Analyse zu Italiens RechtsregierungPostfaschistin Giorgia Meloni an der Macht – alles halb so schlimm?

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Die italienische Premierministerin Giorgia Meloni

Die italienische Premierministerin Giorgia Meloni

Deutschland gerät wegen rechtsextremistischer Umtriebe zunehmend in Alarmstimmung. Wie läuft es in Italien, wo mit Meloni eine Rechte an der Macht ist?

Wenn in Deutschland Neonazis und andere rechtsextreme Verfassungsfeinde aus ihren Löchern kriechen, befällt auch die Italienerinnen und Italiener ein mulmiges Gefühl. Das gilt selbst für Sympathisanten der Postfaschistin Giorgia Meloni. Von den Vertreibungsplänen, die Mitglieder von AfD und Werteunion zusammen mit Rechtsextremisten erörtert haben, zeigten sich daher auch solche Zeitungen irritiert, die Melonis Rechtsregierung nahestehen und normalerweise keine Hemmungen haben, gegen Migranten zu hetzen.

Dabei steht seit Giorgia Melonis Wahlsieg im Herbst 2022 eigentlich Italien im öffentlichen Fokus, wenn es um rechtsradikale Umtriebe und autoritäre, antidemokratische Tendenzen geht. Immerhin führt Meloni nicht nur die am weitesten rechts stehende Regierung seit Mussolini an, sondern auch die größte Regierungspartei Fratelli d’Italia, die ihre ideologischen Wurzeln im Movimento Sociale Italiano (MSI) hat, in welcher unverbesserliche Anhänger des Duce und der Diktatur nach dem Krieg eine neue politische Heimat gefunden hatten.

Diktatur nicht aufgearbeitet

Zur gleichen Zeit, als Deutschland über das Geheimtreffen diskutierte, machte in Rom ein paramilitärischer Aufmarsch von etwa tausend Neofaschisten Schlagzeilen, die den rechten Arm zum „römischen Gruß“ streckten – dem italienischen Pendant zum Hitlergruß. Statt die Neofaschistenparade umgehend zu verurteilen und Konsequenzen anzukündigen, schwieg Giorgia Meloni beharrlich. Am Donnerstag urteilte das oberste Gericht Italiens in einem älteren Fall obendrein, dass der Gruß tatsächlich dann erlaubt ist, wenn es sich um Gedenkfeiern handelt.

Meloni selber hat mit den Ewiggestrigen und Mussolini-Nostalgikerinnen und -Nostalgikern zwar wenig am Hut, aber sie will es mit ihnen auch nicht verscherzen: Ein Teil der Stimmen für ihre Partei, wenn auch nur ein kleiner, kommt aus der rechtsextremen Ecke.

Dass sich die Regierungschefin und ihre Partei so schwer damit tun, sich von rechtsextremen und verfassungsfeindlichen Gruppen wie Casa Pound (die die Parade organisiert hatten) abzugrenzen, liegt auch daran, dass die Geschichte der faschistischen Diktatur in Italien nie richtig aufgearbeitet worden ist. Das geschichtsvergessene Narrativ lautet, dass Mussolini ja nicht annähernd so brutal und verbrecherisch gewesen sei wie sein Verbündeter Hitler – oder wie Stalin.

In Italien erzeugt die Bezeichnung „Postfaschistin“ insgesamt viel weniger Abwehrreflexe als im übrigen Europa, zumal sich schon die Vorgängerpartei der Fratelli d’Italia, die Alleanza Nazionale, glaubhaft vom faschistischen Erbe losgesagt und auf den demokratischen Rechtsstaat verpflichtet hatte. Der damalige Parteichef und spätere Außenminister Gianfranco Fini hatte den Faschismus sogar als das „absolut Böse“ bezeichnet.

Härte auf Rhetorik beschränkt

Meloni, die „gefährlichste Frau Europas“ – so wurde sie von einem deutschen Magazin nach ihrer Wahl zur ersten Ministerpräsidentin Italiens bezeichnet – erwies sich auf europäischer und atlantischer Ebene schnell als verlässliche Partnerin. Den von ihrem Vorgänger Mario Draghi eingeschlagenen Weg der Haushalttugend hat sie, bis auf wenige Ausnahmen, nicht verlassen. Die Beschäftigung in Italien hat gerade einen Höchststand erreicht, die Risikozuschläge auf Staatsschulden sind so tief wie lange nicht mehr, das Wirtschaftswachstum liegt deutlich höher als das deutsche.

Ideologisch und reaktionär geriert sich Meloni dagegen bei den identitätsstiftenden Kernthemen ihrer Rechtspartei: bei der Migration und bei Genderfragen. Doch die Härte, die die 47-jährige Römerin dabei an den Tag legt, ist vor allem eine rhetorische. Von der im Wahlkampf in Aussicht gestellten Seeblockade gegen Migranten war nach ihrer Wahl nie mehr die Rede – vielmehr hat die italienische Küstenwache im ersten Jahr unter Meloni so viele Bootsflüchtlinge gerettet wie seit der Aktion Mare Nostrum im Jahr 2014 nicht mehr.

In Abstimmung mit der italienischen Wirtschaft, die händeringend nach Arbeitskräften sucht, will die Rechtsregierung zudem in den kommenden drei Jahren fast einer halben Million Migranten die Möglichkeit geben, mit einer Arbeitsbewilligung legal nach Italien einzuwandern. Keine andere Regierung, auch keine linke, hatte je so großzügige Quoten bewilligt. Um ihre Stammwählenden bei Laune zu halten, hat Meloni mit Albanien unlängst ein umstrittenes Abkommen geschlossen, wonach Italien in Zukunft auf albanischem Boden zwei Abschiebelager mit insgesamt 3000 Plätzen betreiben darf.

