Russischer AngriffZehntausende verfolgen live Beschuss von Atomkraftwerk

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YT Stream AKW

Mehr als 85.000 Menschen sahen zeitweise live den Beschuss des ukrainischen Atomkraftwerks.

Irgendwann zur besten amerikanischen Sendezeit am Donnerstagabend entdeckt die CNN-Redaktion den unfassbaren Livestream und nimmt ihn ins Programm auf. Vom Dach des Atomkraftwerks in Saporischschja streamt der AKW-Betreiber da bereits seit fast vier Stunden die Ereignisse vor einigen Verwaltungsgebäuden und nahe eines der sechs Atomreaktoren der Anlage in die Welt.

Es ist ein Ausschnitt des Geschehens rund um die gigantische Industrieanlage, der den Krieg in Echtzeit in Wohnzimmer bringt und einen Schlüsselmoment dokumentiert: einen kriegerischen Angriff auf ein Atomkraftwerk mit allen Gefahren, die das birgt. Und möglicherweise gravierenden Folgen für die Bevölkerung. Das Kraftwerk produziert fast ein Viertel des ukrainischen Strombedarfs. Fällt es in russische Hände fällt, erhält Russland Zugriff auf einen Großteil kritischer Infrastruktur.

Zwischen 2 und 3 Uhr deutscher Zeit bricht der Stream ab, kurz nachdem CNN die Live-Bilder zu senden begonnen hat. Bis zu 100.000 Menschen gleichzeitig hatten davor bei Youtube live verfolgt, wie die Webcam mit Nachtsichtmodus den russischen Angriff auf das Kraftwerk dokumentiert.

Lichtstreifen von Geschossen auf Livestream zu sehen

Immer wieder sind Lichtstreifen von Geschossen zu sehen, die in ein Gebäude einschlagen. Auf einmal erstrahlt das Gelände in gleißend hellem Licht. Mit einem Leuchtgeschoss verschaffen sich die Angreifer einen Überblick über den Komplex. Die Kamera schaltet kurz vom Nacht- in den Tagmodus, so stark strahlt der Leuchtkörper.

Kurz danach rücken Schützenpanzer auf einer Straße neben einem Parkplatz vor. Dort scheint bei einigen Fahrzeugen Autoalarmanlagen angeschlagen zu haben - die Scheinwerfer blinken hektisch. Zu hören ist nichts, das Video hat keinen Ton. Irgendwann formiert sich in der Deckung eines Militärfahrzeugs ein Infanterie-Stoßtrupp und verlässt den Blickwinkel der Kamera.

Aus einem Gebäude gibt es offensichtlich lange Gegenwehr. Die Russen feuern erneut und in hoher Frequenz - bis auf einmal ein Komplex in Flammen steht. Der ukrainische Außenminister meldet das Feuer in den sozialen Medien.

AKW-Sprecher von Angriffen geschockt

Der AKW-Sprecher ist in einem ukrainischen Sender zugeschaltet und ist entsetzt. Reaktorblock 1 sei beschossen worden – was die Live-Aufnahmen nicht zeigen. Dieser Reaktor sei zwar in Wartung, doch es befinde sich dort radioaktives Material. Später wird klar, dass nur einer der sechs Reaktoren (Block 4) derzeit überhaupt Strom produziert.

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Der Livestream läuft noch etwas weiter und immer wieder wird auch die Kamera geschwenkt. Eine Zeitlang ist das brennende Gebäude im Fokus, dann ein anderer Bau in den wohl gerade russische Soldaten eindringen.

Reaktionen auf die AKW-Attacke sind deutlich

Eine Kolonne von Fahrzeugen mit Blaulicht ist für einige Minuten zu erkennen. Vermutlich rücken Feuerwehrleute an - die Kolonne stoppt kurz vor dem Gelände und dreht dann wieder um, da sie nicht durchgelassen wird. Am Morgen meldet das ukrainische Innenministerium dann aber, dass der Brand gelöscht sei. Gebrannt habe ein Trainingskomplex. Erhöhte Radioaktivität wurde nicht gemeldet.

Die Reaktionen auf die Attacke sind deutlich. Der britische Premier Boris Johnson sieht in dem Angriff eine direkte Gefährdung der Sicherheit ganz Europas und will eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates erreichen.

Ein Bruchteil des Streams - 18 Minuten - ist am nächsten Morgen noch abrufbar. Bereits 3,8 Millionen Abrufe gibt es auf YouTube.

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