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Kreml-Insider erklären TaktikWarum Putin nur seine „Clowns“ nach Istanbul geschickt hat

Lesezeit 5 Minuten
Kremlchef Wladimir Putin. (Archivbild)

Kremlchef Wladimir Putin. (Archivbild)

Wladimir Putin reist nicht in die Türkei – von Entspannung findet sich in Moskau keine Spur. Der Kremlchef bleibt bei seinen Zielen, sagen Insider.

So richtig hatte keiner der Beteiligten mit dem Erscheinen von Wladimir Putin in Istanbul gerechnet – und so kam es dann auch. Spät am Mittwochabend gab der Kremlchef das Personal der russischen Delegation bekannt, die nun in die Türkei gereist ist. Er selbst gehörte nicht dazu – allen internationalen Aufforderungen zum Trotz. Zuletzt hatte der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva am Mittwoch noch versucht, den russischen Präsidenten von einer Reise in die Türkei zu überzeugen.

Zuvor hatte Donald Trump ebenfalls auf Putins Teilnahme gedrängt. Nach der Absage des Moskauer Machthabers zeigte der US-Präsident sich jedoch am Donnerstag prompt wieder verständnisvoll. „Warum sollte er kommen, wenn ich nicht komme?“, fragte Trump bei einer Pressekonferenz in Doha. „Ich habe ja gesagt, er kommt nicht, wenn ich nicht komme – das hat sich als richtig herausgestellt“, erklärte der Republikaner, der seine Reise nach Istanbul allerdings erst abgesagt hatte, nachdem Putins Verweigerung öffentlich geworden war.

Donald Trump nimmt Wladimir Putin nach Absage in Schutz

Auch Außenminister Sergej Lawrow reiste nicht an den Bosporus, stattdessen entsandte Putin das Verhandlungsteam, das bei den letzten direkten Gesprächen mit der Ukraine in Belarus im Einsatz war – und dort inakzeptable Bedingungen aufstellte. „Putin schickt natürlich die gleichen belanglosen Clowns wie schon im März 2022“, bewertete der Historiker und Russland-Experte Matthäus Wehowski am Mittwochabend auf der Plattform X die personell wenig beeindruckende russische Delegation und den jüngsten Schachzug des Kremlchefs.

Moskau sendet mit der Entscheidung ein klares Signal – die Gespräche in Istanbul 2022 endeten schließlich, weil Russland absurde Bedingungen aufgestellt hatte. So sollte die ukrainische Armee auf ein Maß beschnitten werden, die eine Landesverteidigung unmöglich gemacht hätte. Außerdem wollte Moskau ein Veto-Recht hinsichtlich aller Sicherheitsgarantien: Nur wenn der Kreml zustimmt, hätten Garantiegeber der Ukraine helfen dürfen.

Klares Signal: Moskau will weiterhin die Kapitulation der Ukraine

Schließlich wurden während der andauernden Gespräche die russischen Kriegsverbrechen in Butscha bekannt – daraufhin beendet Kiew die ohnehin wenig aussichtsreichen Verhandlungen. Seitdem hat es keine Treffen mehr zwischen ukrainischen und russischen Delegationen gegeben. Lediglich einige Gefangenenaustausche kamen zustande.

Vor diesem Hintergrund muss Putins Entscheidung nun betrachtet werden. Die Delegation sei dieselbe, die Moskau auch 2022 entsandt habe, „um die Kapitulation der Ukraine zu erreichen“, kommentierte der ehemalige schwedische Ministerpräsident Carl Bildt die drohende Farce in Istanbul. Putin versuche offensichtlich, „die Bedingungen zu erreichen, die Russland damals diktieren wollte“, so Bildt. „Ein russischer Waffenstillstand ist nicht Teil ihres Mandats – die Kapitulation der Ukraine schon.“

Was Putin bezweckt: „Zeitgewinn, Zermürbung, Inszenierung“

„Dass ausgerechnet Putins Lieblingshistoriker Wladimir Medinski, der bereits bei den gescheiterten Verhandlungen im Frühjahr 2022 als sinnbildlicher Stichwortgeber der Inhaltsleere diente, nun erneut antritt, unterstreicht die Absicht des Kremls“, erklärte auch der Russland-Forscher und Experte für Sicherheitspolitik Alexander Dubowy bei X. Es gehe Moskau weiterhin nicht „um Frieden, sondern um Formalität, um Zeitgewinn, um Zermürbung, um Inszenierung“, lautete Dubowys Analyse.

