Panzerallianz für die UkraineScholz weist Kritik im Bundestag kämpferisch zurück

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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht bei der Regierungsbefragung im Bundestag. Im Hintergrund ist Boris Pistorius (SPD), Bundesminister der Verteidigung zu sehen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), bei der Regierungsbefragung neben Boris Pistorius (SPD), Bundesminister der Verteidigung, im Bundestag.

Aus Kiew werden nur Stunden nach dem Durchbruch im Panzer-Streit bereits Forderungen nach weiteren Waffensystemen laut - auch nach solchen aus Deutschland.

Der Kanzler kommt mit einer roten Mappe und er kommt als letzter. Die Abgeordneten im Plenarsaal des Bundestags stehen gerade zur Begrüßung des Tagungspräsidiums. Olaf Scholz betritt den Saal wie eine Bühne vor ehrfürchtigem Publikum, die rote Kanzlermappe lenkt den Blick auf ihn. Zufall oder Inszenierung? Genau weiß man so etwas bei Scholz nicht. Auf jeden Fall passt dieses Entrée zum Tag.

Es ist erst wenige Stunden her, da hat er eine schwere Entscheidung getroffen, eine schwerwiegende auch: Deutschland macht den Weg frei für die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern an die Ukraine. Die Debatte darüber hat lange gedauert, auch aus der Koalition ist Scholz vorgeworfen worden, er zaudere. Nun stellt er sich in einer Regierungsbefragung den Fragen der Abgeordneten - wie passend, dass dieser Termin gerade angesetzt ist. Und wieder kann man fragen, wie viel davon geplant ist und was sich einfach so ergeben hat.

Scholz stellt Ukraine-Politik der Bundesregierung selbstsicher dar

Scholz erhebt sich und wenn er nervös ist, lässt sich das höchstens an einem Detail erkennen: Er vergisst es, Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zu begrüßen. Bas wird ihn im Anschluss an seinen Auftritt daran erinnern. „Entschuldigung“, raunt Scholz da schuldbewusst. Es wird die einzige Sekunde sein, in der der SPD-Politiker defensiv auftritt. 13 Minuten nimmt er sich davor, um die Ukraine-Politik der Bundesregierung darzustellen.

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Er wählt einen selbstsicheren, einen zufriedenen, sogar mitunter einen triumphierenden Ton. Und er beginnt nicht mit den Panzern, sondern mit der Energiesicherheit – trotz des Endes russischer Gas- und Öllieferungen. „Manche haben schon über Wutherbst und Wutwinter gesprochen“, sagt Scholz. „Die Wahrheit ist, das ist nicht eingetreten. Wir sitzen hier im Warmen.“ Zu der von manchen prophezeiten Wirtschaftskrise sei es auch nicht gekommen. „Wir haben gezeigt, was in uns steckt.“

Vertrauen Sie mir und vertrauen sie dieser Bundesregierung. Wir werden weiter sicherstellen, dass die Unterstützung der Ukraine möglich ist, ohne dass die Risiken wachsen.
Olaf Scholz (SPD), Bundeskanzler

Über Wochen und Monate sind Scholz aus der Opposition, von Experten, auch aus der Koalition fehlende Entschlossenheit und mangelnden Gestaltungswillen vorgeworfen worden – es hat ihn geärgert. Der Kanzler verweist darauf, dass Deutschland mit Großbritannien das europäische Land sei, das die Ukraine am meisten unterstütze. Und damit ist er dann doch mal bei den Panzern. „Wir werden der Ukraine Kampfpanzer liefern“, sagt Scholz. Ganz klar und entschlossen klingt er da. Hat er nicht gezögert?