Ob diese politisch und juristisch umstrittenen Lager jemals realisiert werden können, bleibt dahingestellt – jedenfalls sind sie zahlenmäßig weit von den millionenfachen Abschiebungen entfernt, die den Rechtsextremisten in Deutschland vorschweben. Bereits definitiv gescheitert scheint dagegen der Versuch, Tunesien dazu zu bringen, die Flüchtlinge bereits an der nordafrikanischen Küste an der Überfahrt über das Mittelmeer zu hindern. Mit Libyen war ein solcher Deal gelungen – aber das äußerst umstrittene Abkommen mit den Warlords in Tripolis hatte nicht die Rechtsregierung von Meloni, sondern 2017 die Mittelinksregierung von Paolo Gentiloni ausgehandelt.

Bleibt der letztlich zentrale Vorwurf der Linken, Meloni wolle Italien mit der von ihr geplanten Verfassungsreform in einen autoritären Staat verwandeln. In der Tat bezweckt das Reformvorhaben eine Stärkung des Regierungschefs, der in Zukunft direkt vom Volk gewählt und nicht mehr auf Vorschlag der siegreichen Koalition vom Staatspräsidenten ernannt werden soll.

Damit, so die Befürchtung der Kritiker, werde in Italien wieder ein „starker Mann“ – oder eben eine „starke Frau“ – installiert, wie einst in der Diktatur von Mussolini.

Meloni verneint autoritäre Absichten und begründet die Reform damit, dass damit die Regierungen stabiler würden und die Regierungstätigkeit effizienter werde. Die Beschwichtigungen Melonis überzeugen viele Verfassungsrechtlerinnen und -rechtler nicht.

Allerdings: Auch Mitte-Links-Regierungen hatten schon die Direktwahl des Premiers vorgeschlagen. Und in der Praxis würde die Reform wenig ändern: Schon heute geben die Parteien und Koalitionen die Namen der jeweiligen Spitzenkandidaten und -kandidatinnen auf ihren Wahllisten an – und schon bisher hat der Staatspräsident den Auftrag zur Regierungsbildung immer dem Kandidaten oder der Kandidatin der siegreichen Koalition erteilt.

Underdog mit Selbstmitleid

Das war auch bei Giorgia Meloni so: Ihre Partei hatte innerhalb der Koalition aus Fratelli d’Italia, Lega und Forza Italia die meisten Stimmen erzielt (26 Prozent), und Staatspräsident Sergio Mattarella hatte gar keine andere Wahl, als die Spitzenkandidatin mit der Bildung der Regierung zu beauftragen. De facto ist Meloni also direkt vom Volk gewählt worden – auch wenn es formell gesehen eine indirekte Wahl war. Was daran autoritär sein soll, erschließt sich nicht ohne Weiteres.

Man sollte sich vom Etikett „postfaschistisch“ nicht allzu sehr irritieren lassen – Meloni regiert das Land eher wie eine wertkonservative Christdemokratin. Ihre größte Schwäche ist ihr „vittimismo“ – also ihr selbstmitleidiges Gefühl, als Mitglied einer postfaschistischen Partei ein Leben lang benachteiligt, ausgegrenzt und mit Denk- und Sprachverboten belegt worden zu sein.

Jetzt, wo sie an der Macht ist, will sich Meloni für diese Demütigungen revanchieren und die – tatsächliche oder vermeintliche – „kulturelle Hegemonie der Linken“ brechen und durch ein eigenes, nationalistisch-identitäres Narrativ ersetzen. In ihrer Antrittsrede im Parlament hatte sich Meloni, die als Tochter einer alleinerziehenden Mutter im Römer Arbeiterquartier Garbatella in einfachen Verhältnissen aufgewachsen ist, als „Underdog“ bezeichnet. Und dieser Underdog will es nun allen zeigen.

Protestwählende wechseln

Auch in Italien wird die Zahl der Bürgerinnen und Bürger, die sich abgehängt fühlen und die nicht mehr daran glauben, dass die Demokratie ihre Probleme lösen werde, immer größer. Im Unterschied zu anderen Ländern wechseln die Rechts- und Protestwählenden in Italien aber sehr spontan ihre Parteipräferenzen: Bei den Parlamentswahlen von 2018 erzielte die Anti-System-Bewegung der Fünf Sterne 32 Prozent der Stimmen und wurde stärkste Partei; bei den Europawahlen 2019 triumphierte die rechtspopulistische Lega des damaligen Innenministers Matteo Salvini mit 34 Prozent, während die Protestbewegung ihre Stimmen nur ein Jahr nach ihrem Wahlsieg bereits wieder halbiert sah.

Bei den Parlamentswahlen 2022 folgte dann der Exploit der Meloni-Partei mit 26 Prozent der Stimmen (gegenüber 6,5 Prozent bei den Europawahlen 2019) – während die Lega gleichzeitig von 34 auf 8 Prozent abstürzte.

Mit anderen Worten: Die Stimmen der Unzufriedenen, der Protestwähler und der Rechtsradikalen gehen bei praktisch jeder Wahl an einen neuen Volkstribunen oder eine neue Volkstribunin. Aber sie „zählen“, denn sie gehen an Parteien, die regieren – meist sogar an die jeweils größte Regierungspartei.

In Deutschland, wo die traditionellen Parteien eine Zusammenarbeit mit der AfD ausschließen, ist das anders: Wer die Ultra-Rechts-Partei wählt, muss den Eindruck erhalten, seine Stimme „zähle nichts“. In Italien, wo die Politik anders funktioniert als in Deutschland und die Abgrenzung gegen rechts ein weniger brisantes Thema ist, hat sich die Einbindung der Enttäuschten und der Wutbürgerinnen und Wutbürger bewährt, zumindest bis jetzt.

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