Problem für UkraineRussisches Militär kann Funk abhören – Experten sind alarmiert

Lesezeit 5 Minuten
Eine Selbstfahrlafette der russischen Armee feuert auf ukrainische Stellungen (Bild des russischen Verteidigungsministeriums)

Eine Selbstfahrlafette der russischen Armee feuert auf ukrainische Stellungen (Bild des russischen Verteidigungsministeriums)

Zu Beginn des Krieges schüttelten Militärs im Westen noch den Kopf über die amateurhaften Fehler der Russen. Doch sie haben gelernt.

Russland hat seit Kriegsbeginn aus ihren Misserfolgen in der Ukraine dazugelernt, die Gegenoffensive der ukrainischen Streitkräfte wird zu einer „großen taktischen Herausforderung“. Das ist das Ergebnis einer Studie des britischen Royal United Services Institute for Defence and Security Studies (Rusi). In allen Bereichen des russischen Militärs, von der Infanterie und den Panzerbrigaden bis hin zur elektronischen Kampfführung, habe es Anpassungen gegeben. Die Moral der russischen Soldaten an der Front sei Russlands größte Schwäche.

Die Studie basiert auf Interviews mit Angehörigen ukrainischer Militäreinheiten im April und Mai 2023, die unter anderem bei der Verteidigung von Kiew, Charkiw, Bachmut und Awdijiwka beteiligt waren oder an den Offensiven in Cherson und Charkiw teilnahmen. Die Russen haben demnach gelernt, ihre Panzer geschickter vor ukrainischen Angriffen zu verbergen. Dazu setzt das russische Militär bei Panzern und auch bei anderen Fahrzeugen und vielen Verteidigungsstellungen eine thermische Tarnung ein. Auf Wärmebildkameras sollen diese potenziellen Angriffsziele für die Ukrainer nicht so leicht erkannt werden können.

Russisches Militär kann ukrainische Kommunikation abhören

Sorgen bereitet Beobachtern vor allem ein Aspekt des Berichts: „Die ukrainischen Truppen kommunizierten mit Motorola-Funkgeräten und 256-Bit-Verschlüsselung, aber offenbar sind die Russen in der Lage, diese Gespräche nahezu in Echtzeit zu erfassen und zu entschlüsseln.“ Laut dem Militärexperten Gustav Gressel vom European Council on Foreign Relations (ECFR) ist dies „eine ernsthafte Gefahr“. Im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) erklärt er: „Die Rekonstruktion der Gefechtsverläufe zeigt, dass die Russen über einige Operationen der ukrainischen Einheiten gut informiert waren.“ Die Russen hätten genau gewusst, was die Ukrainer machen werden und hätten sich darauf vorbereitet. „Es ist ein Spiel mit offenen Karten.“

Die Gefahr sei sehr groß, dass die Russen die Informationen aus dem Funkverkehr für Angriffe nutzen. Unklar sei, ob die Russen über die technischen Fähigkeiten verfügen oder die Ukrainer nur zu selten die Verschlüsselungscodes geändert haben. „Wenn die Russen ein Funkgerät erbeuten, können sie leicht die Kommunikation mithören.“ Die Ukraine habe sehr viele Geräte ausgegeben und man müsse davon ausgehen, so Gressel, dass nicht immer die Codes gewechselt wurden. Das Problem bleibt aber.

Mehr Drohnen und abgefangene Himars-Raketen

Russland hat laut dem Rusi-Bericht auch bei der Aufklärung nachgeschärft. Es gebe nun ein engmaschiges Drohnennetz, das die Kommandeure bei der Aufklärung gegnerischer Stellungen unterstützt. Die Artillerie ist beweglicher als früher und kann sich daher besser vor Gegenschlägen schützen. Nachdem die Ukraine im Sommer mit westlichen Himars-Raketen russische Munitionsdepots zerstören konnte, hat Russland auch bei der Luftverteidigung nachgebessert. Inzwischen ist die Flugabwehr in der Lage, die Himars-Raketen abzufangen.

Außerdem setzt Russland vermehrt auf billige Drohnen statt auf Kampfjets. Die Russen hätten auch gelernt, ukrainische Drohnen zu stören, sodass diese abstürzen. Diesen Teil der elektronischen Kriegsführung beherrsche Russland nach Einschätzung der britischen Experten sehr gut. Jedes dieser Systeme zum Abfangen der Drohnen könne zehn Kilometer der Front abdecken. „Der Verlust ukrainischer Drohnen liegt bei etwa 10.000 pro Monat“, heißt es in dem Bericht.