Es sei „mit voller Absicht“, dass die Regierung sich Stück für Stück an diese Entscheidung herangearbeitet habe. „Es war richtig und es ist richtig, dass wir uns nicht haben treiben lassen.“ Man müsse sich mit den USA abstimmen und mit den europäischen Partnern. „Es ist das einzige Prinzip, mit dem wir Sicherheit in Europa gewährleisten können.“ Scholz spricht viel von Prinzipien in seiner Rede, und in einem Appell an die Bundesbürger sagt er: „Vertrauen Sie mir und vertrauen sie dieser Bundesregierung. Wir werden weiter sicherstellen, dass die Unterstützung der Ukraine möglich ist, ohne dass die Risiken wachsen.“

Scholz macht seinem Ärger auch im Plenum Luft

Als der Außenpolitik-Experte der Union, Jürgen Hardt, die Geschwindigkeit erneut als zu langsam kritisiert, wird Scholz scharf: „Wenn wir ihren Ratschlägen folgen würden, wäre das eine Gefahr für die Sicherheit Deutschlands“, entgegnet er. „Es wäre ein schlimmer Fehler, alleine voranzugehen.“ Wenige Menschen haben seit Kriegsbeginn öffentlich mehr Druck auf die Bundesregierung ausgeübt, Waffen zu liefern, als der frühere ukrainische Botschafter und heutige Vize-Außenminister Andrij Melnyk – er hat die zögerliche Haltung Deutschlands kürzlich noch frustriert mit „Himmel, Arsch und Wolkenbruch“ kommentiert.

Nach dem Leopard-Durchbruch zeigt sich Melnyk ausnahmsweise enthusiastisch: „Heute werde ich mich betrinken. Mit meinem deutschen Lieblingsbier“, schreibt er auf Twitter. „Prost, meine lieben Freunde in Deutschland und auf der ganzen Welt!“ Der Streit über Waffenlieferungen an die Ukraine hat mit den Leopard-Panzern einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Beendet ist er nicht. „Und jetzt, liebe Verbündete, lasst uns eine mächtige Kampfjet-Koalition für die Ukraine aufbauen“, fordert Melnyk.

Melnyks Forderungen nach Kampfjets sind Thema im Bundestag

Deutschland könne beispielsweise mit Tornados oder Eurofighter helfen, sagte er den Sendern RTL und NTV. Auch Kriegsschiffe und U-Boote benötige die Ukraine. Melnyks Forderungen nach Kampfjets ist auch Thema im Bundestag. Ein AfD-Abgeordneter fragt den Kanzler, ob das die nächste Entscheidung sei. „Wir werden uns weiter nicht von öffentlichem Druck und lautem Gerede beeindrucken lassen“, antwortet Scholz. „Dass es nicht um Kampfflugzeuge geht, habe ich früh klargestellt.“ Vorsorglich fügt er hinzu: „Bodentruppen werden wir in keinem Fall schicken.“

Der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sagt aber auch: „Solange der Krieg dauert, wird es immer wieder Diskussionen geben über weitere Systeme; davon muss man ausgehen.“ Die Forderungen der Ukrainer nach weiterem Kriegsgerät kommen nicht überraschend. Bereits am 3. März – wenige Tage nach dem russischen Überfall – hatte die Ukraine der Bundesregierung eine Wunschliste übergeben: Panzer und Artillerie standen darauf, Flugabwehrsysteme und Hubschrauber, Drohnen und Flugzeuge, Schiffe und U-Boote.

Ziel sei es, rasch etwa 90 Panzer zusammenzustellen

Einiges davon haben die westlichen Verbündeten inzwischen geliefert, besonders Deutschland hat da einen weiten Weg zurückgelegt – wenn auch oft widerwillig. Die erste militärische Hilfslieferung, die Berlin nach Kriegsbeginn auf den Weg brachte, bestand aus 5000 Helmen. Jetzt schickt Deutschland Leopard-2-Kampfpanzer. Deutschland ist dabei nicht allein. „Wir handeln international eng abgestimmt und koordiniert“, sagt Scholz einer Mitteilung zufolge bei der Kabinettssitzung am Mittwoch.

Regierungssprecher Steffen Hebestreit kündigt an, Ziel sei es, „rasch zwei Panzer-Bataillone mit Leopard-2-Panzern für die Ukraine zusammenzustellen“ – das dürfte etwa 90 Panzern entsprechen. „Dazu wird Deutschland in einem ersten Schritt eine Kompanie mit 14 Leopard-2-A6-Panzern zur Verfügung stellen, die aus Beständen der Bundeswehr stammen. Weitere europäische Partner werden ihrerseits Panzer vom Typ Leopard-2 übergeben.“ Unter anderem Polen hat eine Lieferung von 14 Leopard 2 angekündigt.