In Moskau schilderten unterdessen anonyme Quellen aus dem Kreml der „Moscow Times“, warum Putin sich zu seinem jüngsten Schachzug entschlossen habe – und bestätigten, was in dieser Woche bereits mannigfaltig vermutet worden war: Der Kremlchef, der die Regierung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj stets als „Nazi-Regime“, ohne Legitimität bezeichnet hat, habe nie vorgehabt, das Angebot des Ukrainers anzunehmen, berichteten russische Beamte nun anonym der unabhängigen Online-Zeitung.

„Selenskyj ist nur dazu geeignet, eine Kapitulation zu unterzeichnen“

Putin betrachte Selenskyj nicht als ebenbürtigen Gesprächspartner, erklärte einer der Kreml-Insider. Das einzige Szenario, in dem ein Treffen denkbar wäre, sei anlässlich einer „öffentlichen Kapitulation“ des ukrainischen Präsidenten. „Selenskyj ist nur dazu geeignet, eine Kapitulation zu unterzeichnen – Punkt“, zitierte die „Moscow Times“ einen russischen Diplomaten.

Außerdem lasse sich Putin weder von Selenskyj noch von US-Präsident Trump die Bedingungen diktieren, führte eine der Quellen aus. „Unser Führer lässt sich nicht gern unter Druck setzen. Das ist eine bekannte Tatsache.“ Dennoch habe der Kremlchef Trump nicht vollständig verärgern wollen. Moskau habe versucht, „einen Kompromiss zu finden, der Trump nicht vor den Kopf stößt“, erklärte einer der Beamten. 

„Wenn Trump Putin einladen würde, würde das alles ändern“

„Wenn Trump Putin persönlich einladen würde, würde das alles ändern“, berichtete derweil ein anderer Kreml-Vertreter. Nach den Ultimaten des Westens, der Russland aufgefordert hatte, einem Waffenstillstand zuzustimmen, käme ein Treffen einem „Rückzieher“ und einem „Gesichtsverlust“ Putins gleich, hieß es weiter aus Moskau. 

Wladimir Putin (l) und Donald Trump unterhalten sich auf dem G20-Gipfel im Jahr 2017 im Hamburg. (Archivbild)

Wladimir Putin (l) und Donald Trump unterhalten sich auf dem G20-Gipfel im Jahr 2017 im Hamburg. (Archivbild)

Putins Ziel scheint derweil für Experten offensichtlich zu sein: „Der Kreml versucht, Trump entweder dazu zu bringen, einen für Moskau günstigen Deal auszuhandeln oder zu dem Schluss zu kommen, dass Frieden unerreichbar ist, und Kiew und seinen europäischen Verbündeten die Schuld zu geben“, erklärte Alexander Gabuev, Direktor des Carnegie Russia Eurasia Center in Berlin.

Putin will Trump beeinflussen – und seine Maximalziele erreichen

Der Kremlchef verfolge immer noch alle Maximalziele, die er zu Kriegsbeginn aufgestellt habe, sagte Gabuev der „Moscow Times“. Derzeit bekomme er von Trump aber noch nicht alles, was er sich erhofft habe, führte der Russland-Experte aus. „Und wenn die Diplomatie scheitert, wird er versuchen, sie auf dem Schlachtfeld durchzusetzen.“

Tatsächlich hatte es zuletzt vermehrt Berichte über die angeblichen Vorbereitungen einer Sommeroffensive der russischen Armee gegeben. Noch am Dienstag hatte der Kremlchef zudem persönlich mit seinen Streitkräften geprahlt und dabei betont, dass zehntausende Russen sich freiwillig für den Kampf an der Front melden würden. Auch für die Europäer, die Russlands Präsidenten in dieser Woche mit der Androhung neuer Sanktionen an den Verhandlungstisch zwingen wollten, hatte Putin einen Kommentar übrig: „Idioten.“

Dazu passend machte die russische staatliche Nachrichtenagentur Tass am Donnerstag ihre Webseite auf. Die Überschriften der beiden am prominentesten platzierten Meldungen lauteten dort: „Kreml bestreitet Möglichkeit einer Anwesenheit Putins in der Türkei“ und „Russische Streitkräfte erobern Dörfer in der Ostukraine“.