Debatte um WaffenlieferungenWarnung vor „drittem Weltkrieg“ und Kritik an Scholz

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Scholz getty 200422

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)

Berlin/Köln – Nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Dienstagabend erneut der Lieferung schwerer Waffen aus Bundeswehrbeständen eine Absage erteilt hat, geht die Debatte um die Haltung der Bundesregierung weiter. So hat der Grünen-Europapolitiker Anton Hofreiter der Regierung um Kanzler Scholz vorgeworfen, mit ihrer Zurückhaltung bei Waffenlieferungen an die Ukraine eine weltkriegsartige Ausweitung des Konflikts zu riskieren.

Das Problem der Haltung Deutschlands sei, „dass wir bei den Sanktionen bremsen, bei den Waffenlieferungen bremsen, und damit die Gefahr droht, dass der Krieg sich immer länger hinzieht“, sagte Hofreiter am Mittwoch im ZDF-„Morgenmagazin“. Und je länger sich der Krieg hinziehe, desto größer werde die Gefahr, „dass weitere Länder überfallen werden und wir dann am Ende in einen erweiterten de facto Dritten Weltkrieg rutschen“.

Hofreiter kritisiert Paternalismus bei Scholz

Hofreiter wies zudem das unter anderem von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angeführte Argument zurück, Deutschlands Möglichkeiten zu Waffenlieferungen seien begrenzt, weil die ukrainische Armee nicht an den modernen Waffensystemen ausgebildet sei. „Ich finde es etwas paternalistisch, dem ukrainischen Militär zu sagen, ihr könnt damit nicht umgehen“, sagte Hofreiter.

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Bundestagsabgeordneter der Grünen Anton Hofreiter

Die Grünen-Spitze wollte sich Hofreiters Kritik am Mittwoch jedoch nicht zu eigen machen. „Es ist gut, dass Bundeskanzler Scholz gestern nochmal deutlich gemacht hat: Die Unterstützung der Ukraine wird in enger Abstimmung mit unseren EU- und Nato-Partnern stattfinden, nicht als deutscher Sonderweg“, sagte der Grünen-Bundesvorsitzende Omid Nouripour der Deutschen Presse-Agentur. Dies gelte auch für die Lieferung von Waffen. Grüne-Regierungsmitglieder wie Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck signalisierten am Mittwoch ebenfalls Unterstützung für den Kurs des Bundeskanzlers.

Unterstützung für Scholz von Mützenich und Roth

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hat sich derweil enttäuscht über die Kritik der Koalitionspartner an der Ukraine-Politik von Scholz gezeigt. Er empfinde „einzelne Bemerkungen und Auftritte aus den Koalitionsparteien“ in der Debatte um Waffenlieferungen als „bitter“, schrieb Mützenich in einem auf Mittwoch datierten Brief an die Fraktionsmitglieder. Mützenich rief seine eigene Fraktion darin zu Geschlossenheit auf. „Wir dürfen uns von Stimmen nicht beeindrucken lassen, die uns und der Öffentlichkeit weismachen wollen, Deutschland komme seiner Verantwortung nicht nach“, schrieb Mützenich. „Das Gegenteil ist der Fall. Die Bundesregierung handelt entschlossen, umsichtig und überlegt.“

Der SPD-Außenpolitiker Michael Roth sprach sich am Mittwoch dennoch für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine aus. „Ich gehe davon aus, dass jetzt auch (schwere) Waffen geliefert beziehungsweise von der Ukraine gekauft werden können, die bislang nicht vorgesehen waren“, schrieb der Vorsitzende des Auswärtigen Bundestagsausschusses am Mittwoch auf Twitter. „Die Welt wird nicht sicherer und friedlicher, wenn wir uns zurückhalten.“ 

„Gut, dass der Bundeskanzler den Vorschlag aufgreift“

Um einen „europäischen Flächenbrand“ zu vermeiden, müssten „EU- und Nato-Staaten die Ukraine rasch, umfangreich und koordiniert weiter militärisch unterstützen“, schrieb Roth. Dabei handele es sich um „keine direkte Kriegsbeteiligung der Nato“. Anders als Hofreiter fand Roth lobende Worte für Parteikollege und Kanzler Olaf Scholz. „Gut, dass der Bundeskanzler den Vorschlag aufgreift, Staaten, die sofort Waffen aus russischer/sowjetischer Produktion liefern können, mit modernem Gerät zu unterstützen.“ Dies sei „europäische Teamarbeit“, die der Ukraine sofort helfe.

