Chinas doppelgesichtiger StaatschefWie der Ukraine-Krieg Xi Jinping in die Hände spielt

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Chinas Präsident Xi Jinping und Russlands Präsident Wladimir Putin bei einem Treffen im Juni 2019.

Chinas Präsident Xi Jinping und Russlands Präsident Wladimir Putin bei einem Treffen im Juni 2019. Auch aktuell ist der chinesische Präsident für einen Staatsbesuch bei Putin.

Chinas Staatschef hat zwei Gesichter. Das friedlichere wird er in nächster Zeit den Europäern zeigen. Doch in Wahrheit liegt der Ukraine-Krieg im Interesse Pekings: Russland reibt sich darin auf – und dem Westen droht langfristig die Spaltung.

Sind wir immer noch so naiv? Oder schon wieder? Viele Europäerinnen und Europäer setzen, nachdem sie sich in Wladimir Putin furchtbar geirrt haben, ihre Hoffnungen in den Staatschef von China: Vielleicht bewirke der ja, sagen viele, bei seinem Besuch in dieser Woche in Russ­land Schritte zum Frieden in der Ukraine.

Xi Jinping, der Friedensfürst? Hier bahnt sich eine zweite gigantische Fehleinschätzung an. Daneben liegt schon, wer auch nur glaubt, aktuelle Gründe hätten Xi bewogen, nach Moskau zu reisen. Der Gebieter über 1,4 Milliarden Menschen hält schlicht an seinen ganz eigenen Routinen fest. Schon im Jahr 2013 führte Xis erste Auslandsreise als Staatschef nach Moskau. Das einzig Neue liegt jetzt, zu Beginn von Xis dritter Amtszeit, darin, dass gegen Xis „lieben Freund“ in Moskau ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs vorliegt.

Chatbots bieten bessere Friedenspläne

Indem Xi und Putin einander trotz alledem die Hände schütteln, zeigen beide, wie herzlich egal ihnen der Rest der Welt ist. Doch damit nicht genug.

Am Vorabend des Russland-China-Gipfels machte Putin das Bild von Starrsinn und Zynismus noch komplett. Erstmals besuchte der Kriegsherr die von ihm zerstörte ukrainische Hafen­stadt Mariupol – und trat damit die Gefühle unzähliger Menschen mit Füßen, deren Ange­hörige dort starben, deren Häuser dort zusammensanken und deren Kinder aus Mariupol verschleppt wurden.

In Chinas Zwölf-Punkte-Papier zur Ukraine kommen Russlands Kriegsverbrechen nicht vor. Auch der eigentlich simple Gedanke, dass es dem Frieden dienen würde, die völker­rechts­widrig in die Ukraine einmarschierten russischen Truppen zurückzuziehen, findet sich darin nicht.

Friedensplan für die Ukraine? Jeder moderne Chatbot liefert dazu auf Knopfdruck Redlicheres und Klareres als alles, was Peking von sich gibt.

Wird Xi dennoch von Frieden reden? Natürlich. Chinas Staatschef hat zwei Gesichter. Das freundlichere wird er in nächster Zeit den Europäern zeigen – und zugleich auf böse Kräfte in den USA verweisen. Teile und herrsche, divide et impera – das war schon im alten Rom ein bewährtes Konzept.

Die Spannung spielt Xi in die Hände

Krieg oder Frieden? Xi bleibt im Ukraine-Konflikt an einem Schwebezustand interessiert. Ob geschossen wird oder bald eine Phase brüchiger Waffenstillstandsvereinbarungen beginnt, ist für ihn gar nicht so wichtig. Entscheidend ist, dass die Spannung erhalten bleibt. Das festigt seine Macht. Die Welt soll denken, er könne die Puppen in die Hand nehmen und an den Fäden ziehen, wenn er will: Xi, der unbewegte Beweger.

Vielleicht genügt dem chinesischen Staatschef auf Dauer tatsächlich passiv-aggressives Verhalten. Langfristig könnte der Ukraine-Konflikt ihm doppelt in die Hände spielen.

Russland wird aufgerieben, militärisch und ökonomisch. Putins Militärmaschinerie ist entzaubert, Russlands Einnahmen aus Öl und Gas fallen immer tiefer. Zugleich wächst Putins Abhängigkeit von Geschäften mit China von Tag zu Tag.

Zugleich droht der Ukraine-Konflikt den Westen auseinanderzutreiben. Die Europäer verteidigen sich zwar wackerer als gedacht, können aber nicht sicher sein, dass die USA nach der Präsidentschaftswahl im November 2024 auf Kurs bleiben. Es droht die Rückkehr einer Debatte um einen Austritt der USA aus der Nato, wie Donald Trump es einst schon angedroht hatte. Nach Aussagen seines damaligen Sicherheitsberaters im Weißen Haus, John Bolton, stand Trump kurz davor, die Nato zu verlassen.

Langfristig bröckelndes Russland plus langfristig bröckelnde Nato: Beides läge im Interesse Pekings. Ausgerechnet China, das keinen einzigen Schuss abgegeben und keinen einzigen Panzer geliefert hat, könnte am Ende als weltpolitischer Gewinner des Ukraine-Konflikts dastehen.

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