein (genialer) Getriebener oder doch etwas ganz anderes ist, das dürfen wir uns vorerst weiterhin aussuchen.

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