Merz Bundestag DPA 170321

Friedrich Merz im Bundestag, Olaf Scholz im Hintergrund

Kritik gab es unterdessen von der Opposition. „Er spricht jetzt von Listen, die abgearbeitet werden. Aber diese Listen gibt es seit Wochen“, kritisierte CDU-Fraktionschef Friedrich Merz die Haltung des Bundeskanzlers. Merz attestierte dem SPD-Politiker Unentschlossenheit im Umgang mit Waffenlieferungen. Scholz hatte am Dienstag erklärt, in Zusammenarbeit mit der Ukraine sei eine Liste von verfügbaren Waffensystemen erstellt worden. Scholz‘ Zurückhaltung erklärte Merz derweil damit, dass im Kanzleramt Angst vor Widerspruch aus der eigenen Fraktion herrsche.

Kritik aus der CDU an Haltung von Kanzler Scholz

„Sowohl in den Beständen der Bundeswehr als mehr noch in den Lagerbeständen deutscher Rüstungsunternehmen befinden sich geeignete schwere Waffensysteme, die schnell und unkompliziert an die Ukraine geliefert werden könnten. Darunter befinden sich Schützen-, Transport- und Kampfpanzer sowie weitere Systeme. Das weiß auch Olaf Scholz. Er verweigert bislang nur, seine Zustimmung zu geben. Mangelnde Ausbildung ist vorgeschoben und verschleiert nur den mangelnden Entscheidungswillen bei Scholz“, sagte zudem Vize-Unions-Fraktionschef Johann Wadephul (CDU) gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Wir dürfen nicht schon wieder wichtige Zeit verstreichen lassen.“

Auch der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, kritisierte die Ankündigung der Bundesregierung. Die Äußerungen von Kanzler Scholz seien in der ukrainischen Hauptstadt Kiew „mit großer Enttäuschung und Bitterkeit“ zur Kenntnis genommen worden, sagte Melnyk der Deutschen Presse-Agentur. Zwar begrüße man die Bereitschaft Deutschlands, zusätzliche Finanzmittel für Rüstungsgüter zur Verfügung zu stellen. Es gebe aber nach wie vor viel mehr offene Fragen als Antworten.

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„Die These, dass die Bundeswehr der Ukraine nichts mehr zu liefern imstande wäre, ist nicht nachvollziehbar“, sagte Melnyk. Die Truppe habe mehr als 400 Marder-Schützenpanzer, von denen etwa 100 für Ausbildung und Training benutzt würden und daher sofort an die Ukraine übergeben werden könnten. Außerdem habe die Bundeswehr nach seinen Erkenntnissen etwa 800 Fuchs-Transportpanzer, von denen ein Großteil nicht im Einsatz sei und deswegen in die Ukraine geschickt werden könnte. „Ganz entscheidend wäre auch die Lieferung von Panzerhaubitzen 2000.“ Von diesen Artilleriegeschützen mit großer Reichweite gebe es im Bestand der Bundeswehr etwa 120, sagte Melnyk.

Sicherheitsexperte bezweifelt Regierungsdarstellung

Der Sicherheitsexperte Carlo Masala bezweifelt unterdessen ebenfalls die Darstellung, dass die Bundeswehr überhaupt keine schweren Waffen entbehren könne, um sie an die Ukraine zu liefern. „Die Position, dass wir keine (Schützenpanzer) Marder geben können, erscheint mir nicht glaubwürdig, weil es sicher noch ein paar Marder in der Umlaufreserve gibt“, sagte der Professor von der Universität der Bundeswehr in München am Mittwoch im ZDF-„Morgenmagazin“. Umlaufreserve meint, dass ein im Training kaputtgegangener Schützenpanzer durch einen anderen ersetzt und der kaputte repariert wird.

„Da wird es ein paar geben, die könnte man sicherlich mit einem verkürzten Training relativ schnell in die Ukraine bringen. Aber da gibt es halt erhebliche Widerstände“, sagte Masala. „Wenn die Verteidigung des Bündnisses an 15 Mardern hängt, dann ist es um die Verteidigung des Bündnisses nicht besonders gut bestellt. Also von daher ist dieses Argument ein bisschen, ich sage mal: vorgeschoben.“

Kanzler lehnt Lieferung aus Bundeswehr-Beständen ab

Bundeskanzler Scholz hatte am Dienstag nach einer Videokonferenz mit Partnern der G7-Staatengruppe sowie der Nato weitere militärische und finanzielle Unterstützung der Ukraine für den Kampf gegen die russischen Invasionstruppen zugesagt. Die Lieferung von Panzern aus Beständen der Bundeswehr lehnte der Kanzler aber ab. Er sicherte osteuropäischen Nato-Partnern, die Waffen sowjetischer Bauart aus ihren alten Beständen an die Ukraine liefern könnten, jedoch deutsche Unterstützung bei der Beschaffung von Ersatz zu. (mit dpa/afp)

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