Wladimir Putin schweigt weiter – aber nur zu Istanbul. Der Kremlchef bekommt allerdings auch in der Heimat scharfen Gegenwind.
Hardliner prophezeit „Katastrophe“Putin prahlt mit Armee, beleidigt Europa – und plant wohl neue Großoffensive

Wladimir Putin geht am Mittwoch durch den Kreml. Der russische Präsident schweigt zu geplanten Gesprächen in Istanbul.
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Aus Moskau nichts Neues: Auch am Mittwoch lässt der Kreml weiterhin offen, ob der russische Präsident Wladimir Putin am Donnerstag zu Gesprächen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in die Türkei reisen wird. Gleichzeitig verdichten sich jedoch die Anzeichen dafür, dass der Kremlchef nicht persönlich erscheinen, sondern Außenminister Sergej Lawrow und seinen Berater Fjodor Uschakow an den Bosporus entsenden wird.
Die geplanten Gespräche dürften damit zum Scheitern verurteilt sein, denn Kyjiw hat gleichzeitig klargestellt, dass Unterredungen nur zwischen Selenskyj und Putin infrage kommen – und bekräftigt, dass ein bedingungsloser Waffenstillstand die Voraussetzung für Verhandlungen bleibt. Moskau lehnt eine Feuerpause unterdessen weiterhin ab und setzt seine Angriffe auf die Ukraine auch am Mittwoch unvermindert fort.
Keine Hinweise für Reise von Wladmir Putin nach Istanbul
Auch US-Präsident Donald Trump hatte sein Erscheinen in der Türkei davon abhängig gemacht, ob Putin ebenfalls vor Ort sein werde. Über neue Reisepläne des Republikaners, der derzeit den Nahen Osten besucht, wurde auch am Mittwoch nichts bekannt – auch das gilt als Indiz dafür, dass Putin weiterhin nicht beabsichtigt, nach Istanbul zu reisen.
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„Die Delegation wird sowohl politische als auch, ich würde sagen, zahlreiche technische Fragen diskutieren. Auf dieser Grundlage wird die Zusammensetzung bestimmt“, zitierten russische Medien am Mittwochmorgen Putin-Berater Uschakow hinsichtlich möglicher Gespräche in Istanbul.
Wolodymyr Selenskyj will nur mit Wladimir Putin sprechen
Selenskyj hatte unterdessen betont, dass es eben nicht um Verhandlungen zwischen Delegationen gehen soll, sondern für ihn nur ein Gespräch direkt mit Putin infrage kommt. Das wird es wohl nicht geben, berichtet am Mittwoch auch die „Washington Post“. Moskau werde lediglich Lawrow und Uschakow in die Türkei schicken, erklärte die US-Zeitung unter Berufung auf eine Quelle im Kreml.
Kremlchef Putin schweigt derweil weiter zu den von ihm selbst vorgeschlagenen Gesprächen am Bosporus. Dass Selenskyj sofort eine Zusage für ein persönliches Treffen gegeben hat, könnte den Kreml überrumpelt haben. „Damit haben sie nicht gerechnet“, hatte der regierungsnahe russische Politik-Analyst Sergei Markow dazu bereits am Dienstag der „Komsomolskaja Prawda“ gesagt. Es gebe nur eine minimale Chance dafür, dass der Kremlchef selbst in die Türkei reisen werde, prophezeite Markow.
Kremlchef äußerte sich zu Sanktionen – und spricht von „Idioten“
Putin äußerte sich indes am Dienstag ausführlich zur wirtschaftlichen Lage Russlands und westlichen Sanktionen. „Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein“, unkte der Kremlchef laut russischen Staatsmedien bei einem Treffen mit Wirtschaftsvertretern über die Maßnahmen im Westen, die mitunter auch der europäischen und amerikanischen Wirtschaft geschadet hätten.

Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, will nach Istanbul reisen, um mit Wladimir Putin zu sprechen. (Archivbild)
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„Sie tun vieles zu ihrem eigenen Schaden“, sagte Putin demnach mit Blick auf westliche Sanktionen gegen Russland. „Es scheint, dass sie dies und jenes sicher nicht tun werden, weil es ihnen schadet. Aber sie tun es, diese Idioten – Oh, entschuldigen Sie bitte“, zitierte Tass den Kremlchef.
Wladimir Putin prahlt mit Zulauf bei russischer Armee
Putin nutzte die Gelegenheit auch, um mit dem angeblichen großen Zulauf bei der russischen Armee zu prahlen. Während die Ukraine ihre Soldaten mit harten Maßnahmen zum Dienst zwingen müsse, würden sich in Russland monatlich mehr als 50.000 Menschen freiwillig für die Armee melden, behauptete Putin.
Das amerikanische Institut für Kriegsstudien hält die Angaben für eine bewusste Falschangabe des Kremlchefs: „Putin übertreibt die Rekrutierungszahlen möglicherweise, um angesichts der laufenden Gespräche mit der Ukraine und dem Westen eine große russische Armee zu simulieren“, kommentierten die US-Analysten die jüngsten Aussagen Putins in ihrem aktuellen Lagebericht.
Ukraine schlägt Alarm: Plant Moskau eine neue Großoffensive im Sommer?
Während die genauen Rekrutierungszahlen offen bleiben, bestätigte auch die Ukraine bereits im März, dass Russland derzeit in der Lage sei, die weiterhin enormen Verluste an der Front „größtenteils“ mit neuen Soldaten auszugleichen, das berichtete damals der ukrainische Militärgeheimdienst. Die Verlustrate in der russischen Armee bleiben jedoch hoch, erklärte unterdessen der Generalstab in Kyjiw am Dienstag. Demnach soll Russland seit Jahresbeginn rund 177.000 Soldaten durch Tod oder Verwundung verloren haben.

Ein russischer Mehrfachraketenwerfer vom Typ Solntsepyok feuert auf ukrainische Stellungen. Die Gefechte in der Ukraine gehen unvermindert weiter. (Archivbild)
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In der Ukraine rechnet man ohnehin nicht mit einem Kurswechsel im Kreml – im Gegenteil: Russland bereite derzeit eine neue Großoffensive vor, sagten ukrainische Geheimdienstmitarbeiter am Mittwoch der „Financial Times“. Diese Vermutung werde durch entsprechende Truppenverlegungen an die wichtigsten Brennpunkte an der Front gestützt, sagten die Quellen demnach der US-Zeitung.
Gefechte in der Ostukraine gehen unvermindert weiter
Zuletzt hatte es Berichte über neue Eroberungen in der Ostukraine gegeben. Russische Staatsmedien meldeten etwa am Mittwoch erneut die Einnahme ukrainischer Stellungen. Insbesondere rund um die Städte Torezk und Pokrowsk gibt es weiterhin erbitterte Gefechte, auch darin sieht man in der Ukraine ein Indiz für weitere Kriegspläne im Kreml.
Auch Kremlkritiker wie der ehemalige Schachweltmeister Garri Kasparow rechnen keineswegs mit echter Bewegung durch die eventuellen Gespräche in der Türkei. „Putin will keinen Frieden und kann sich keinen Frieden leisten. Deshalb hat er den Krieg begonnen“, schrieb Kasparow auf der Plattform X. „Dieser Krieg kann nur durch einen Sieg der Ukraine beendet werden“, stellte der Kremlkritiker außerdem klar. „Jede Verzögerung bei der Erreichung dieses Ziels bedeutet Blut an den Händen derer, die weiterhin Zeit damit verschwenden, etwas anderes vorzutäuschen.“
Hardliner sieht „Katastrophe“ für Putin – und andauernden Krieg
Von russischen Hardlinern muss Putin sich in diesen Tagen scharfe Kritik gefallen lassen. Mit seinem Gesprächsangebot habe sich der Kremlchef selbst eine Falle gestellt, erklärte etwa der Ultranationalist und Kriegsverbrecher Igor Girkin.
Der auch als „Strelkow“ bekannte Russe hatte 2014 maßgeblichen Anteil an der russischen Invasion auf der Krim und war für den Abschuss eines Passagierflugzeugs von Malaysia Airlines verantwortlich, bei dem 298 Menschen starben. Mittlerweile ist Girkin jedoch wegen öffentlicher Kritik beim Kreml in Ungnade gefallen und inhaftiert worden – hält sich aber dennoch nicht mit Kritik zurück.
Prognose aus Russland: „Der Krieg wird weitergehen“
Jegliche Art von persönlichem Treffen mit Selenskyj sei eine „Katastrophe“ für Putin, schrieb Girkin nun in seinem Telegram-Kanal. Moskau habe stets betont, dass Selenskyj kein legitimer Vertreter des Nachbarlandes mehr sei – jetzt müsste Putin, sollte er in die Türkei reisen, Selenskyj jedoch als Staatschef anerkennen.
Der Krieg werde deshalb noch für lange Zeit weitergehen, prognostizierte Girkin. Russland präsentiere sich derzeit „unvernünftig gierig“, könne diese Gier „jedoch durch nichts rechtfertigen“. Die Ukraine hingegen werde „niemals aufgeben“, führte Girkin aus und fügte an: „Der Krieg wird so lange weitergehen, bis eine Seite gewinnt und die andere verliert.“