Selenskyjs geforderte „Panzerallianz“ scheint Wirklichkeit zu werden

Finnland und die Niederlande haben ebenfalls ihre Bereitschaft erklärt, der Ukraine diese Panzer aus deutscher Herstellung zur Verfügung zu stellen. Großbritannien hat angekündigt, Kampfpanzer vom Typ Challenger 2 an Kiew geben zu wollen. Die USA wollen Abrams-Kampfpanzer liefern. Just zum Geburtstag des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj – er ist am Mittwoch 45 Jahre alt geworden – scheint die von seiner Regierung geforderte „Panzerallianz“ Wirklichkeit zu werden.

Aus Sicht der Ukraine keinen Tag zu früh: Die Panzer müssen geliefert werden, ukrainische Soldaten müssen an ihnen ausgebildet werden – Fachleute rechnen mit einer Trainingsdauer von rund sechs Wochen, wenn die Soldaten bereits über eine infanteristische Grundausbildung verfügen. Der ukrainische Geheimdienst warnt vor einer russischen Frühjahrsoffensive, die binnen Wochen bevorstehen könnte. Auch westliche Analysten befürchten, dass der Krieg in diesem Jahr für die Ukrainer noch einmal härter werden könnte als im vergangenen.

„Es wird angenommen, dass etwa 100 Panzer erforderlich wären, damit die Leopard-2-Panzer einen signifikanten Einfluss auf die Kämpfe haben könnten.“
International Institute for Strategic Studies (IISS)

Im Herbst hatten erfolgreiche Gegenoffensiven im Osten und im Süden für Enthusiasmus in der Ukraine gesorgt. Entschieden ist der Krieg aber nicht, die Ukraine kann ihn immer noch verlieren. Dass westliche Staaten nach langem Zögern nun doch Kampfpanzer liefern, ist auch Ausdruck dieser Sorge. Ein Allheilmittel sind die westlichen Panzer nicht. Wie sehr sie die Kampfkraft der Ukraine erhöhen, hängt von ihrer Anzahl ab. Die britische Denkfabrik International Institute for Strategic Studies (IISS) schreibt: „Es wird angenommen, dass etwa 100 Panzer erforderlich wären, damit die Leopard-2-Panzer einen signifikanten Einfluss auf die Kämpfe haben könnten.“

Für die Bundeswehr wird es nun darum gehen, Kriegsgerät für die Ukraine in ihren Beständen zu ersetzen. Pistorius kündigt nach seinem Antrittsbesuch beim Verteidigungsausschuss des Bundestages am Mittwoch an, Kontakt mit der Rüstungsindustrie aufnehmen zu wollen, um zu klären, wie verlässlichere Nachschub- und Nachbeschaffungswege hergestellt werden könnten. „Ich glaube, dass das die Herausforderung der nächsten Jahre sein wird“, sagt er.

Pistorius versucht,bei der politischen Bewertung die Waage zu halten

Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Wolfgang Hellmich, äußert sich ähnlich. „Wir müssen uns sehr schnell mit der Rüstungsindustrie zusammensetzen, um bei dem Ersatz für die Leopard-Panzer in die Produktion zu geben“, sagt er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Wir müssen da durch Anschubfinanzierung und langfristige Abnahmegarantien zusammenkommen, weil es die Sicherheit unseres Landes erfordert.“ Hellmich fährt fort: „Es muss ja investiert werden, und es müssen zum Teil völlig neue Produktionsstraßen aufgebaut werden, weil die bestehenden ausgelastet sind. Das sind keine geringen Investitionen.“

Pistorius versucht, bei der politischen Bewertung der Leopard-Lieferungen die Waage zu halten. „Das ist eine historische Entscheidung in vielerlei Hinsicht, aber andererseits auch kein Anlass, um Halleluja zu rufen, wie ich an bestimmten Stellen gelesen habe“, sagt er. Der Minister äußert zugleich Verständnis für jene Menschen, die gegen Waffenlieferungen sind, weil sie eine Eskalation des Krieges befürchten. Er habe „großes Verständnis für Leute, die sich Sorgen machen“, sagt Pistorius. Kriegspartei werde Deutschland jedenfalls nicht. „Dafür werden wir sorgen.“ (rnd)

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