Mit dem tödlichen Anschlag auf zwei Mitarbeiter der israelischen Botschaft in Washington erreicht der Gaza-Konflikt endgültig die USA. Seit dem Hamas-Überfall auf Israel hat es eine starke Zunahme antisemitischer Vorfälle gegeben. Beobachter befürchten, dass die Trump-Regierung nun noch rigider auch gegen friedliche pro-palästinensische Aktivisten vorgehen könnte.
Anschlag in WashingtonSchock nach Schüssen auf Israels Botschaftsmitarbeiter

Ein Mann, der die israelische Flagge mit einem Kreuz und dem Namen „Jesus“ in der Mitte trägt, gestikuliert, während Beamte der Metropolitan Police das Gebiet sichern
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Der Mann mit dem weißen Hemd und dem blauen Sakko war nach Augenzeugenberichten schon eine Weile vor dem Jüdischen Museum in der Innenstadt von Washington auf- und abgegangen. Als gegen 21 Uhr eine Gruppe von vier Personen das rote Backsteingebäude verließ, trat er auf diese zu und erschoss zwei von ihnen aus nächster Nähe. Anschließend stellte sich der Täter im Museum der Polizei. Videoaufnahmen zeigen, wie er bei seiner Festnahme mehrmals „Free, free Palestine!“ ruft.
Mutmaßlicher Täter schrie „Free, free Palestine!“
Noch ist wenig über die Hintergründe des Attentats vom Mittwochabend bekannt. Der mutmaßliche Täter, ein 30 Jahre alter Mann aus Chicago, wird noch vernommen. Er soll keine Vorstrafen haben. Die Bundespolizei FBI, deren lokales Hauptquartier unmittelbar gegenüber dem Tatort liegt, untersucht den Fall als mögliches Hassverbrechen. Die Opfer sind nämlich zwei Mitarbeiter der israelischen Botschaft in der amerikanischen Hauptstadt: Die 26-jährige Amerikanerin Sarah Lynn Milgrim und der 30-jährige Yaron Lischinsky, der neben dem israelischen auch einen deutschen Pass besaß, hatten an einem Empfang des American Jewish Committee für junge Diplomaten teilgenommen. In der nächsten Woche wollten sie sich verloben.
Viele Amerikaner erfuhren von dem schockierenden Anschlag erst nach dem Aufwachen am Donnerstagmorgen. Die ersten öffentlichen Reaktionen sind von Entsetzen, Abscheu und Anteilnahme gezeichnet. Doch ist absehbar, dass die Bluttat das innenpolitische Klima in den USA weiter vergiften wird. Nach dem Hamas-Überfall auf Israel und der anschließenden israelischen Offensive im Gazastreifen haben neben pro-palästinensischen Protesten auch antisemitische Übergriffe in Amerika stark zugenommen. Kritiker werfen der Trump-Regierung vor, mit ihren derzeit rigiden Vorgehen gegen friedliche Gaza-Unterstützer beide Themen miteinander zu vermischen und bewusst die Meinungsfreiheit zu beschränken.
Zahl antisemitischer Vorfälle klettert auf Rekordstand
Nach Angaben der Anti-Defamation League (ADL) ist die Zahl antisemitischer Vorfälle 2024 mit 9354 auf einen beunruhigenden Rekordstand geklettert. So wurde im August 2024 in Brooklyn ein Mann schwer durch Messerstiche verletzt, während der Täter „Free Palestine“ rief. Im Oktober des vergangenen Jahres wurde in Chicago ein Mann auf dem Weg zur Synagoge angeschossen. Erst vor einem Monat gab es während des Pessach-Festes einen Brandanschlag auf die Residenz des jüdischen Gouverneurs von Pennsylvania, Josh Shapiro. Der Täter wurde festgenommen. Die Polizei geht von einem Hassverbrechen aus. Der bislang schwerste antisemitische Terrorakt, bei dem im Oktober 2018 elf Menschen in einer Synagoge in Pittsburgh erschossen wurden, hatte freilich keinen pro-palästinensischen Hintergrund. Bei dem inzwischen hingerichteten Täter handelte es sich um einen rechtsextremen weißen Nationalisten und früheren Trump-Anhänger.

Nir Barkat, Wirtschaftsminister von Israel, legt am abgesperrten Tatort in der Innenstadt Blumen nieder. Zwei Mitarbeiter der israelischen Botschaft wurden vor dem Capital Jewish Museum erschossen.
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In einer ersten Reaktion äußerte sich Präsident Donald Trump am Donnerstag vergleichsweise staatsmännisch zu dem Washingtoner Attentat: „Diese schrecklichen Morde in D.C. (District of Columbia, d. Red.), die offensichtlich auf Antisemitismus beruhen, müssen aufhören - jetzt!“, schrieb er auf seiner Online-Plattform: „Hass und Radikalisierung haben keinen Platz in den USA. Mein Beileid an die Familien der Opfer. Es ist so traurig, dass so etwas passieren kann.“ Auch demokratische Politiker verurteilten die Tat. Gouverneur Shapiro zeigte sich „entsetzt“ und mahnte: „Alle Menschen haben die Verantwortung, mit der moralischen Klarheit zu sprechen und zu handeln, die dieser Moment erfordert - diese Art von Hass und Gewalt ist niemals gerechtfertigt.“
MAGA-Aktivisten sehen „islamistischen Terrorakt“
Beobachter befürchten freilich statt eines kollektiven Innehaltens eher eine baldige politische Instrumentalisierung des Attentats von Washington. Der mutmaßliche Täter hat offenbar keine Vorstrafen. Er stammt aus Chicago und hat einen hispanischen Nachnamen. Über Verbindungen zu irgendwelchen Terrororganisationen ist nichts bekannt. Gleichwohl erregen sich ultrarechte Aktivisten wie Laura Loomer, die einen engen Draht zum Präsidenten hat, bereits über einen „islamistischen Terrorakt“ und fordern eine Neuauflage des Einreiseverbots für Menschen aus muslimischen Staaten.
Je nach Zählweise leben in den USA zwischen zwei und vier Millionen Amerikaner mit arabischen Wurzeln. Die überwiegend friedliche Protestwelle gegen den israelischen Gaza-Einsatz an amerikanischen Universitäten hat auch zu problematischen Übergriffen auf Redefreiheit und Bürgerrechte von propalästinensischen Aktivisten geführt. So forderte Trump mit einem Dekret kurz nach seinem Amtsantritt die Überwachung und Disziplinierung ausländischer Studenten, die sich an Pro-Gaza-Aktionen beteiligen.
Im März wurde dem Palästinenser Mahmoud Khalil, der an der Columbia University studierte, die Greencard entzogen. Seither wird der Mann ohne Anklage in einem Gefängnis in Louisiana festgehalten. Rümeysa Öztürk, eine Studentin der Tufts Universität, wurde von maskierten Beamten auf der Straße festgenommen, weil sie einen israelkritischen Artikel in einer Zeitschrift verfasst hatte. Der palästinensische Student Mohsen Mahdawi wurde im April bei der Einbürgerung wegen „bedrohlicher Rhetorik“ verhaftet und inhaftiert. Auf Anordnung eines Richters musste er vor wenigen Tagen freigelassen werden. Insgesamt hat die Trump-Regierung rund 2000 Visa widerrufen.