Überhaupt nehmen Drohnen inzwischen einen hohen Stellenwert ein. Die aktive Aufklärung des Geländes werde von den russischen Soldaten größtenteils mit Drohnen durchgeführt, so die Rusi-Experten. „Tatsächlich scheinen die russischen Truppen nicht bereit zu sein, sich durch Aufklärung zu enttarnen.“ Selbst wenn Aufklärungseinheiten voraus pirschen, gehe es in der Regel nur darum, Drohnen zu starten. „Typischerweise sind zu jeder Zeit pro zehn Kilometer Frontlinie zwischen 25 und 50 Drohnen von beiden Seiten im umkämpften Gebiet im Einsatz.“

Russland nicht unterschätzen

Eine weitere Anpassung gibt es auch im Umgang mit den Waffensystemen: Panzer werden von den Russen nur noch selten für Durchbruchsversuche in der Ukraine eingesetzt, stattdessen dienen sie hauptsächlich der Feuerunterstützung. Die Artillerie verwenden die russischen Kräfte auch, um eine Rückeroberung besetzter Gebiete zu verhindern. „Artilleriefeuer wird nicht nur eingesetzt, um ukrainische Verteidigungsstellungen anzugreifen, sondern vor allem um Angriffe abzuwehren“, heißt es im Rusi-Bericht. „Wenn die Russen erfahren, dass ein Angriff vorbereitet wird, übersäen sie das Gebiet oft mit Feuer, um den Angriff zu verhindern.“ Eine weitere gängige Taktik sei, dass sich die Russen aus einem Gebiet zurückziehen und dieses dann mit Feuer übersäen, sobald ukrainische Truppen vorrücken.

Den Eindruck, Russland sei schwach, können die Rusi-Experten nicht bestätigen. Westliche Topgeneräle, wie der NATO-Oberbefehlshaber in Europa, General Christopher G. Cavoli, hatten ebenfalls davor gewarnt, Russland zu unterschätzen. Vor vier Wochen äußerte er sich vor dem Ausschuss des US-Repräsentantenhauses über die russischen Verluste: „Die Luftwaffe hat sehr wenig verloren, etwa 80 Flugzeuge – aber sie hat weitere 1000 Jäger und Jagdbomber. Die Marine hat nur ein Schiff verloren.“ Auch US-Generalstabschef Mark Milley hatte immer wieder erklärt, dass nicht mit einem schnellen Sieg der Ukraine rechne.

Gegenoffensive: Russlands Minenfelder in der Ukraine

Nun bereiten sich die ukrainischen Streitkräfte auf die große Gegenoffensive vor. Zwölf Brigaden haben sie dafür zusammengezogen und mit Gerät ausgestattet. Erste Bilder zeigen auch deutsche Leopard-Panzer.

Doch für die Ukraine ist es schwieriger geworden, die Frontlinie zu durchbrechen. Die Russen bauen seit Monaten die Verteidigungsstellungen in den eroberten Gebieten aus. Laut Rusi hat Russland große Minenfelder mit Antipersonen- und Antipanzerminen angelegt, nutzt dort unterschiedliche Minentypen und verlegt diese laut den Experten sehr klug, sodass es für die Ukraine schwieriger geworden ist, die Minen zu entdecken und unschädlich zu machen. Um Gegenschläge der Ukraine abzuwehren, wurden auch starke Befestigungsstellungen mit Panzergräben, Drachenzähnen und Bunkeranlagen gebaut. Satellitenbilder zeigen kilometerlange Gräben und gut ausgebaute Verteidigungsanlagen. Unklar ist, ob sie die ukrainische Offensive tatsächlich aufhalten können.

Mit den vielen Anpassungen konnte das russische Militär „schwerwiegende Mängel“ beheben, so das Fazit der Rusi-Studie. Die russische Armee habe bewiesen, dass es sich an neue Situationen anpassen könne. Sie widerlegen damit den Eindruck, das russische Militär sei unfähig. An dieser Aussage gebe es zwar ein Körnchen Wahrheit, doch man dürfe nicht von der Leistung einzelner russischer Einheiten auf die gesamte Armee schließen. „Neben ihren Unzulänglichkeiten haben die russischen Streitkräfte bewiesen, dass ein Großteil ihrer Waffen effektiv und äußerst tödlich ist und sie sich an viele Bedrohungen anpassen können.“

KStA abonnieren